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Verunsichert. Ariane Friedrich ist nach ihrer Verletzung noch nicht wieder in Bestform. In Wattenscheid wurde sie zwar Deutsche Meisterin, übersprang aber nur 1,86 Meter. Foto: dpa

© dpa

Sport: Gegen die Zeit

Hochspringerin Ariane Friedrich verpasst bei den Deutschen Meisterschaften erneut die Olympia-Norm.

Die beiden Mädchen hielten sich verschüchtert im Hintergrund, sie wollten nur ein Foto mit Ariane Friedrich. Aber die blickte jetzt so frustriert und verärgert, darf man die denn jetzt stören? Da entdeckte die Hochspringerin Friedrich die beiden, sah deren Fotoapparat und sagte: „Kommt, wir machen ein Foto.“ Dann platzierte sie sich zwischen die Mädchen und lächelte. Ihr Trainer Günter Eisinger drückte auf den Auslöser. Und Ariane Friedrich sagte in einer Turnhalle neben dem Lohrheide-Stadion in Wattenscheid: „Jetzt hat sich meine Laune wieder etwas gebessert.“

Zehn Minuten früher hatte sie auf einem Podium gesessen, vor sich ein Mikrofon und viele Journalisten. Plötzlich murmelte sie: „Hat jemand ein Taschentuch, meine Nase läuft.“ Die Nase? Falsch, Tränen würden gleich laufen, so erstickt wie die 28-Jährige gerade ihre Sätze rauspresste. „Das ist so bitter, so frustrierend“, war so ein Satz. Oder: „Der Regen war der Killer.“ Oder, der emotional intensivste Satz: „Ich möchte endlich diese Norm.“

1,95 Meter, das ist die Norm, die Norm für Olympia. 1,95 Meter wollte sie deshalb springen, die deutschen Leichtathletik-Meisterschaften sollten die Bühne für diese Höhe sein. Aber als sie auf der Matte lag, die Handflächen vors Gesicht gedrückt, die Beine angewinkelt, da brach das ganze Elend über sie herein. Nicht bloß sie lag, die Latte lag auch, heruntergepurzelt von 1,93 Meter Höhe. Auch den dritten Versuch gerissen, Olympia bleibt erst einmal ein Traum.

1,86 Meter hatte Ariane Friedrich überquert, damit war sie Deutsche Meisterin geworden. 1,86 Meter, ein Witz. 2,06 Meter hatte sie 2009 bei ihrem deutschen Rekord überquert. Aber da war auch anderes Wetter. Besseres Wetter.

In Wattenscheid zauste der böige Wind an ihrem pink-getönten Haar, Regentropfen landeten auf ihrem Körper, es war kühl, es waren miese Bedingungen. Es war kein Wetter, um den Druck zu nehmen. Den Druck, endlich die Olympianorm zu knacken.

Ariane Friedrich läuft die Zeit davon, das ist ihr Problem. Sie hatte 13 Monate wegen eines Achillessehnenrisses ausgesetzt, im Winter erst sprang sie wieder im Wettkampf, in der Freiluft-Saison hat sie erste zwei Ergebnisse stehen: jeweils 1,92 Meter, gesprungen in Rehlingen und Rom. „So eine Situation wie jetzt kennt sie nicht“, sagt Günter Eisinger. Ariane Friedrich kennt das Gefühl nicht mehr, unter Zeitdruck die Norm für den Höhepunkt zu erfüllen. Das erzeugt Stress.

Regen hätte ihr grundsätzlich nichts ausgemacht. Mit Regen kommt sie klar, das hat sie gesagt. Auch Eisinger sagte noch am Freitag: „Sie hat keine Angst vor Regen.“

Aber diese Kombination aus Regen und Wind, die in Wattenscheid herrschte, die konnte sie nicht mehr kontrollieren. Wenn der Wind stark weht, kann sie nicht mehr sauber die Kurve laufen, wenn die Bahn nass ist, kann sie die letzten drei Schritte, die besonders schnell sein müssen, nicht mehr richtig setzen. Und wenn es so regnet wie gestern, dann hat sie schlicht Angst. „Da kann man sich ganz böse verletzen, wenn man ausrutscht.“ Beim Warmspringen hat sie 1,80 und 1,90 Meter überquert, schon da fiel der Regen und der Wind wehte unangenehm. „Im Wettkampf ist es dann so, als liefe man gegen eine Wand“, sagt Friedrich.

Sie läuft auch noch gegen die Uhr, das ist noch schlimmer für sie. Sie hat noch die EM als Chance, die Norm zu erfüllen. Die EM! Ausgerechnet der Wettkampf, den sie bisher als „Durchgangsstation“ eingeplant hatte, der wird jetzt zum großen Härtetest. Sollte es dort nicht klappen, dann gibt es noch einen Wettkampf. Und dann? Dann ist Schluss. Mehr Chancen erhält sie nicht.

Und Eisinger versucht verzweifelt, alle möglichen Störfaktoren von ihr fernzuhalten. Die Affäre um den Mann, der Ariane Friedrich eine Mail mit sexuell anstößigem Inhalt zugeschickt hatte, ist aus den Schlagzeilen verschwunden. Das registriert er zufrieden. Aber direkt vor Wattenscheid platzte die Nachricht von ihrem angeblich neuen Freund in die Welt. Wieder ein sportfremdes Thema, Eisinger könnte verzweifeln. Und Ariane Friedrich gleich mit.

Aber erstmal wollte sie ihre Ruhe. Als die Mädchen ihren Fotoapparat wegsteckten, da murmelte sie erschöpft zu Eisinger: „Komm, wir gehen jetzt erstmal essen.“

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