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Sport: Gefangen im Niemandsland

Der frühere Champion Fernando Alonso fährt im Renault nur noch hinterher

Fernando Alonso stellt seine Augen auf Unendlich. Sein Blick und seine Gedanken verlassen kurz die Boxengasse des Circuit de Catalunya bei Barcelona und schweben der Zukunft entgegen. Fernando Alonso träumt. Wovon? Von Champagner, von Jubel, von einem Triumph bei seinem Heimrennen am Sonntag. „In diesem Jahr ist ein Podestplatz hier nur ein Traum“, sagt der 26-Jährige, während er wieder in die Wirklichkeit eintaucht. „Es müsste schon etwas Verrücktes passieren, damit er wahr wird.“

Realitätsflucht ist derzeit Alonsos einzige Möglichkeit, seine Zeit in der Formel 1 erträglich zu gestalten. Die Gegenwart gestaltet sich für den Champion von 2005 und 2006 eher zur Tortur. „Dieses Jahr ist sehr schwer für mich“, sagt er. „Es sieht so aus, als müsste ich die gesamte Saison über ausschließlich im Mittelfeld kämpfen.“ Der Grund dafür findet sich in den internen Scharmützeln, die er sich im vergangenen Jahr bei McLaren-Mercedes geliefert hatte. Alonso flüchtete zu seinem alten Rennstall Renault, der allerdings in der Zwischenzeit nach hinten durchgereicht wurde. Die zermürbenden Kämpfe um Platz zehn hatte Alonso zwar vorausgesehen, sich aber aus Mangel an Alternativen und mit dem Traum von der besseren Zukunft im Hinterkopf darauf eingelassen.

Nun scheint es aber so, als wäre der Fahrer, der noch immer als der kompletteste in der Formel 1 gilt, auf Dauer im Niemandsland des Feldes gefangen. Die Option eines Wechsels zu Ferrari, die lange als die wahrscheinlichste galt und auf die Alonso nach einem Übergangsjahr bei Renault spekuliert hatte, ist plötzlich verschwunden. „Ich sehe keine Möglichkeit für Alonso bei uns“, sagte Ferraris Präsident Luca di Montezemolo der „Gazzetta dello Sport“. „Eine Fahrerpaarung Kimi Räikkönen und Alonso würde bedeuten, sich selbst schaden zu wollen. Ich will zwei gleichwertige Piloten, die zusammenarbeiten.“ Möglich, dass di Montezemolo, der vor einem halben Jahr noch das Gegenteil behauptet hatte, den verunsicherten zweiten Ferrari-Piloten Felipe Massa damit ein wenig stützen will. Genauso gut ist es jedoch möglich, dass die Schlachten bei McLaren nicht nur Alonsos Ego, sondern auch seine Stellung im Grand-Prix-Geschäft dauerhaft in Mitleidenschaft gezogen haben. Während seine Fertigkeiten am Lenkrad unbestritten sind, steht es um die Reputation seiner „Soft Skills“ wie Teamfähigkeit und Loyalität nicht besonders gut.

Auch ein Wechsel zu BMW-Sauber, der einzigen anderen realistischen Chance, in absehbarer Zukunft einen weiteren Titel zu holen, scheint nicht realistisch. Teamchef Mario Theissen gibt sich mit Nick Heidfeld und Robert Kubica sehr glücklich und scheint nicht gewillt, die Harmonie durch Alonsos Verpflichtung aufs Spiel zu setzen.

So droht die Karriere des jüngsten Doppelweltmeisters aller Zeiten, die lange Zeit wie eine Fahrt auf der freien Autobahn verlief, in einen holprigen Feldweg zu münden. Wie stark er gefallen ist, lässt sich auch daran erkennen, dass in Barcelona am Sonntag wohl erstmals seit Jahren Zuschauerplätze frei bleiben werden, weil kein jubelnder Alonso auf dem Siegerpodest zu erwarten ist.

„Ich werde dieses Jahr mein Bestes geben, und dann werden wir sehen, was passiert“, sagt Alonso, bevor er wieder den Unendlichkeitsblick aufsetzt. Vermutlich sieht er da nur einen Renault.

Christian Hönicke[Barcelona]

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