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Sport: Gegen jede Regel

Ein Hollywood-Streifen motivierte Navina Omilade und ihre Kolleginnen von Turbine Potsdam zu einem eindrucksvollen Siegeszug

Berlin. Wie oft sie das Video schon gesehen hat, kann Navina Omilade gar nicht mehr zählen. „Das ist mein absoluter Lieblingsfilm“, schwärmt die Fußball-Nationalspielerin vom FFC Turbine Potsdam über „Gegen jede Regel“ mit Hollywood-Star Denzel Washington, der einen Footballtrainer spielt. Nach Aufhebung der Rassentrennung gehören plötzlich auch Schwarze zum Team, die Stimmung ist so schlecht wie die Leistung. Doch die Individualisten raufen sich zusammen, holen Sieg um Sieg und spielen um die Meisterschaft.

Mitte Februar schleppte Omilade das Video mit in den Mannschaftsbus. Die Potsdamerinnen schauten es sich auf dem Weg zum Nachholspiel beim Deutschen Meister 1. FFC Frankfurt an. Ein Spiel mitten in der Winterpause, aus dem Training heraus, viele Verletzte fehlten. Frankfurt hatte 20 Monate lang kein Pflichtspiel verloren, Turbine „nach klassischem Fehlstart“ eine unbefriedigende Vorrunde absolviert. „Wir haben in dem Film Parallelen zu uns gesehen“, erzählt Navina Omilade. Ihre Mitspielerinnen waren von dem Streifen so begeistert wie sie selbst – und hoch motiviert. Durch ein Tor in der 88. Minute siegte Potsdam 3:2.

Seither hat Turbine neun Mal in Folge gewonnen, darunter mehrere Partien in der 90. Minute oder gar in der Nachspielzeit. Heute kann Navina Omilade mit Potsdam mit einem Sieg gegen Frankfurt Deutscher Meister werden (13 Uhr, Karl-Liebknecht-Stadion, Babelsberg). „Das Spiel ist offen. Wer die stärkeren Nerven hat, gewinnt. Es liegt am Kopf“, sagt Omilade. Die 21-jährige Mittelfeldspielerin, die zu Saisonbeginn aus Brauweiler nach Potsdam kam, war 2001 mit der deutschen Nationalmannschaft Europameister, doch national waren ihre Erfolge bislang bescheiden: 1998 wurde sie als 16-Jährige Vizemeisterin Niederrhein mit dem FSC Mönchengladbach. Vorher kickte sie in der Mädchenmannschaft des SC Viktoria Mennrath. Ihr Trainer wohnte neben dem Spielerberater Norbert Pflippen, der das Männerteam sponserte. Eines Tages tauchte Pflippen bei einem Mädchenspiel auf und sprach die 14-jährige Navina an. „Er hat gemeint, er würde gern was für den Frauenfußball tun“, erinnert sich die Tochter einer Deutschen und eines Nigerianers. Pflippen beschaffte ihr einen Dreijahresvertrag bei „Puma“, „ich habe Klamotten und etwas Geld bekommen“.

Eines Tages saß die Jugendliche allein im Flugzeug nach München. Am Flughafen wartete ihr persönlicher Fahrer und chauffierte sie in ein Fotostudio – zu Aufnahmen mit Lothar Matthäus. Der Weltmeister stand ebenfalls bei Pflippen und Puma unter Vertrag. „Die Aufnahmen waren für den Puma- Street-Soccer-Cup und sind in Zeitschriften wie Bravo Sport erschienen“, erzählt Omilade. „Matthäus war witzig und hat mich gefragt, ob ich noch Zeit für eine Stadtrundfahrt habe.“ Der Star hatte Zeit, Navina nicht. Sie musste zum Flughafen.

Über Pflippen lernte Omilade in Mönchengladbach auch Sebastian Deisler kennen. „Da war er Jugendnationalspieler und noch ganz unbekannt. Wir sind mal gemeinsam weggegangen.“ Er sei „was Besonderes im deutschen Fußball“, sagt Omilade, und aus ihrem Mund ist das ein großes Kompliment. Sie ist nämlich kein großer Fan des deutschen Männerteams, „die Deutschen spielen nicht so attraktiven Fußball. Ich gucke lieber Brasilien an. Und Figo und Zidane“, sagt sie erstaunlich offen. Wehe dem DFB-Kicker, der Ähnliches über die Frauen-Auswahl sagen würde – ihm würde gehörige Arroganz unterstellt.

Omilade selbst kommt in der Nationalmannschaft nicht mehr so häufig zum Einsatz wie in Brauweilers Zeiten. Damals war sie Stammspielerin, „jetzt stehe ich auf der Kippe“. Woran es liegt, weiß sie nicht, aber sie macht sich deswegen auch nicht verrückt. Bis zur WM in den USA im September trainiere die Nationalmannschaft noch „zweieinhalb Monate am Stück, da habe ich noch gute Chancen“, sagt sie selbstbewusst.

In Brauweiler hat Pflippen für sie die Vertragsgespräche geführt, beim Wechsel zu Turbine „war das nicht nötig. Trainer Bernd Schröder hat mir ein super Angebot gemacht, mit dem ich zufrieden war“. Ihr Vertrag läuft noch ein Jahr, der Verein stellt Wohnung und Auto, „und ein bisschen was springt raus“, erzählt die Studentin der Sportwissenschaften an der Uni Potsdam. Wobei es mit der Wohnung so eine Sache ist: In der Turbine-WG mit drei anderen Spielerinnen war es zunächst schwierig. „Das Putzen blieb meist an dem hängen, den es als erstes nervte. Das war oft ich. Der Müll blieb länger liegen, und das Zeug verschimmelte“, sagt sie mit Grausen. Und die Weißrussin Maryna Lis konnte sie nicht einmal dazu auffordern, den Müll rauszubringen. Sie hätte es schlicht nicht verstanden. Putzpläne gibt es immer noch nicht, doch inzwischen packen die anderen mit an – und bald zieht Omilade ohnehin aus, in eine Wohnung mit Stürmerin Aferdita Podvorica.

Vater Omilade war besorgt, als die Tochter nach Brandenburg zog. Er hatte Angst, sie könnte wegen ihrer dunklen Hautfarbe angefeindet werden. „Bisher ist nichts passiert. Ich vermeide es aber, früh um vier allein aus der Disco nach Hause zu gehen“, sagt Omilade. Das wird sie auch heute nicht müssen: Wenn Turbine Potsdam Deutscher Meister wird, wird die ganze Mannschaft die Nacht durchmachen. Um sich auf das Spiel einzuschwören, taten die Spielerinnen am Samstagabend das gleiche wie im Februar auf der Busfahrt nach Frankfurt: Sie schauten Omilades Lieblingsvideo „Gegen jede Regel“.

Helen Ruwald

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