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Sport: Gewagt und gewonnen

Skifahrerin Hilde Gerg ist zurück in der Weltspitze – dafür hat sie nach ihrer Verletzung viel riskiert

Hilde Gerg wusste sofort, dass etwas Besonderes passiert war. Ihre Tochter redete übers Skifahren. Das macht sie sonst nie, wenn sie zu Hause, bei den Eltern in Lenggries, anruft. Sie ruft regelmäßig an, aus allen möglichen Wintersportorten, von überall dort, wo der Ski-Weltcup-Zirkus gerade gastiert. Hilde Gerg, die Slalom-Olympiasiegerin von 1998, fragt dann, wie es ihrem jüngeren Bruder geht oder ob bei der Mutter gesundheitlich alles in Ordnung ist. „Sie will in solchen Momenten nichts vom Skifahren wissen“, sagt Mutter Gerg. Aber beim letzten Telefonat war es anders. „Da hat sie viel übers Skifahren geredet.“ Über ihren Sieg bei der Abfahrt von Cortina d’Ampezzo genauer gesagt. Dieser Sieg war der Beweis: Hilde Gerg ist wieder da. So präsent, so erfolgreich, wie man das kaum erwarten konnte. Denn nach diesem Sieg übernahm Hilde Gerg die Führung in der Abfahrts-Weltcupwertung. „Und nichts wünscht sich Hilde lieber als die Super-G- und die Weltcup-Abfahrts-Gesamtwertung zu gewinnen“, sagt der deutsche Cheftrainer Wolfgang Maier.

Das wäre ein riesiger sportlicher Erfolg, aber das ist nur das eine. Vor allem aber hätte damit auch die Kämpferin Gerg ihre größte Genugtuung gefunden. Das ist der andere Punkt. Aufstehen, nicht aufgeben, das treibt sie an. So gesehen ist die 28-Jährige eine typische Weltklasse-Sportlerin.

Aber das nutzte ihr nichts am 7. Dezember 2002. Ab diesem Tag musste sie allein klar- kommen. Einen Tag zuvor hatte sie in Lake Louise die Abfahrt gewonnen, einen Tag später riss das Kreuzband in ihrem linken Knie. Hilde Gerg war wieder unten. Ein medizinischer Fall. Ein Fall für die Leute, die ihr rieten, aufzuhören, 27 sei schließlich ein ideales Alter dafür.

Aber da Hilde Gerg nicht aufgab, ist sie wieder da. Und wie. Sie hat in dieser Saison schon den Super-G von Veysonnaz gewonnen, sie beendete die Abfahrten von St. Moritz und Veysonnaz jeweils auf Platz zwei. Aber einen Sieg in der Abfahrt hatte sie noch nicht. Erst Cortina vollendete die furiose Rückkehr der Hilde Gerg. Denn in der Super-G-Gesamtwertung liegt sie auch auf Platz eins. Insgesamt fünfmal in den letzten sieben Rennen stand sie auf dem Podest.

Es ist ihr zweites großes Comeback. Und vielleicht hat es geklappt, weil Hilde Gerg das alles schon mal durchgespielt hat. Die Leiden, diesen Kampf gegen die Gedanken ans Aufgeben. Damals, nach diesem Tag im Februar 2000, hatte sie auch durchgehalten. Hilde Gerg war beim Training in Maria Alm so schwer gestürzt, dass sie höchst kompliziert ihr rechtes Schienbein brach. Monatelang hatte sie danach einen 20 Zentimeter langen Nagel im rechten Schienbein. Sie hätte Schluss machen können, sie war Olympiasiegerin, sie hatte bei Olympia 1998 auch noch Bronze gewonnen, in der Kombination, sie hatte 1997 bei der WM zwei dritte Plätze erreicht. Aber sie quälte sich. „Ich bin froh, dass ich nicht aufgegeben habe“, sagte sie später. „Es war oft schmerzhaft, aber der Sport gibt mir alles zurück.“

Diesmal, bei ihrem zweiten Comeback, war es doch anders. Die Kämpferin Hilde Gerg war zugleich die Hasardeurin Hilde Gerg. Und dass sie jetzt ganz oben steht, hat mit viel, viel Glück zu tun. Denn zwölf Tage nach ihrem Kreuzbandanriss fuhr sie die Abfahrt in Lenzerheide. „Es ist ein Wahnsinn, das Knie so zu belasten“, sagte Josef Poschenrieder, Arzt in der Orthopädischen Klinik Bad Wiessee, wo sehr viele Topsportler betreut werden. Es ging gut, es ist nichts passiert, im März ließ sich Hilde Gerg doch noch operieren.

Hilde Gerg sah natürlich kein Risiko in Lenzerheide. Sie hatte ihren Trainern bloß gesagt: „Ich fahre da jetzt runter.“ Thema erledigt. Das passt zu einer, die „sehr selbstbewusst ist und sich sehr oft durchsetzt“ (Mutter Gerg). Hilde, die Tochter, hatte früh damit begonnen. Sie war noch ein junges Talent beim SC Lenggries, als sie sagte, sie wolle mal im Weltcup fahren. „So ein Schmarr’n, lass das doch sein. Ist doch viel zu schwierig“, grantelte Vater Stefan Gerg. „Aber der Kommentar hat sie nur angestachelt“, sagt die Mutter. Die Tochter setzte auch durch, dass sie ans Christopherus Gymnasium nach Berchtesgaden wechselt. Die Mutter wollte, dass sie in Garmisch-Partenkirchen bleibt. In Berchtesgaden ist die Betreuung der Schüler besser, beharrte die Tochter.

Die Mutter hat längst aufgegeben, ihrer Tochter irgend etwas zu sagen. Ihr bleibt nur, deren Abfahrten nach dem Kreuzbandriss „mit gemischten Gefühlen zu beobachten“ und zu hoffen, dass nichts passiert. Die Angst ist berechtigt. Das Knie, hat Hilde Gerg, die Athletin, bemerkt, ist immer noch nicht voll belastbar. Und Maier sagt: „Sie geht in bestimmten Momenten noch immer nicht an die Grenze.“

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