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Hüftschwung. Nadine Müller schleuderte den Diskus 65,97 Meter weit. Foto: dpa

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Sport: Gefühlte Weltmeisterin

Silber ist für Müller ein Sieg über ihre Nerven

Berlin - Es war ihre letzte Chance. Noch hatte sie die Möglichkeit, Gold zu gewinnen. Aber die Scheibe flog zu hoch, sie flog nicht optimal, sie plumpste weit vor dieser virtuellen 66,52-Meter-Grenze in den Rasen, die Platz eins dokumentierte. Nadine Müller aus Halle an der Saale konnte ihre Bestmarke in diesem Wettbewerb, die 65,97 Meter aus dem zweiten Versuch, nicht übertreffen. Aber sie hatte Silber, sie war Vize-Weltmeisterin im Diskuswerfen, hinter der Chinesin Li Yanfeng. Die war als Weltjahresbeste nach Südkorea zur Leichtathletik-Weltmeisterschaft gereist, ihr Sieg ist keine Überraschung.

Silber für Nadine Müller eigentlich auch nicht. Ihre Saisonbestweite steht bei 66,99 Meter, nur Yanfeng hatte 2011 weiter geworfen. Aber die 25-Jährige feierte ihre Silbermedaille, als habe sie den Weltmeistertitel gewonnen. „Ich bin wahnsinnig happy. Ich kann es noch gar nicht realisieren“, sagte Müller freudestrahlend. „Es war ein genialer Wettkampf. Ich hätte nicht gedacht, dass es zu einer Medaille reicht.“ Das klingt nach einem Spruch, dem üblichen Understatement.

Aber man muss die Geschichte der Nadine Müller kennen, um diesen Satz richtig einordnen zu können. Dann versteht man auch, dass die 25-Jährige die Silbermedaille, die ohnehin schon einen großen Erfolg darstellt, feiert, als habe man ihr Gold um den Hals gehängt.

2010 ist Nadine Müller schon mal als Favoritin zu einem Höhepunkt gereist. Damals sogar als Weltjahresbeste. In Wiesbaden hatte sie den Diskus 67,78 Meter weit geschleudert, viele sahen sie bei der Europameisterschaft in Barcelona als Goldkandidatin. Doch Nadine Müller scheiterte an dem Druck, unter dem sie stand. Sie lieferte ihren schlechtesten Saisonwettkampf, mit 57,78 Metern übertraf sie bei der EM nicht mal ihre Teamkollegin Sabine Rumpf (58,89 Meter). Nadine Müller, die große Hoffnung des Deutschen Leichtathletik-Verbands, schlich als Achte in die Umkleidekabine.

Deshalb wusste sie in diesem Jahr nicht genau, wie sie ihre 66,99 Meter vor der WM einschätzen musste. In Kienbaum bei einem Testwettkampf kurz vor der WM hatte sie diese Weite erzielt, ein Beweis, dass sie in Form war. Körperlich. Ob sie auch psychisch dem Druck standhalten würde, das wusste sie nicht.

Jetzt weiß sie es. „Wir haben viel gebastelt und viele technische Sachen ausprobiert“, sagte die 25-Jährige in Daegu. „Der Schlüssel war, dass ich Spaß hatte und bis zum Schluss locker geblieben bin.“ Naja, das klingt schon eher wie ein Spruch. Die Anspannung war ihr anzusehen, da war nicht viel von Spaß zu erkennen. „Es gibt immer noch Einiges zu verbessern. Das war ein gutes Jahr, aber kein perfektes“, sagte denn auch Peter Sack, ihr Heimtrainer. Er hatte stundenlange Simulationsübungen mit ihr gemacht. Das Ergebnis war die Korrektur eines Fehlers beim Andrehen. Nadine Müller setzt nun ihre Hüfte besser ein, der Wurfarm bleibt länger oben.

Eigentlich wollte sie ja im ersten Versuch der Chinesin eine furchteinflößende Weite vorsetzen, das schaffte sie nicht ganz. Aber für ein Lob von Bundestrainer Jürgen Schult reichte es dennoch: „Nadine kann alles. Die Taktik ist, sich nicht beeindrucken zu lassen.“ Die Taktik ging auf. (mit dpa). Frank Bachner

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