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Zu Gast bei Freunden? Fifa-Boss Joseph Blatter, hier bei einem Besuch in Katar 2008, behauptet neuerdings, Deutsche hätten die Vergabe der WM zugunsten der Scheichs manipuliert. Foto: AFP

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Sport: Geld und Spiele

Künftig finden die größten Sportwettkämpfe der Welt dort statt, wo die Industriekonzerne neue Auftraggeber, Märkte und Kunden wittern: in Russland, Brasilien und wohl sogar im reichen Wüstenemirat Katar. Europas Politiker und Verbandschefs erklären ihren Widerstand und verweisen auf Sklaverei, Schmiergeld und Homophobie.

Wenn es nach den deutschen Bundesligaprofis ginge, würde die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar weder im Sommer noch im Winter stattfinden. Fast zwei Drittel aller Spieler sind grundsätzlich gegen die Endrunde im Wüstenstaat. Auf die Frage des Magazins „Kicker“, ob die WM im Sommer oder doch besser im Winter stattfinden solle, gaben 62 Prozent der Befragten die Antwort: „Gar nicht.“

Es steht nicht gut um dieses erste sportliche Megaereignis in der arabischen Welt. Das Image des Projektes ist ramponiert. Nach einem Bericht der Zeitung „Guardian“ sollen bei Arbeiten im WM-Gastgeberland fast 400 Wanderarbeiter allein aus Nepal ums Leben gekommen sein. Erste Berichte dieser Art gab die britische Zeitung im September vergangenen Jahres heraus. Die Quellenlage war in diesem Fall eher weich, die Reaktionen waren um so härter: Es sei furchtbar, die erschütternden Meldungen von den Baustellen in Katar zu lesen, richtete Wolfgang Niersbach aus. „Es reicht nicht aus, diese Missstände immer wieder zu beklagen, es muss schnellstens etwas Konkretes passieren“, sagte der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB).

Schon seitdem der Fußball-Weltverband Fifa die Endrunde 2022 im Dezember 2010 an das Land am Persischen Golf vergeben hat, ist die Wüsten-WM skandalbeladen: Ausbeutung, Korruption, Hitze, Homophobie sind die Schlagworte, die das Turnier ins Wanken bringen können – und mit ihm irgendwie auch die Fifa.

Michael Sommer, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und des Internationalen Gewerkschaftsbundes, verlangte, die WM nicht in dem Golf-Emirat auszutragen. „In einem Land, das von sklavenähnlich gehaltenen Wanderarbeitern seine Fußballstadien bauen lässt, darf keine WM gespielt werden“, sagte er. Mitte Februar wird sogar das EU-Parlament über die Missstände in Katar beraten. Der Deutsche Theo Zwanziger, derzeit Mitglied im Exekutivkomitee der Fifa, wird den Weltverband als Experte für humanitäre Belange in Brüssel vertreten.

Wie kann ein Fußball-Turnier, das erst in acht Jahren stattfinden soll, so viel Wirbel verursachen?

Man kann behaupten, es sei Hysterie, wenn sich Spitzenfunktionäre, Spitzenpolitiker und Medien ohne genaue Kenntnis der Faktenlage auf ein derart exotisches Thema einschießen. Vielleicht ist es aber auch nachvollziehbar: In Katar und – mit Abstrichen – auch bei den nun anstehenden Winterspielen von Sotschi gipfelt die Globalisierung des Sports. Dort wird sichtbar werden, wie perfekt er von wirtschaftlichen Interessen durchdrungen ist. Und das Geschrei ist wohl auch ein Stück Ausdruck eines Abschiedsschmerzes: Mit diesen Austragungsorten verliert der Westen endgültig die kulturelle Hegemonie über seine traditionellen Sportarten, die schon längst Weltkulturgut geworden sind.

Bis auf ganz wenige Ausnahmen (Japan und Korea) fanden Olympische Spiele und Fußball-Weltmeisterschaften stets im alten Europa oder von Europa kolonial geprägten Ländern statt. Und wenn nicht, gab es Boykotte (Moskau 1980), Proteste (Peking 2008) oder Wut-Briefe an TV-Sender, die dann den angeblich unzumutbaren Sound der Vuvuzela-Tröten aus der Tonspur nehmen mussten (Südafrika 2010). Aber es ist, wie es ist: Weil die westliche Industrie neue Absatzmärkte in den Schwellenländern sucht, gehen die Spiele dorthin, wo neues Geld zu holen ist. Das Ziel ist klar, der Weg dorthin aber dunkel. Nur dann und wann kommt etwas ans Licht.

