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Gewalt: Dresden im Abseits

Die Stadt ist berühmt für barocke Pracht – und rabiate Fußballfans von Dynamo Dresden. Die Dynamos Ultras langten neulich wieder zu. Heute, beim Heimspiel gegen den alten DDR-Rivalen Erzgebirge Aue, ist die Nervosität groß.

Raketen zischen quer über den Platz, Betonbrocken prasseln auf den Rasen. Ins Stadion rollt ein Wasserwerfer, der Schiedsrichter ist kurz davor, die Partie abzubrechen. Schon vor dem Spiel zogen randalierende junge Männer durch die Stadt, den Schlachtruf „Ausländer raus!“ auf den Lippen. Das Fernsehen wird später von den „schwersten Ausschreitungen im deutschen Fußball“ berichten. Die Bilder sprechen eine klare Sprache: In Dresden hausen die Hooligans.

Die Szenen ähneln denen, die im Oktober beim Spiel gegen Dortmund ganz Deutschland schockierten. Doch was hier beschrieben wird, liegt bereits 20 Jahre zurück. Im März 1991 spielte Dynamo Dresden als letzter Landesmeister der untergegangenen DDR im Europapokal gegen Roter Stern Belgrad. Das Hinspiel in Jugoslawien hatte 3:0 für den Hausherrn geendet, noch auf der Heimfahrt in zerbeulten Fanbussen riefen die Dresdner die Parole für das Rückspiel aus: Rache für Belgrad! Tausende folgten dem Schlachtruf ins Dresdner Rudolf-Harbig-Stadion, dessen marode Tribünen brockenweise auf den Rasen flogen, als Belgrad in Führung ging. In der 78. Minute wurde das Spiel abgebrochen. Es war Dynamos unrühmlicher Abschied von der internationalen Bühne.

"Damals haben sie den Scheinwerfer über uns angeknipst", sagt Jens Hieckmann, 47, weicher Dresdner Dialekt, kräftiger Körperbau. "Der brennt bis heute." Niemand, der besser Bescheid wüsste über Dynamo als „der Hicki“, sagen Leute, die ihn kennen, und das tun eigentlich alle. Seit 40 Jahren geht er ins Stadion, sein Revier ist die Kurve, Stehblock K.

Auf dem heimischen Sofa erzählt er von seiner großen Liebe, seinen „schwarz-gelben Männeln“. Vom Bierchen mit Kultspieler Ansgar Brinkmann in der Kabine, von den Machtkämpfen der Nachwendezeit, dem tiefen sportlichen Fall in die vierte Liga. Und vom Schicksalsspiel gegen Osnabrück im vergangenen Mai, als die Dynamo-Anhänger, ergebnisarithmetisch mit dem Rücken zur Wand, schon vor Spielbeginn sangen: „Wir gewinnen sowieso.“ Und wie sie nach dem Siegtreffer den Platz stürmten, endlich zurück in Liga zwei.

Zu Oberligazeiten war die Sportgemeinschaft Dynamo, gegründet 1953, der beliebteste Fußballverein der DDR, mit Fans von Erfurt bis zur Ostsee. Die Dresdner waren die Einzigen, die dem Serienmeister BFC Dynamo dauerhaft Paroli bieten konnten, ein ums andere Mal schnappten sie dem Stasi-Klub aus Berlin die sicher geglaubte Trophäe weg. Acht Mal Meister, sieben Mal Pokalsieger, so steht es auf den Wimpeln im Fanshop. Heute, wo in der ersten Bundesliga kein Vertreter aus den neuen Ländern mehr spielt, gilt Dynamo vielen als letzte große Hoffnung des Fußball-Ostens.

Trotz der sportlichen Erfolge aber sind die Sympathiewerte für Schwarz-Gelb im Keller. Die ständigen Ausfälle der Anhänger haben den Ruf ramponiert. Die Krawallnacht von Dortmund vor vier Wochen, die mit 15 Festnahmen endete: ein weiterer Tiefschlag. „Dynamo ist in der Beziehung ’ne Marke“, sagt Hieckmann.

