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Gespaltene Seele: Hertha und die Fans: Die Wand hat Risse

Lange hielten die Hertha-Fans zu ihrem kriselnden Klub. Zuletzt zeigte sich aber, wie gespalten die Seele der Kurve manchmal ist.

Morgen dürfen sie gegen Borussia Dortmund noch einmal zusammenstehen, ehe das Sportgericht des DFB sie für ein Spiel aus ihrer Kurve verbannt. Aber was heißt das schon – zusammenstehen?

Auf den ersten Blick standen die Fans von Hertha BSC auch vor einer Woche im Gästeblock von Wolfsburg hinter ihrem Team, wie immer. Schnell wurde aber deutlich, dass es keine blau-weiße Wand war, die Hertha gegen den Meister anfeuern wollte. Die Wand hatte einen Riss bekommen. Man konnte den Riss hören. Nur ein paar wollten noch singen, ihr zaghafter Versuch einer Versöhnung wurde übertönt. Plötzlich schallte es aus einem Teil des Blocks: „Absteiger, Absteiger!“ Doch genauso deutlich wie der Hohn aus dem Block auf den Rasen drang, genauso deutlich war auch, dass nicht alle Fans mit der Mannschaft gebrochen hatten – viele jubelten über die fünf Tore ihres Klubs. Zwei gegensätzliche Reflexe auf die Geschehnisse der letzten Wochen.

„In Wolfsburg hat sich eine unterschiedliche Auffassung zu der Frage gezeigt, wie man sein Fan-Sein auslebt“, sagt Hertha-Fan Manfred Sangel. Der 50-Jährige ging schon zu Hertha, als viele der Fans, die am Sonnabend wie er im Olympiastadion gegen Borussia Dortmund sein werden, noch gar nicht geboren waren. Sangel findet, dass sich die jüngeren Ultras „im Ton vergriffen“ haben, als sie die eigenen Spieler als Absteiger beschimpften – auch wenn sie zuvor die Mannschaft während der schwierigen Saison vorbildlich unterstützt hatten. Aber so sei das nun mal in einer riesigen Kurve, in der es „wahnsinnig viele Charaktere und Lebensweisen“ gibt, aktive und passive Fans, Leute aus Berlin und aus dem Umland aufeinandertreffen: „Vom Hartz-IV-Empfänger bis zum Richter ist alles dabei.“ Ralf Busch, der das Berliner Fanprojekt leitet, fasst das Problem so zusammen: „Man darf sich das nicht als homogene Masse vorstellen.“

Jedes Wochenende spielen sich nicht nur in der Hertha-Kurve viele Episoden ab, verbunden durch komplizierte Handlungsstränge. In den Hauptrollen: Kutten, Alte und Supporters. Ultras, Suptras, Hooligans. Das Ensemble verkompliziert sich dadurch, dass stets alle Beteiligten energisch mit hochrotem Knopf die Meinung vertreten, die wahren Darsteller zu sein, „die Fans“. Wäre da nicht der kleine gemeinsame Nenner – der Lieblingsverein – , sie wären so herzlich aneinander interessiert wie Wagner-Liebhaber und Jürgen-Drews-Jünger. Da sind Modetrends, Jugendkulturen, die sich alle paar Jahre entwickeln und die Kurven immer wieder spalten. Die Älteren empfanden die Jungen mit ihren Tröten merkwürdig, die breitbeinigen Hooligans in ihren Jogginghosen und Lederjacken schämten sich für die schnauzbärtigen Kutten mit ihren Fanclubaufnähern. Die Ultras von heute wiederum basteln Choreographien, folgen ihrem Vorsänger „Capo“ und verstehen sich als unabhängige Jugendbewegung, die sich vom DFB und der Polizei nichts sagen lässt. Und oft auch nichts von anderen Fans oder vom eigenen Verein.

Als sich die Hertha-Ultras 2007 nach mehreren Festnahmen und Stadionverboten ungerecht behandelt fühlten und die Ostkurve einige Wochen verließen, um sich schweigend in den Oberring zu setzen, war die Folge nicht zu überhören: Ohne Vorsänger war es still im Stadion, weil es in der neuen Hierarchie keinen gab, auf dessen Kommando Tausende hörten. „Früher gab es eine gewisse Hackordnung im Fanblock, Ansehen musste man sich erarbeiten“, erzählt Sangel. „Wenn du jung warst, standest du ganz unten und hattest nichts zu melden. Das hat sich im Prinzip umgekehrt.“ Sangel klingt entspannt, wenn er über diese Tatsache spricht. Andere ältere Fans haben größere Probleme damit.

Trotz aller Unterschiede ist in Herthas Fangemeinde eigentlich ein „großer Zusammenhalt da“, findet Ralf Busch. In vielen deutschen Stadien ist das anders. In Mönchengladbach etwa sitzen die Ultras im Oberring, während unten die Fans mit den Achtzigerjahre-Mützen aus Ballonseide johlen. Beim FC Bayern München gibt es je einen Fanblock hinter den beiden Toren. Ganz extrem ist es seit Jahren bei Hansa Rostock: In der einen Ecke des Ostseestadions sitzen die Fans mit ihren Trommeln und Tröten, gegenüber, einmal diagonal über den Platz, stehen die Ultras in ihrem gefürchteten Block „27a“. Die Stimmung dort ist prächtig, energisch, laut – nur leider verstehen die militanten Herrschaften es auch in Perfektion, Auswärtsfans zu verdreschen und deren Schals zu erbeuten.