So stehen mittlerweile immerhin 10 der 24 Exekutivkomitee-Mitglieder, die seinerzeit über die Vergabe der WM nach Katar abgestimmt hatten, unter dem dringenden Verdacht, Schmiergeld erhalten zu haben. Zwei Vertreter, die von Tahiti und Nigeria, hatten ihre Stimme für die WM-Vergabe zum Kauf angeboten und wurden dabei von Journalisten einer englischen Zeitung mit versteckter Kamera gefilmt. Die vier Exko-Mitglieder aus Kamerun, Argentinien, Guatemala und Paraguay sollen 20 Millionen US-Dollar erhalten haben. Seit 2011 gab es zwölf Rücktritte aus dem Exekutiv-Komitee. Franz Beckenbauer etwa verzichtete frei von Vorwürfen auf eine Wiederwahl, ihm folgte 2011 Zwanziger in das Gremium. Acht andere Rücktritte stehen in einem Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen (siehe Kasten).

Doch die Fifa schlägt zurück. Bereits im vorigen September hatte Fifa-Präsident Joseph Blatter in einem Interview mit der „Zeit“ gesagt: „Es gab direkte politische Einflüsse. Europäische Regierungschefs haben ihren stimmberechtigten Mitgliedern empfohlen, für Katar zu stimmen, weil sie große wirtschaftliche Interessen mit diesem Land verbinden.“ Zwei Monate später, im November 2013, konkretisierte er seinen Vorwurf: „Zwei der Länder, die Druck auf die Wahlmänner in der Fifa gemacht haben, waren Frankreich und Deutschland.“

Im Falle Frankreichs ist es naheliegend: Wenige Tage vor der Wahl der WM-Ausrichter 2018 und 2022 war Uefa-Präsident Michel Platini von Staatspräsident Nicolas Sarkozy zum Abendessen mit dem Emir und dem Premierminister von Katar in den Élysée-Palast geladen worden. Dass es dabei zu weitreichenden Absprachen und sogar finanziellen Vereinbarungen gekommen ist, hat der Uefa-Präsident jedoch energisch bestritten. „Mir war bewusst, dass Sarkozy die WM in Katar wollte, aber er hat nichts gefordert von mir“, sagt Platini. Im Februar 2012 ist dann bekannt geworden, dass sein Sohn Laurent in die Chefetage der Qatar Sport Investment (QSI) eingestiegen ist.

Doch Platini war mit Sicherheit nicht der einzige europäische Vertreter im Exekutivkomitee, der für den Golfstaat gestimmt hat. „Die Wahl Katars ist nach meinem Empfinden von den Europäern entscheidend beeinflusst worden“, sagt Theo Zwanziger, der frühere Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, dem Tagesspiegel. Also auch von den Deutschen?

„Ich habe weder Druck auf mich noch auf meine Kollegen gespürt“, sagt Franz Beckenbauer, der damals als Vertreter des DFB dem Exekutivkomitee angehörte. Wobei das Mandat an seine Person gebunden war und Beckenbauer sich nicht an Beschlüsse oder Empfehlungen des Verbandes halten musste. Es war und ist allerdings üblich, dass die DFB-Spitze sich vor solchen Entscheidungen intern abstimmt. Im Fall der WM 2022 hat sie sich für die USA ausgesprochen. Beckenbauer hat sich nie über sein Wahlverhalten geäußert. „Ich bin nie der Versuchung erlegen zu ergründen, wie er abgestimmt hat“, sagt Zwanziger. „Aber ich habe keinen Zweifel an der klaren mit uns abgestimmten Haltung von Franz Beckenbauer.“

Im entscheidenden Wahlgang setzte sich seinerzeit Katar mit 14 zu 8 Stimmen gegen die USA durch. In den Wahlgängen zuvor waren bereits Südkorea, Japan und Australien ausgeschieden. Ein oder zwei Tage vor jener Abstimmung im Dezember 2010 meldete sich Beckenbauer telefonisch aus Tokio bei Zwanziger. „Oh, oh, oh“, teilte er dem DFB-Präsidenten mit, „hier tut sich einiges Richtung Katar.“ Es klang nach Zwanzigers Erinnerung ehrlich überrascht und nicht hoffnungsvoll. Ein Kenner der Verhältnisse führt ein weiteres Indiz an, das dagegen spricht, dass Beckenbauer für den Golfstaat gestimmt hat: sein enges und gutes Verhältnis zu Blatter, der definitiv nicht aufseiten Katars war.