In der Heimat würde man auf diese Art von Ruhm gerne verzichten. Vor einigen Tagen erst druckte die „Sächsische Zeitung“ eine ganze Seite Leserbriefe: Unterentwickelte Straftäter! Verein auflösen! Schickt das SEK in den Block!

Auf ihre Stadt lassen die Dresdner nichts kommen. Gerade jetzt, wo sie so schön rausgeputzt ist. Die Frauenkirche steht wieder, Semperoper und Staatliche Sammlungen melden Besucherrekorde. Die Bilder marodierender Horden beschmutzen den Ruf als Hort der Hochkultur. Ein langjähriger Theaterintendant polterte, es sei eine Schande für die Kulturstadt, Millionen in einen drittklassigen Verein zu stecken statt in ein vernünftiges Konzerthaus: „Glauben Sie, ein Hooligan nimmt sich ein Hotelzimmer?“

Hieckmann weiß das alles. „Zu meinem Kumpel Gaschi sag ich immer: Niemand könnte ich so wenig leiden wie uns selbst. Weil, mal ehrlich, wir sind ein Haufen unaufgeräumte Zeitgenossen, die verpeilt in der Gegend rumziehen. Uns kann eigentlich keiner so richtig brauchen.“

Christian Kabs und seine Kollegen vom Dresdner Fanprojekt kümmern sich um diese Klientel. Vor neun Jahren von Anhängern aufgebaut, als es nach einem Stadtderby mächtig gekracht hatte, steht das Projekt heute auf professionellen Beinen. Förderer sind Stadt, Land, DFB. Die Sozialarbeiter organisieren Fußballturniere, schlichten Ärger mit Ordnungsdienst oder der Polizei. Vor Auswärtsspielen klären sie die Sicherheitskräfte auf, dass der Dynamo-Fan in emotionalen Momenten gerne mal auf die Zäune steigt. „Damit kein Ordner denkt, die wollen das Spielfeld stürmen“, sagt Kabs. Der 37-Jährige hat seine Diplomarbeit über Hooligans geschrieben.

Im heimischen Stadion, zwei Straßenbahnstationen vom Altmarkt entfernt, veranstaltet das Fanprojekt Workshops für Schulklassen. Sogar die VIP-Räume mit Blick auf den Rasen dürfen genutzt werden, nur die weißen Designerstühle sind tabu. Heute ist die 9c der 116. Mittelschule da, Thema: Pyrotechnik im Stadion. Jeder soll seine Assoziationen auf Karteikärtchen schreiben. Ein Mädchen ruft: „Frau Meier, ich hab keine Ahnung davon.“ Die Lehrerin rät: „Einfach an Silvester denken.“

Moderator Kabs pinnt die Ergebnisse an die Tafel: Feuer. Verletzungen. Angst. Geldstrafe. Offenbar haben die Schüler in den letzten Tagen Nachrichten geschaut. Schließlich die Begriffe Spaß und Emotion. „Endlich“, flüstert Martin, 27, weinrotes K-Block-Shirt. Er ist Mitglied der Ultras Dynamo und möchte erklären, was es mit den bunten Lichtern so auf sich hat. Der Beamer wirft Pyrotechnik an die Wand: römische Lichter, Handsignale aus alten NVA-Beständen, bengalische Fackeln, bekannt aus dem Dortmund-Spiel. „Sieht bombastisch aus“, sagt Martin, „aber wenn man die zwischen den Beinen liegen hat, sollte man einen Satz weg machen. Sonst schmelzen die Schuhe.“ Zwei Mädchen tuscheln, eins gähnt, die Jungs hängen an Martins Lippen.

