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Sport: Gereizt ins Paradies

Vor dem entscheidenden Spiel der Bayern in Glasgow gibt es Streit im Verein

München. Eine Halbzeitpause ist keine lange Zeit, erst recht nicht, wenn grelle Gewinnspiele und Bierwerbungen darin Platz suchen, doch Karl-Heinz Rummenigge reichten ein, zwei Minuten völlig aus, um seine Botschaft sehr anschaulich zu vermitteln. „Enttäuscht, verärgert, absolut unzufrieden“, fauchte Rummenigge, und in loser Reihenfolge ergänzte er die Worte „indiskutabel, schwarz, blamabel“. Nie hatte der Vorstandschef seinen Zorn über die Leistung des FC Bayern so deutlich in eine Kamera gesprochen wie während des letztjährigen Champions-League-Spiels in La Coruña. Die Bayern verweigerten damals jede Gegenwehr, verloren 1:2 und schieden aus. Am Dienstagabend steht so etwas wie eine neue letzte Chance an, diesmal bei Celtic Glasgow (20.45 Uhr, live bei Premiere). Sollten die Bayern bei den zuletzt 12-mal siegreichen Schotten verlieren, wären das Ausscheiden und der damit verbundene Gesichtsverlust auf Europas Bühne kaum abzuwenden.

Die Stimmung ist deshalb gereizt. Kahn gegen Hargreaves, Ballack gegen Rummenigge, Sagnol gegen Ballack: Die Liste der geräuschvoll ausgetragenen Differenzen der in dieser Saison sehr streitlustigen Bayern hat einen neuen Eintrag erhalten. Diesmal empörte sich Spielmacher Michael Ballack wortreich über Uli Hoeneß. Der Manager hatte am Wochenende erklärt, Ballack sei in Folge der Dauerbelastung bei Verein und Nationalmannschaft zurzeit nicht fit. Was als Beistandsrede zugunsten des Mittelfeldspielers gedacht war, empfand dieser als überflüssiges Geschwätz. „Wenn man permanent sagt, ich könne nicht laufen, liegt Hoeneß in seiner Wortwahl gehörig daneben“, stänkerte Ballack im „kicker“. Und fügte trotzig an: „Wenn man glaubt, dass ich der Mannschaft nicht helfen kann, sondern ihr schade, muss man mir das sagen – ganz offen, nicht über die Öffentlichkeit.“

Abwegig ist Hoeneß’ Beobachtung nicht. Ballack wirkt chronisch überspielt und konnte der Mannschaft zuletzt keine Impulse geben. Genau daran mangelte es bei Bayerns internationalen Auftritten in dieser und der vergangenen Saison: Die Antriebslosigkeit der vermeintlichen Führungsfiguren zog schlaffen Verlegenheitsfußball nach sich. Prägnantestes Beispiel: die 40 Minuten nach dem Gegentor zum 1:2 gegen Olympique Lyon vor drei Wochen, als die Bayern so hilflos agierten, dass sie vermutlich bis zum zweiten Advent hätten spielen können, ohne ein Tor zu schießen. Die fruchtbare Verbindung aus Entschlossenheit und spielerischer Überlegenheit, die sich nach langer Zeit erstmals vor zwei Wochen gegen Dortmund angedeutet hatte, war beim 1:0-Derbysieg am Sonnabend wieder verwelkt.

Es gibt nicht viele Quellen der Zuversicht vor der Aufgabe im „Paradies“, wie die Schotten den Celtic-Park nennen. Ottmar Hitzfeld bemüht sich, Optimismus aus der Bedeutung des Ereignisses zu schöpfen. „Es ist das Spiel der Saison“, sagt der Trainer, „ich bin davon überzeugt, dass die Mannschaft eine Topleistung abrufen wird.“ Etwas parolenhaft klang das. Bei einem Ausscheiden, weiß Hitzfeld, würde seine Wirkkraft wie im Vorjahr einer wenig sensibel geführten Debatte unterzogen. Noch haben die Bayern die Möglichkeit, aus eigener Kraft das Achtelfinale zu erreichen. Ein Blick auf die Statistik empfiehlt sich jedoch nicht. Seit 62 Spielen hat Celtic auf eigenem Grund kein Spiel mehr verloren. Es liegt verdammt nah am Abgrund, das Paradies.

Daniel Pontzen

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