Die erste massive Kritik an der Fifa weitete sich vor wenigen Wochen noch weiter aus. Die großen Baufirmen, die in Katar aktiv sind und alle aus Europa stammen, seien auch für ihre Arbeiter und deren Arbeitsverhältnisse verantwortlich. Vor allem seit der WM 2006 ist deutsches Know-how weltweit gefragt. Bei der Folge-WM 2010 in Südafrika waren insbesondere deutsche Firmen dick im Geschäft: Lichtanlagen für die Stadien von Siemens, Stadionsitze aus Franken, Busse von MAN und Daimler. Insgesamt konnten Aufträge in Höhe von 1,8 Milliarden Euro an Land gezogen werden. Der ehemalige Wirtschaftsminister Rainer Brüderle rechnete vor, dass 15 000 Arbeitsplätze daran hingen. Für den FDP-Mann war Deutschland der große „Gewinner“ der ersten Fußball-Weltmeisterschaft auf afrikanischen Boden.

Allein in den Bau von Stadien und der unmittelbaren Infrastruktur hat Südafrika seinerzeit drei Milliarden Euro investiert. Die gesamten Investitionen Südafrikas zur WM in Verkehr und Transport, Umwelt und Tourismus, Kultur, Energie, Sicherheit und Kommunikation beliefen sich auf ein Vielfaches. Das Hamburger Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner erhielt den Zuschlag für drei der insgesamt zehn WM-Stadien am Kap – ein 400-Millionen-Euro-Deal. Selbst für die deutsche Rüstungsindustrie fielen damals WM-Millionen ab. Als Sicherheitsmaßnahme bestellte das Gastgeberland bei der Firma Diehl in Nürnberg Luft-Luft-Lenkflugkörper.

In Katar geht es um noch mehr: Das Investitionsvolumen für die zwölf geplanten Stadien wird ebenfalls auf drei Milliarden Euro geschätzt, insgesamt wollen die Scheichs für die Endrunde 2022 aber bis zu 37 Milliarden buchstäblich in den Sand setzen. Und da sind noch gar nicht die Unsummen enthalten, die das Königshaus in Programme zur Modernisierung seines Landes pumpt, um sich für 2022 aufzuhübschen. Hier streiten deutsche Industrieunternehmen mit Wettbewerbern aus den USA, Frankreich und Südkorea um das größte Stück vom Auftragskuchen.

So war die Deutsche Bahn lange als Generalplanerin für die mehr als 600 Kilometer Regionalbahn und U-Bahn für die Hauptstadt Doha im Spiel, allein das ein 26-Milliarden-Euro-Projekt. Heute ist der bundeseigene Konzern nur noch beratend tätig, andere Firmen sind aber weiter im Geschäft: Die Planungsgesellschaft Dorsch aus Offenbach koordiniert etwa den begonnenen Bau der Retortenstadt Lusail City für bis zu 200 000 Einwohner. Im Herzen von Lusail soll auch das Endspiel-Stadion entstehen. Siemens liefert U-Bahnen, Sicherheitstechnik und sicher noch viel mehr. Es sind ja noch acht Jahre hin.

Der Erfolg lässt sich zum Teil mit der gelieferten Produktqualität und Technologieführerschaft der deutschen Industrie auf einigen Feldern erklären, ohne die Nachhilfe der Politik aber wären diese Erfolge – gerade in der arabischen Welt – kaum denkbar. Zumal auch Samsung und General Electric (GE) bewährte Infrastrukturgüter liefern. Seit etwa acht bis zehn Jahren sind deutsche Spitzenpolitiker daher Stammgäste in dem Emirat. Ob Gerhard Schröder, Christian Wulff oder Angela Merkel: Sie alle haben Scheich Tamim bin Hamad Al Thani besucht, stets mit großen Unternehmerdelegationen im Gefolge. Auf dieses Engagement spielte der Fifa-Chef Blatter seither an.

