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Sport: Gefühlte Sieger

Der HSV steht auf einem Abstiegsplatz – und ist zufrieden

Leverkusen. Was der Deutsche Wetterdienst einst nüchtern aus Offenbach vermeldete, ist mittlerweile fast Anachronismus. Jörg Kachelmann revolutionierte vor ein paar Jahren dieses Genre in Deutschland, als er die Temperaturangaben und Windstärken um moderne Faktoren ergänzte. Der Schweizer Wetterpapst nennt beispielweise manchmal den „Windchill“, der das durch Wind verursachte Kälteempfinden beschreiben soll. Die Rede ist dann von „gefühlter Temperatur“ und anderen seltsamen Dingen.

Exakt daran fühlte sich der Beobachter am Samstagabend in Leverkusen erinnert. Auch beim Hamburger SV nämlich sprach man nach der 0:1-Niederlage beim neuen Tabellenführer zwar vom „nackten Ergebnis“, wie etwa der frustrierte Torwart Martin Pieckenhagen. „Wenn man die nackten Zahlen sieht“, sagte Trainer Kurt Jara, „dann sind wir am Boden“. In der Tat sprechen der bisher einsame Punkt nach fünf Spielen und Tabellenplatz 17 eine deutliche Sprache. Das Resultat war mithin erneut enttäuschend, und dennoch gab es am Samstag ganz offenbar enorme Unterschiede zu den Vorwochen. „Das Gefühl ist anders als bei den anderen Spielen“, sagte Mannschaftskapitän Nico-Jan Hoogma.

Der Verlierer also empfand sich, obwohl die bleibenden Fakten gegen ihn sprachen, als eigentlicher Gewinner des Tages – eine Einschätzung, die auch Leverkusens Kapitän Carsten Ramelow indirekt bestätigte, als er von einem „irgendwie komischen Spiel“ berichtete. „Die Mannschaft hat sich reingehauen“, fand Hoogma. Der HSV verengte in der ersten halben Stunde geschickt die Räume, die Leverkusener Kurzpässe jedenfalls fanden kaum Abnehmer. Dafür lief diesmal nichts im Angriff, dessen vorzügliche Qualitäten dem HSV noch den Ligapokal beschert hatten. Bayers Torhüter Butt musste nach dem Führungstor durch Juan nicht ein einziges Mal eingreifen.

Hoogma brachte es auf die kürzeste Formel: „Vielleicht müssen wir mal öfter auf das Tor schießen.“ Und so erinnerte der HSV nicht nur an die modernen Wetteranalysen, sondern auch an den Zustand des Gegners in der letzten Saison. Damals war es Leverkusen, das sich oft als gefühlter Sieger betrachtete, aber auch dort hatten anfangs verheerende Niederlagen gestanden.

Es war eine Spielszene im Heimspiel gegen den HSV, in der sich seinerzeit die Leverkusener Kalamitäten verdichteten; damals grätschte Butt bei einem Ausflug aus dem Strafraum seinen Mitspieler Lucio um, der sich daraufhin in eine Verletzungspause verabschiedete, und HSV-Stürmer Romeo schoss unbedrängt ein zur Führung. Am Samstag bekam diese Miniatur des Grauens eine verblüffende Parallele, freilich unter verkehrten Vorzeichen: Als Leverkusens Franca einen Ball annehmen wollte, rauschte Hoogma von hinten heran und fuhr, weil Franca kurz hochsprang, mit voller Wucht in seinen Mannschaftskameraden Raphael Wicky, der danach minutenlang liegen blieb. Eine Szene mit Symbolcharakter: Einstellung, Kampfgeist und Laufbereitschaft stimmten zwar, aber die Aktionen des HSV wirkten allesamt unglücklich.

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