Noch ist nicht abzusehen, welchen Effekt das Sportgerichtsurteil des DFB haben wird

Bei Hertha war von derartigen Rissen bislang wenig zu spüren. „In der letzten Saison war Friede, Freude, Eierkuchen“, sagt Steffen Toll. Er ist der Vorstandsvorsitzende des „Förderkreis Ostkurve“, dessen oberstes Ziel es ist, „die Stimmung und den Zusammenhalt in der Ostkurve zu fördern und zu verbessern“, wie es auf der Internetseite der Fanvereinigung heißt. Auch wenn Toll nach dem dramatischen Spiel gegen Nürnberg und der Konfrontation in Wolfsburg jetzt vor „Selbstzerfleischung“ warnt, sagt er: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass jetzt alles kaputt geht.“ Auch Ralf Busch vom Fanprojekt möchte nicht von einer „Spaltung“ sprechen, sagt aber auch: „Man muss jetzt zusehen, dass sich die kleinen Risse wieder glätten.“ Noch ist nicht abzusehen, welchen Effekt das Sportgerichtsurteil des DFB haben wird. Die Spannungen könnten sich verschärfen, zumal auch die an der Randale unbeteiligten Fans vom Heimspiel gegen Stuttgart ausgesperrt sind. „Das Urteil könnte die Sache schwieriger machen, das könnte einen Knacks geben“, glaubt Manfred Sangel.

Die kleine Risse sind nicht erst in den vergangenen zwei Wochen zum Vorschein gekommen, die sportlich desaströse Saison des Berliner Bundesligisten hatte schon vorher Spuren hinterlassen. Während viele Fans schon früh begannen, den Kopf von Trainer, Manager oder von Spielern zu fordern und die „Scheiß-Millionäre“ beschimpften, sangen die Ultras trotzig ihre Liebeslieder und übertönten damit Pfiffe und Herumgeätze anderer Fans. Mit dem NürnbergDesaster kippte die Stimmung – die Rollen wurden getauscht.

„Bis zum Spiel gegen Nürnberg hatten wir immer noch Hoffnung, dass die Mannschaft den Klassenerhalt schafft“, sagt einer aus dem Umfeld der Ultras. „Wir wollten nicht aufgeben, deshalb haben wir immer weiter angefeuert.“ Dann aber, vor zwei Wochen, gab es die Niederlage gegen Nürnberg, Ausschreitungen nach dem Abpfiff, Stadionverbote bis 2013 für einige der härtesten Fans.

Beim Spiel in Wolfsburg habe man die neue Realität dann einfach anerkannt. „Wieso sollen wir die Mannschaft noch anfeuern, wenn sie den Klassenerhalt ohnehin nicht schaffen wird?“, fragt der den Ultras nahe Fan. „Unser Unmut richtet sich eben nicht gegen den gesamten Verein, sondern explizit gegen diese Spieler, von denen wir uns verschaukelt vorkommen.“ Bei ihrer demonstrativen und lautstarken Abkehr von der Mannschaft nahm die jüngere Fraktion bei Hertha in Kauf, ältere Fans zu verärgern – die haben die Zweite Liga erlebt, „Absteiger“-Rufe sind bei ihnen tabu.

Noch ist unklar, ob der Riss in Herthas Kurve größer wird – oder schnell wieder gekittet werden kann. „Da wird viel auf das Spiel am Sonnabend ankommen“, sagt Ralf Busch. Manfred Sangel ist „vorsichtig optimistisch“; was passieren wird, sei aber „extrem spielabhängig“. Steffen Toll und der Förderkreis Ostkurve wollen, dass die Hertha-Fans wieder eine Einheit bilden: „Das Wichtigste ist, dass man in den Dialog kommt und ein paar Sachen ausräumt.“ Wie die Ultras gegen den BVB auftreten werden, ist noch unklar. „Das wird vielleicht erst in der Nacht vor dem Spiel entschieden, zurzeit ist alles etwas durcheinander“, heißt es.

Dieses Durcheinander war auch nach dem 5:1 in Wolfsburg zu sehen. Plötzlich, als alles verloren schien, hatten die vermeintlichen Absteiger ein überragendes Spiel gezeigt. Und so blieben die Fans nach dem Sieg sichtlich verwirrt auf ihren Plätzen zurück. Auf ihren Gesichtern spiegelte sich die ganze Zerrissenheit dieser Tage, die Ambivalenz dieser Saison, die Schizophrenie der Kurve, zwischen hoffen und hassen. Es hatte ganz den Anschein, als wisse niemand in diesem Block, egal ob Ultra, Kutte oder Freizeitfan, wie er reagieren soll. Die kollektive Verwirrung der Herthaner entlud sich schließlich in einer Übersprunghandlung, die fast schon satirische Züge hatte. Sie skandierten: „Hoeneß raus! Hoeneß raus!“ Alle gemeinsam.

Von einem Riss war in diesem Moment nichts zu sehen.

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