Da sah sich die Bundesregierung vergangenen November genötigt, auf Blatters Vorwurf einer Einflussnahme Deutschlands zu erwidern, „dass es zu keiner Zeit eine Empfehlung an ein deutsches Fifa-Exekutivmitglied gegeben hat“, wie ein Regierungssprecher sagte.

Auch der damalige DFB-Präsident Zwanziger bestätigt, dass es vonseiten der deutschen Regierung keinerlei Kontakt gegeben habe. Er habe in dieser Zeit lediglich einen persönlichen Anruf vom damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff erhalten. Das habe Wulff selbst bestätigt. Der Bundespräsident habe seinerzeit wissen wollen, wie der DFB zu Katar stehe. Zwanziger habe ihm geantwortet, dass der Verband Katar nicht präferiere. Als Einflussnahme habe er das nicht empfunden. Es gab keine bundespräsidiale Empfehlung, über ein Votum für Katar nachzudenken. „Das Gespräch diente dem damaligen Bundespräsidenten nach meinem Empfinden nur zu Informationszwecken“, erinnert sich Zwanziger.

Klingt plausibel – und belegt doch nichts. Denn Beckenbauer muss ja nicht für Katar gestimmt haben. Es scheint sogar unwahrscheinlich, dass Politiker und Lobbyisten versucht haben, den Kaiser unter Druck zu setzen. Wahrscheinlicher wäre, dass sie Einfluss auf Wahlmänner anderer Nationen genommen haben. Fragt man zum Thema Katar bei Deutschlands sonst auskunftsfreudigen Großkonzernen wie Volkswagen oder Siemens nach, verlaufen Recherchen schnell im Sande. Zu groß ist wohl die Sorge, die Vision einer innovativen und damit für westliche Ausrüster lukrativen WM könnte doch noch in Gefahr geraten werden.

In der Tat haben die Katarer Großes vor. Sie wollen ein Beispiel geben: „Wir haben ein starkes Interesse und auch das Geld, um die innovative, nachhaltige Sport-Technologie mit ausländischer Hilfe voranzutreiben. Davon können alle Länder profitieren, die wie wir in der Wüste angesiedelt sind“, fasst der Berliner Unternehmensberater und Katar-Experte Jürgen Hogrefe die Argumentation der Katarer zusammen.

Das Konzept sieht zum Beispiel vor, dass die Spielstätten in Modulbauweise konstruiert werden. Die Katarer wollen die Stadien, für die sie abschließend selbst keinen Bedarf haben, nach dem Turnier den Ländern in der Wüstenzone der Welt kostenlos zur Verfügung stellen. So werden aus einem Stadion mit mindestens 40 000 Sitzplätzen gemäß Fifa-Auflage bis zu vier kleine Stadien für Bangladesch oder Sudan. Der Strom für die nötige Kühlung der Stadien und öffentlichen Plätze soll durch Solarenergie gewonnen werden. Auch der Tagesspiegel konnte sich bei Besuchen vor Ort überzeugen: Die Katarer sind ratlos, gingen sie doch bisher davon aus, ihr Konzept müsse für den Westen klingen wie Energiewende 2.0, wie ein Nachhaltigkeitsbericht XXL.

„In Katar wundert man sich, dass ausgerechnet aus Deutschland derart heftige und – wie sie finden – nur teilweise berechtigte Vorwürfe kommen“, sagt Landeskenner Hogrefe. Die Deutschen würden zu ihren Wunschpartnern für Entwicklung gehören. „In Doha vermuten einige, dass die Berichterstattung womöglich im Kern auf einige Fifa-Funktionäre zielt, die sich für Katar stark gemacht haben“, sagt Hogrefe weiter.

Er sieht in den deutschen Berichten über die angebliche Sklavenarbeit eine „Doppelmoral“. Auch Deutschland benutze billigste Arbeitskräfte, hole die nur nicht ins eigene Land, sondern lasse in Ländern wie Bangladesch produzieren. Die Regierung in Katar wisse, dass man den kriminellen Arbeitgebern das Handwerk legen muss. Mit inszenierten Baustellen-Razzien oder dergleichen ist aber wohl nicht zu rechnen. „Es entspricht nicht der Mentalität der Golf-Araber, sich aktiv zu verteidigen, wenn sie öffentlich angegriffen werden.“

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