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Sport: Geliebter Feind

Die Bayern stellen vor dem Derby gegen 1860 fest, dass sie den Rivalen in der Bundesliga brauchen

München. Der freundliche Satz ist eine hübsche Reminiszenz an alte Tage, in denen das Stadtduell Umschlagplatz verächtlicher Polemiken war. „Ich darf Sie zum 199. Münchner Lokalderby gegen den TSV 1960 ganz herzlich begrüßen“, steht im Stadionheft zum heutigen Spiel des FC Bayern München und TSV 1860 München geschrieben. Unterzeichnet ist der kleine Fauxpas mit: der Vorstandsvorsitzende. Weil sich aber mit einiger Sicherheit sagen lässt, dass Karl-Heinz Rummenigge nicht selbst an der Tastatur saß, ist ihm dafür keine Schuld anzulasten, doch selbst wenn er den Tippfehler angeordnet hätte, man wäre ihm beinahe dankbar für diese kleine Gemeinheit.

Zwischen den Fußballfirmen von der Säbener und der Grünwalder Straße ist ein bruchfestes Zweckbündnis entstanden, das für die romantische Vorstellung rivalisierender Nachbarn keinen Platz lässt. Das gemeinsame Stadionprojekt Allianz Arena fesselt die beiden Klubs aneinander, und so ist es nicht bloß als freundliche Floskel zu werten, wenn Bayerns Manager Uli Hoeneß sagt: „Die Löwen dürfen einfach nicht absteigen.“ Sollte 1860 die momentane Talfahrt bis in die Zweite Liga fortsetzen, könnte dies auch für die gemeinsame Stadion-GmbH einen Einnahmeverlust bedeuten. Für den Austausch von Feindseligkeiten ist also kein Platz mehr. Es geht ums Geld.

Für die Namensrechte am neuen Stadion im Norden der Stadt, in dem in gut einem Jahr erstmals der Ball rollen soll, hat der Allianz-Konzern kräftig investiert. Wie hoch die Summe genau sein wird, hängt jedoch vom Erfolg beider Vereine ab. Die Höchstsumme von 80 Millionen Euro wird nur dann überwiesen, wenn die Bayern in der Champions League spielen und 1860 in der Bundesliga. Allein deshalb wäre den Harlachingern an einem Klassenerhalt der Giesinger gelegen.

Dass sich der Großkonzern FC Bayern AG dem klammen Mittelstandsbetrieb TSV 1860 verbunden fühlt, demonstrierten Hoeneß und Rummenigge bereits, als sie den kleinen Nachbarn im vergangenen Jahr mit zum Treffen der Runde der acht vermeintlich größten Klubs der Liga (G8), einer trotzig ins Leben gerufenen Oppositionsrunde zur Deutschen Fußball-Liga, mitnahmen.

Rot und Blau schimmert neuerdings also harmonisch violett. Zu einer ersten und der bislang einzigen Zankerei in ihrer neuen Partnerschaft kam es beim Bekanntwerden des Stadionskandals. Karl-Heinz Wildmoser junior, bis dato einer der beiden gleichberechtigten Geschäftsführer, hatte sich dem Vorwurf der Staatsanwaltschaft zufolge am Stadionbau um 2,8 Millionen Euro persönlich bereichert (nun wurde bei ihm und seinem nach wie vor ebenfalls verdächtigen Vater Karl-Heinz Wildmoser jeweils die Schadenssumme gepfändet). Uli Hoeneß, der es nicht schätzt, getäuscht zu werden, forderte daraufhin, fortan solle nicht mehr jeder einen Geschäftsführer für die Stadion-GmbH stellen, sondern neben dem des FC Bayern solle es einen neutralen Vertreter geben. Man einigte sich auf eine Dreier-Lösung: Ein FC-Bayern-Gesandter (Vizepräsident Bernd Rauch) kümmert sich um den Bauablauf, ein 1860-Vertreter (Walter Leidecker) um die Finanzen, und der vereinslose Peter Kerspe um Betrieb und Vermarktung der neuen Arena.

Trotz aller geschäftlicher Verbandelung, auf dem Spielfeld dürfen die Sechziger einen nachbarschaftlichen Solidaritätszuschlag in Form eines freundschaftlich angebotenen Unentschiedens nicht erwarten. „Für uns geht es um alles – die Meisterschaft, für die Löwen geht es um die Existenz“, fasste Bayerns Kapitän Oliver Kahn zusammen. Fast bat er um Entschuldigung, dass für gegenseitige Anteilnahme kein Platz sei. „Am Sonntag muss man all das leider ausblenden“, sagte der Torhüter. Gerald Vanenburg, Sechzigs neuer Trainer und in der Saison, in der die Löwen letztmals ein Derby gewannen (1999/2000), noch als Spieler im Kader, hat sich der spezielle Reiz des Stadtduells ob der prekären Lage diesmal nicht recht erschlossen. „Wir könnten auch gegen Gladbach oder Hertha spielen“, sagt Vanenburg, „wenn wir verlieren, ist auch das Scheiße.“

Daniel Pontzen

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