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Sport: Geheimes Schach

In Dortmund will Kramnik wieder gewinnen

Der Weltmeister ist am Zug, aber er schaut nicht aufs Schachbrett. Die Augen geschlossen, die Ellenbogen auf der Tischkante, die Finger im schwarzen Haar vergraben. Sie sind zart wie die eines Pianisten, gehören aber dem Weltmeister im klassischen Schach, Wladimir Kramnik. Sechsmal hat der 29jährige Russe die Dortmunder Schachtage schon gewonnen, aber 2003 musste er Viorel Bologan den Turniersieg überlassen. Der gleiche Mann sitzt ihm nun, in der dritten Runde auf der Bühne des Schauspielhauses, wieder gegenüber. Bologan ist mit seiner Dame im 41. Zug auf die gegnerische Grundreihe vorgedrungen und hat Kramnik offenbar in Schwierigkeiten gebracht. Ein Bauer in der Nähe des Königs ist nicht mehr zu retten.

Immer noch meditiert Kramnik vor den Holzfiguren. Sucht er nach einer Rettung? Oder hat er sie längst gefunden und prüft in Gedanken noch einmal alle Varianten? Man weiß bei ihm nie, wie er sich fühlt, er lässt keine Regung erkennen.

Schließlich öffnet er die Augen und schiebt seinen Bauern nach c2. Alles exakt vorausberechnet: Kramnik gibt zwei Bauern, wird aber bald zwei zurückbekommen. Eine kleine Abtauschkombination, fünf Züge später reichen sich die beiden Großmeister die Hände: Remis. Um in das am Donnerstag beginnende Halbfinale vorzudringen, wird Kramnik aber auch mal gewinnen müssen. In der Hinrunde hat er gegen alle drei Gruppengegner nur remis gespielt: Zunächst gegen den 14-jährigen Wunderjungen Sergej Karjakin. Danach gegen Peter Leko, seinem nächsten Herausforderer. Das im September in der Schweiz beginnende WM-Finale Kramnik-Leko mag das schwerblütige Schach der beiden erklären. Auch Leko spielte gegen Bologan und Karjakin nur remis. Sicherlich würden sie in Dortmund neben ihrem Antrittsgeld auch gerne die 10 000 Euro Siegprämie mitnehmen, andererseits will keiner von beiden Geheimnisse preisgeben. Es ist unwahrscheinlich, dass Kramnik und Leko in Dortmund ihre neuesten Eröffnungsfeinheiten aufs Brett bringen. Zu bedeutend ist der Weltmeistertitel.

Kramnik wäre der 14. Titelträger. Seinen Weg nach oben verdankt er der Erkenntnis, dass Schach nicht Kunst allein ist. Seit fünf Jahren lebt der ehemalige Bohemien wie ein Leistungssportler, täglich joggt er oder schwimmt. Bologan sieht genau darin – weniger in Kramniks Talent – den Unterschied zu normalen Großmeistern: „Spieler wie Wladi haben eine enorm professionelle Einstellung, sie geben sich ganz dem Spiel hin, trainieren mehrere Stunden täglich.“ Der spielerische Unterschied sei hingegen nicht so groß wie allgemein angenommen.

Spürbar frei aufspielen kann in der anderen Vierergruppe auch der Inder Viswanathan Anand, der allerdings noch nie die Schachtage gewinnen konnte. Er ist zurzeit der erfolgreichste Turnierspieler, liegt in der Weltrangliste aber noch auf Rang zwei hinter Garry Kasparow, der sich in den Turniersälen rar gemacht hat. Nach seinem Sieg über den russischen Meister Peter Swidler führt Anand mit zwei Punkten vor Swidler und Rublewski (je 1,5), der Dortmunder Arkadij Naiditsch (1) ist Letzter.

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