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Sport: Gefühlter Stadtmeister

Der 1. FC Union trotzt mit Leidenschaft dem Favoriten Hertha BSC beim 1:1 einen Punkt ab

Berlin - In den vergangenen Tagen ist hinlänglich bis überschwänglich über das anstehende fußballerische Hochfest Berlins, das Stadtderby zwischen dem 1. FC Union und Hertha BSC, berichtet worden. Das letzte Duell um Meisterschaftspunkte liegt sechs Jahrzehnte zurück, weshalb der allgemeine Trubel unter Berlins Fußballfans ja durchaus verständlich war, gleichwohl aber kleinere Opfer forderte. Zunächst auf Seiten der gastgebenden Köpenicker, die schon nach 95 Sekunden mit 0:1 in Rückstand gerieten. Erst neun Minuten vor dem Abpfiff gelang den Unionern der überaus verdiente Ausgleich, der sich für die allermeisten der 18 430 Zuschauer im ausverkauften Stadion An der Alten Försterei wie ein Sieg anfühlte.

Nach 90 zum Teil sehr rassigen Spielminuten im Berliner Zweitligaduell gab es in beiden Lagern nur zufriedene Gesichter, was weniger am Ergebnis selbst lag, sondern eher an der Dramaturgie des Spiels. Die favorisierten Gäste aus Charlottenburg waren mit drei Auftaktsiegen in Folge in den Südosten der Stadt gereist, wo sie auf einen angeschlagen Gegner trafen, der bislang kein Spiel gewonnen hatte. Und doch musste Hertha hinterher zufrieden sein mit dem 1:1, ebenso die Unioner, die zu viele Chancen nicht zu nutzen wussten.

Unions Trainer Uwe Neuhaus hatte unter der Woche einiges probiert und seine Startelf auf vier Positionen verändert. Sein Pendant Markus Babbel vertraute jener Formation, die zuletzt Arminia Bielefeld noch spielerisch zerlegt hatte. Und genau so startete der Favorit. Nach anderthalb Spielminuten kam Herthas zentraler Mittelfeldabräumer Peter Niemeyer nach einer Freistoßflanke von Nikita Rukavytsya völlig freistehend zum Kopfball. Leichter kann man einem Gegner das Toreschießen nicht machen.

Doch wer nun gedacht hatte, den Herthanern würde die schnelle Führung gut tun, sah sich getäuscht. Mit dem lockeren Vorsprung im Rücken glaubte der Favorit das Spiel in aller Ruhe und Gelassenheit lenken zu können, doch genau das Gegenteil trat ein. Während Hertha mit zunehmender Zeit physisch wie psychisch zu erstarren drohte, drehte Union auf. Eigentlich widersinnig, aber der frühe Rückstand „war ganz gut für uns“, wie es Neuhaus hinterher sagte. „Da waren die letzten Zweifel weggenommen.“ Seine Elf habe damit begriffen, dass sie „nur mit hoher Intensität“ in die Zweikämpfe kommen musste, um etwas zu holen. Markus Babbel gab seinerseits zu, dass sich seine Mannschaft „den Schneid“ hat abkaufen lassen: „Wir sind nie ins Spiel gekommen, wir haben es nicht geschafft, Dominanz aufzubauen.“

Die Unioner hatten relativ schnell den festen Zugriff aufs Spiel gefunden. Am Ende waren sie in allen Belangen überlegen. Beinahe alle Parameter, in die ein Fußballspiel statistisch zerlegt werden kann, sprachen für sie. Das Eckenverhältnis hieß 7:0, in Sachen Ballbesitz kamen die Köpenicker auf stattliche 64 Prozent, und bei ihren acht Torchancen hatten sie sieben mehr als die Herthaner, deren eine zum Tor führte.

Allein in der ersten Hälfte vergab Union fünf erstklassige Chancen. Nach zehn Minuten kratzte Herthas linker Verteidiger Lewan Kobiaschwili den Ball von der Torlinie, nach zwanzig Minuten traf Unions Stürmer Karim Benyamina nur die Latte. Anschließend verfehlten die Schüsse von John Mosquera und Unions Bestem, dem defensiven Mittelfeldspieler Dominic Peitz, das Tor der Herthaner äußerst knapp. Schließlich boxte kurz vor dem Halbzeitpfiff Herthas Torwart Maikel Aerts einen Schuss von Benyamina aus dem Winkel.

„Wir haben zu wenig Fußball gespielt“, sagte Herthas Verteidiger Christian Lell. Und sein Hintermann Aerts bemerkte: „Wir waren nicht bei 100 Prozent heute. Union hat aggressiver gespielt.“ Denn auch wenn Babbel mit Beginn der zweiten Hälfte den wuseligen Fanol Perdedaj für den an diesem Abend laschen Raffael auf den Rasen schickte, an der grundsätzlichen Ausrichtung des Spiels änderte sich nichts. Union blieb bissiger und insgesamt leidenschaftlicher, die Bemühungen der Gäste wirkten dagegen unterkühlt. Genau das aber sollte sich nach gut achtzig Minuten rächen. Der inzwischen eingewechselte Santi Kolk erzielte nach einem ungestörten Lauf mit dem Ball durch Herthas halbe Spielhälfte den Ausgleich. Der Gast aus dem Westen konnte nicht mehr kontern, weil er die Lethargie nicht mehr aus seinem Spiel bekam. Die Köpenicker aber drängten noch auf den Sieg, der durchaus möglich und alles andere als unverdient gewesen wäre. „Die haben uns heute gezeigt, wie man kämpft“, sagte Herthas Torschütze Niemeyer: „Union hat das bravourös gemacht.“

Herthas Trainer Markus Babbel, der am Ende von einem „gewonnenen Punkt“ sprach und dabei nicht mal unzufrieden wirkte, ließ vor der Busrückfahrt nach Charlottenburg noch eine Fußball-Weisheit in Köpenick zurück: „Wenn man nicht gewinnen kann, muss man wenigstens nicht verlieren.“

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