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Stramm gestanden. Fabio Capello soll England als Trainer zum ersten WM-Titel seit 1966 führen.

© dpa

Gastkommentar: Alan Shearer: England fürchtet Fabio Capello

Der frühere englische Kapitän Alan Shearer über Nationaltrainer Fabio Capello und die Angst seines Landes vor dem Unbekannten.

Nun bin ich schon 40 Jahre alt, und dennoch habe ich es noch nicht erleben dürfen, dass England Weltmeister wird. 1966 haben wir zum bisher einzigen Mal gesiegt, danach folgte eine ewig lange Ära der Enttäuschung. Diesmal aber bin ich guter Hoffnung. Und das liegt vor allem an unserem Trainer. An Fabio Capello.

Fabio ist ein Welttrainer. Man muss sich nur mal seine Erfolge ansehen: Mit Milan, mit Real Madrid, dem AS Rom und Juventus Turin hat er alle Titel gewonnen. Einer wie er hat keine Autoritätsprobleme, wenn er einen Job übernimmt. Da hatte sein Vorgänger Steve McClaren es schwerer, der vorher nur für relativ kleine Klubs gearbeitet hatte. Dazu kommt: Steve war in England eine Person des Boulevards. Über ihn wusste die Öffentlichkeit alles. Und über Sven-Göran Eriksson sogar mehr als alles!

Fabio hingegen hält sein Privatleben unter Verschluss. Das macht ihn immun gegen Angriffe von gewissen Teilen der Presse. Diese Reporter sind äußerst aggressiv, aber auch nach fast drei Jahren im Amt hat Fabio seine weiße Weste behalten. Und das führt in England zu einem verblüffenden Ergebnis: Man fürchtet ihn, so wie man Unbekanntes hierzulande generell fürchtet. Vielleicht weil wir auf einer Insel wohnen, und wenn in der Vergangenheit jemand angesegelt kam, waren es oft Wikinger oder andere gespenstische Zeitgenossen. Mit diesem Angstfaktor spielt Capello sehr geschickt.

Er bewegt sich damit in der Tradition einiger ausländischer Trainer. Denken Sie an José Mourinho, wie er bei Chelsea mit seinem Image des Undurchschaubaren gespielt hat! Auch aus Arsène Wenger von Arsenal und Rafael Benitez vom FC Liverpool sind die Journalisten nie schlau geworden. Das sind schon drei von vier Trainern, die in den vergangenen Jahren den englischen Vereinsfußball beherrscht haben. Fehlt nur noch Alex Ferguson von Manchester United, und der ist schon deshalb ein Rätsel, weil er Schotte ist.

Fabio Capello könnte bei der Weltmeisterschaft das Werk, das ausländische Trainer in England vollbracht haben, mit dem Titel krönen. Als einen der großen Konkurrenten sehe ich die Deutschen. Manche sagen, eure Spieler seien zu weich für die Premier League, und deshalb würden so wenige den Sprung zu einem englischen Top-Klub schaffen. Sie seien zu zerbrechlich für unser hartes Spiel, heißt es. Aber das glaube ich nicht. Man sollte es auch nicht zu laut sagen, wenn Torsten Frings gerade vorbeikommt! Auch Bastian Schweinsteiger mit seiner robusten Art würde sich bestimmt durchsetzen. Er wird nach Michael Ballacks Verletzung der neue Star in der deutschen Nationalmannschaft sein – wenn nicht sogar der Star des Turniers. Was den Erfolg anbelangt, könnt ihr euch ohnehin nicht beklagen. Das ist wohl eher unser Problem.

Viele Jahre war die englische Nationalmannschaft gespickt mit Stars, die jedoch nie zu einer Einheit zusammengewachsen sind. Stars gibt es immer noch, Steven Gerrard etwa oder Frank Lampard und vor allem Wayne Rooney. Aber der größte von allen ist jetzt der Trainer. Capello! Und der duldet keine Mätzchen. Er weiß: Was auf dem Platz passiert, ist das Entscheidende. Und deshalb ist er ein Mann nach meinem Geschmack. Ich habe viele Tore in meiner Karriere geschossen, aber beim Jubel nie mehr gemacht, als den Finger in die Luft zu strecken. Ob Samba, Flickflack oder Panzerfaust: Das ist nichts für mich. Da bin ich altmodisch. So wie Fabio Capello, dieser knorrige, strenge Mann, vor dem ganz England Angst hat.

Er hätte mit seiner Art auch Trainer bei der WM 1966 sein können. Und was war damals? Ich weiß es selbst nicht genau. Ich habe nur davon gehört.

Aufgezeichnet von Dirk Gieselmann.

Alan Shearer

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