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Sport: Gefährliche Liebschaft

Ost-Berliner Fans von Hertha BSC trafen sich nur heimlich – und bekamen regelmäßig Besuch ihrer Idole.

Wenige Tage vor Weihnachten wurde es plötzlich laut am Bahnhof Friedrichstraße. Passanten drehten sich um nach den Leuten, die Fanfaren und Trompeten erklingen ließen und Sprechchöre anstimmten: „Ha-Ho-He, Hertha BSC“. Diesen Ruf hatte man hier lange nicht gehört. Nun, wenige Wochen nach dem Mauerfall 1989, hatten sich Ost-Berliner Fans zu einem lärmenden Begrüßungskomitee formiert, um die West-Berliner Vereinsspitze von Hertha für eine Weihnachtsfeier in Empfang zu nehmen. Gemeinsam machte man sich auf zum eigens angemieteten Saal im Pankower Rathaus – übergroß war die Freude, sich wieder vereint und öffentlich auf Ost-Berliner Straßen zeigen zu dürfen. Zwar hatte es schon einige gemeinsame Weihnachtsfeiern in der Vergangenheit gegeben, jedoch hatten diese im Kalten Krieg unter konspirativen Umständen stattfinden müssen.

Seit dem Mauerbau 1961 waren 95 Vereinsmitglieder und tausende Fans von ihrem Heimatverein Hertha abgeschnitten. Doch riss das Band zwischen Ost und West nie ab. Bereits sieben Tage nach dem Mauerbau gab Hertha-Chef Hans Höhne in einem Rundschreiben bekannt, ab sofort die monatlichen Beitragszahlungen für alle Mitglieder um 50 Pfennig zu erhöhen: „Vom Verband ist beabsichtigt, den infolge der jüngsten politischen Ereignisse von uns getrennten Kameraden Geschenkpäckchen als Liebesgaben zu übersenden.“ Der spontane Solidaritätszuschlag war damals als befristete Maßnahme gedacht, da Höhne wie viele Berliner noch hoffte, dass die Teilung nur von kurzer Dauer ist. Doch die Mauer blieb stehen – damit bürgerte sich die Praxis der Geschenkpakete dauerhaft ein, die künftig meist zur Weihnachtszeit versendet wurden. Akribisch pflegte Hertha hierfür eine Adressliste mit allen Ost-Mitgliedern. Umgekehrt vergaßen auch die Fans im Osten ihre Hertha nicht.

In den ersten Wochen nach dem Mauerbau sammelten sich regelmäßig an Spieltagen die Ost-Herthaner im Schatten der noch provisorischen Grenzbefestigung am Gesundbrunnen. Gespannt lauschten sie den Stadiongeräuschen, die vom grenznahen Stadion „Plumpe“ herüberwehten. So konnte die kleine Gemeinde, die sich selbst „blinde Fans“ nannte, den Spielverlauf zumindest erahnen und ein wenig vertraute Stadionatmosphäre erheischen. Mit dem Ausbau der Maueranlagen verschwand jedoch bald auch diese Hertha-Nische im Osten. Später reisten die ostdeutschen Fans der Hertha-Mannschaft bei ihren Spielen im Ostblock bis in die Tschechei oder nach Bulgarien nach, um sie mal bejubeln zu können.

Im Alltag hielten Ost- und West-Herthaner engen brieflichen Kontakt. So berichtete ein Ost-Mitglied 1971 dem Verein: „Wir treffen uns jeden ersten Donnerstag im Monat in der Bornholmer Klause/Ecke Seelower Straße in der Zeit von 16-19 Uhr.“ Um unbehelligt ihrer Leidenschaft nachgehen zu können, tarnten sich die Ost-Mitglieder als Tippgemeinschaft. Denn in der auf Abgrenzung zur Bundesrepublik bedachten DDR war eine offene Sympathie für den Fußball des Klassenfeindes nicht geduldet. Insofern war es eine mutige Aktion, als ein Ost-Herthaner in einem Leserbrief an Herthas Klubnachrichten um Spielberichte von Fans aus dem Westen bat – und dafür seine Adresse abdrucken ließ.

Die Stasi nahm schnell Witterung auf und begann, den eingeschworenen Kreis zu infiltrieren. Ein Dankesschreiben für Spenden von Hertha, das 1983 in Zehdenick eingeworfen wurde und an den Klub im Westen adressiert war, enthielt den Zusatz: „Wir bitten Sie aus Gründen unserer Sicherheit, das Schreiben nicht im Hertha-Report zu veröffentlichen.“ Der Brief sollte seinen Adressaten nie erreichen, die Stasi fing ihn ab.

Auch die jährlichen gemeinsamen Weihnachtsfeiern wurden unter größter Diskretion abgehalten. Hertha legte Wert darauf, stets mit einem prominenten Vertreter präsent zu sein; so besuchten Präsident Wolfgang Holst oder der ehemalige Meisterspieler von 1930, Fredy Stahr, die kleinen Feste in der anderen Stadthälfte. Andere wie Hertha-Trainer Uwe Klimaschefksi fanden sich einfach zu Hausbesuchen bei Anhängern in Ost-Berlin ein.

Dass aber Herthas Schlachtruf auf den Straßen von Ost-Berlin erklang, darauf mussten die Fans bis 1989 warten. Manche trauten sich schon vorher öffentlich – im Schutz der Masse und natürlich beim Fußball: Dann spielte der damals noch mit Hertha befreundete 1. FC Union im Stadion An der Alten Försterei.

Die Autoren leiten das Zentrum für deutsche Sportgeschichte.

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