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Sport: Gegen die Muskelsucht

Wie ein ehemaliger Doper Aufklärung betreibt

Berlin - Was Doping mit einem macht, das kann Jörg Börjesson als Bildergeschichte erzählen. Er hat einige Papptafeln mit Fotos von sich mitgebracht. „Da sehe ich glücklich und zufrieden aus“, sagt Börjesson und deutet auf ein Bild, das ihn als 19-Jährigen mit kräftigem Oberkörper zeigt. Aber so wollte er nicht bleiben. Es sollten mehr Muskeln werden, und nach einigen Monaten und acht bis zehn Anabolikatabletten täglich wurde aus seinem Körper ein Massiv, das er auch bei Meisterschaften präsentierte. Doch dabei blieb es nicht. Auf einem späteren Foto ist er mit weiblichen Brüsten zu sehen. Davor will er andere bewahren. So wurde aus dem Bodybuilder und Kraftsporttrainer Börjesson ein Aufklärungsreisender in Sachen Doping.

Das betreibt er nun seit drei Jahren als Beruf und bekommt immer mehr zu tun. „Eine Million Menschen in Deutschland sind schon mal mit Anabolika in Berührung gekommen“, schätzt Börjesson, vor allem Jugendliche ließen sich zunehmend von Dealern Pillen verkaufen. „Die wollen sich muskulär aufrüsten für die Straße.“ An diesem Tag kann Börjesson mit seiner Aufklärung ganz unten anfangen und seine Botschaft an junge Schüler weitergeben. Die meisten von ihnen gehen in die fünfte Klasse der Moser-Schule in Charlottenburg, eine neu gegründete Filiale eines Schweizer Privat-Gymnasiums. In einer Projektwoche beschäftigen sie sich mit Sport. Schon nach den ersten Tagen wissen sie, welche Dopingmittel es gibt und wie sie wirken. „Epo kann tödlich sein“, sagt einer, „von Anabolika können einem Brüste wachsen. Waren das nicht Sie?“, fragt ein anderer. Dann erzählt ihnen Börjesson seine Geschichte.

Börjesson versuchte, durch Muskeln Anerkennung in seinem Freundeskreis zu finden. Das ging so weit, dass er süchtig wurde nach Muskelwachstum. Das Fitnessstudio wurde sein zweites Zuhause. Er nahm sich einen besonders kräftigen Bodybuilder zum Vorbild. In der Umkleidekabine steckte der ihm die ersten Anabolika zu. Was es war, wusste Börjesson nicht. Er schluckte die Pillen einfach.

Als er vor den Schülern Bilder zeigt von Bodybuildern, die fast von ihren eigenen Muskeln erdrückt werden, fragt einer: „Ist das ein Mensch oder eine Plastikpuppe?“ Die höchste Aufmerksamkeit erreicht Börjesson aber mit seiner eigenen körperlichen Verwandlung. Erst hätten ihn nur Magenschmerzen geplagt, dann spritzte ihm auf einmal beim Training Blut aus der Nase. „Da habe ich mich zum ersten Mal gefragt, ob es an den Tabletten liegen könnte.“

Für den Körper, auf den Börjesson bis dahin so stolz war, begann er sich zu schämen – vor allem für seine Brüste. Als er einmal aus der Dusche stieg, fragte ihn sein vier Jahre alter Sohn: „Papa, bist du eigentlich ein Mann oder eine Frau?“ Börjesson ließ sich operieren, die Narben schränken ihn noch heute ein, Sport macht der 40-Jährige kaum noch.

„Mein wichtigster Muskel ist jetzt die Stimme“, sagt Börjesson, der von Dorsten im Ruhrgebiet aus ein Netzwerk gegen Doping aufgebaut hat. „Man muss an der Front sein“, sagt er, nur dann könne man etwas bewegen. Er will die Risiken benennen, gegen Kraftsport hat er nichts. „Es geht um gesundes Training. Viele Jugendliche, die Anabolika nehmen, kennen die einfachsten Übungen nicht.“ Von den Schülern der Moser-Schule ist er begeistert. Sie seien jetzt gewarnt, wenn ihnen jemand etwas anbietet.

Schwerer hat er es in Fitnessstudios und Jugendzentren. „Da gibt es richtige Drückerkolonnen, die das Zeug vertreiben. Es ist ganz leicht zu bekommen“, sagt er. Auf den Anabolikahandel reagierte die Polizei immerhin jüngst mit zwei bundesweiten Großrazzien und Bundesinnenminister Schäuble will nun sogar den Besitz von Anabolika bestrafen. Noch fühlt sich Börjesson aber als Einzelkämpfer, als „Insel“ für Rat suchende Sportler, Eltern und aussteigewillige Dealer. „Deshalb bin ich so rastlos“, sagt Börjesson. Dann fährt er weiter zum nächsten Termin.

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