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Sport: Gefährliche Fitmacher: Der Triumph des letzten Mohikaners

Itai Margalit wurde in einem Kibbuz geboren. Das ist wichtig.

Itai Margalit wurde in einem Kibbuz geboren. Das ist wichtig. Das bringt ihm Pluspunkte. Besser gesagt: Es brachte ihm Pluspunkte. Bei den Medien und bei den Fans sowieso. Ein israelischer Spitzen-Leichtathlet aus dem Kibbuz, das hatte etwas. Das war etwas Besonderes. Es gibt nicht so viel Top-Leichtathleten in Israel, vor allem aber: Sie sind alle eingewandert. Aus Russland, aus der Ukraine, aus der ganzen Welt. Margalit war so etwas wie der letzte Mohikaner der Leichtathletik-Szene im jüdischen Staat. Auch deshalb war er bekannt. Den Rest besorgten seine Erfolge: mehrmaliger israelischer Hochsprung-Meister, Rekordhalter mit 2,28 m.

International fiel Margalit kaum auf. Womit auch? Mit 2,24 m, überquert bei seinem Titelgewinn 1998? Mit dem Kibbuz? Interessiert hier keinen. Dass ihn keiner kennt, ist auch nicht wichtig. Aber dass man seinen Fall nicht kennt, ist ein Versäumnis. Vor allem jetzt, bei der unendlichen Doping-Diskussion um Nahrungsergänzungsmittel. Denn Margalit war der erste gedopte Leichtathlet, der lückenlos beweisen konnte, dass er Opfer einer Verunreinigung war. Und abgesehen von der Speerwerferin Carolin Soboll ist er bislang auch der einzige. Margalit wurde positiv getestet, später wurde er freigespochen. Nur ist dieser Freispruch auch schon wieder eine eigene Geschichte.

Margalit war 29, als er 1999 auffiel. In einer Urinprobe waren Nandrolonspuren, und damit schien alles klar: ein Dopingfall. Margalit war empört, und er antwortete mit einem Standardspruch: "Ich habe nichts genommen." Dann fielen schnell die entscheidenden Worte: nicht koschere Nahrungsergänzungsmittel. Im Wingate-Institut, nördlich von Tel Aviv, habe er angeblich saubere Fitmacher erhalten, sagte Margalit. Das Institut ist ein riesiger Sportkomplex, mit Internat, Halle und Stadion. Dort trainierte Margalit, dort wurde er versorgt.

Der Weltverband IAAF behandelte Margalit als Routinefall. Der Hochspringer musste die Nahrungsergänzungsmittel, die er vom Institut erhalten hatte, an die IAAF übergeben. Die leitete die Substanzen weiter ans Kölner Doping-Labor. Laborchef Wilhelm Schänzer analysierte die Lieferung und wurde fündig: Nandrolonspuren in einem pflanzlichen Präparat.

Aber nun begann das große Glück des Itai Margalit. Denn Schänzer war nachdenklich geworden. In ihm regte sich ein Verdacht. Deshalb schrieb er den Hersteller des Präparats an. Der sitzt in den USA, in Utah. Schänzer bat, als Kunde, um Lieferung einer bestimmten Menge mit der identischen "Batch"-Nummer des pflanzlichen Präparats. "Batch"-Nummer ist ein anderes Wort für Herstellungsmenge. Der Wunsch hört sich einfach an, ist aber durchaus ein Problem. Denn häufig genug ist der Rest der Menge verbraucht, verkauft oder vernichtet. Doch Schänzer hatte Glück. Der Hersteller hatte noch einen Vorrat, schickte davon eine Probe nach Köln, und Schänzer analysierte sie. Mit einem bemerkenswerten Ergebnis: Er fand exakt die gleiche Menge Nandrolon wie in dem Präparat, das Margalit genommen hatte. Und damit hatte Schänzer den Beweis: Der Israeli ist unschuldig, das Präparat war verunreinigt.

Ab jetzt wurde der Fall delikat. Denn auf so eine Beweiskette ist der Weltverband IAAF nicht eingerichtet. Dem genügt eine positive Probe als Beweis der Schuld. Wie die zustande kommt, interessiert kaum. "Aber der Fall Margalit", sagt Clemens Prokop, Mitglied in der Anti-Doping-Kommission (ADK) der IAAF, "hätte einen Sonderfall darstellen können. Möglicherweise hätte man bei ihm ein Grundsatzurteil fällen müssen." Nämlich, dass es in solch einem Fall von erwiesener Unschuld nur eine Reaktion geben kann: Freispruch.

Möglicherweise? Und: hätte? Wieso nur "möglicherweise" und "hätte"? Weil der Fall auch noch aus einem anderen Grund delikat war. Die ADK des Weltverbands musste die Beweiskette gar nicht bewerten. Die IAAF bekam den Fall zwar auf den Tisch, aber anders, als es hätte sein müssen bei einem überführten Dopingsünder. Denn zuvor hatte der israelische Verband geschlampt. Der Dopingsünder Margalit war in seinem eigenen Land freigesprochen worden, von den israelischen Verbandsrichtern. Die stützten sich in ihrem Urteil auf eine entscheidende juristische Lücke in der israelischen Verbandssatzung. Dort waren die Vorgaben der IAAF zu Doping-Bestimmungen nicht klar verankert. Und damit waren sie für Israel nicht rechtsgültig.

Die IAAF hatte nun den Salat: Ihre Richter hätten zwar das Urteil kassieren können. Andererseits war es gemäß der nationalen Rechtssprechung erfolgt. Margalit konnte ja nichts dafür, dass es Lücken gab. Das IAAF-Council entschied schließlich, das eigene Gericht nicht anzurufen. Stattdessen bestätigte es den Freispruch. Aus formaljuristischen Gründen, nicht wegen erwiesener Unschuld.

Margalit freilich dürfte das ziemlich egal sein. Er hat aufgehört. Der letzte Mohikaner ist abgetreten. 2000 wurde ein anderer israelischer Meister. Er heißt Konstantin Matusevitch. Und kommt aus der Ukraine.

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