Das Gros der Ultras sind Männer, Durchschnittsalter um die 20. Dynamo ist ihr Lebensantrieb, für andere Hobbys bleibt keine Zeit. Martin ist bei jedem Spiel dabei, auch auswärts. „Dafür gibt’s keinen Alkohol, keine Disco, keine Zigaretten – man muss sich einschränken.“ Zusammen mit den anderen Ultras bastelt er Plakate, bis zu 50 Mann sind damit beschäftigt. In der Kurve verteilen sie Liedtexte, Folien zum Hochhalten – und Pyrotechnik, trotz des Verbots. „Ich sag nicht wie, aber man kriegt sie rein“, sagt Martin. Er muss sich jetzt mal aufregen vor der Klasse. Zünden Fans anderer Klubs Pyrotechnik, sei im Fernsehen von „ausgelassener Stimmung“ die Rede. Dynamo-Anhänger mit Fontänen in der Hand dagegen seien automatisch Chaoten.

„Ist halt so, dass wir die Bad Boys sind“, sagt Martin. „Warum?“, fragt einer. „Weil wir das Image lange genug gepflegt haben.“

Warum die Ultras eine Subkultur sind, erfahren Sie auf der nächsten Seite.

Im Netz kursieren Videos, in denen Männer mit nacktem Oberkörper vor einem Ultras-Banner posieren und „Hooligans“ rufen. 2007 lauerte eine Schar Vermummter den Dresdner Spielern auf, passiert ist zwar nichts, doch die MDR-Kamera hielt drauf. Ein Jahr später wurden auf dem Trainingsplatz über Nacht elf Gräber ausgehoben. Das Team hatte dreimal hintereinander verloren.

Nicht wenige Zuschauer auf den Sitzrängen nervt das Imponiergehabe. „Im Internet werden wir Vereinsschänder oder Kindergartentruppe genannt. Aber wenn wir vor dem Stadion stehen, redet keiner mit uns“, sagt Martin.

Einwurf des Sozialpädagogen: „Mancher denkt bestimmt, wenn ich den Ultra kritisiere, haut der mir eine rein.“

Martin widerspricht. „Wir haben die Leute im Griff, die im Fanklub sind.“ Offiziell distanzieren sich die Ultras vom Hooliganismus. Beim Dortmund-Spiel seien viele unbekannte Gesichter im Dynamo-Block gewesen. „Die Exil-Dresdner wissen halt nicht, was sich hier entwickelt, die leben den Mythos von früher.“ Dann muss Martin los, die „Choreo“ für das nächste Spiel vorbereiten, genauer verrät er es nicht. Ultras sind Subkultur.

Ein Veteran wie Hicki hat Verständnis für die Spielchen der Jugend. „Ultras gab es früher nicht, aber hätte es welche gegeben, wären wir das gewesen. Der Block, das ist Emotion, wir brauchen jemanden, der Alarm macht.“ Schon früher hätten die Opas wütend mit ihren Regenschirmen auf die Balustrade gehauen, wenn der Stürmer mal wieder danebenzielte. Kaum ein Familienvater, der nach einer vermeintlichen Fehlentscheidung des Schiedsrichters nicht schon einmal aus voller Kehle „Hängt sie auf, die schwarze Sau“ gesungen habe. Fußball sei eben einfach strukturiert.

Die Debatte über eine neue Dimension der Gewalt, wie sie seit den Ausschreitungen in Dortmund von Medien und Politik geführt wird, hält Hieckmann für „Pfeffer“, Unsinn, wie man in Dresden sagt. Gewaltexzesse seitens der Fans habe er beim Spiel nicht beobachten können. Er findet, die Relationen seien verloren gegangen. In Dortmund wurden die Dresden-Fans durch ein Spalier aus Hunderten von Polizisten von den Parkplätzen bis ins Stadion geleitet. „So treibt man in Arizona Viehherden ins Gatter“, sagt Hieckmann. „Die wollen uns den Fußball madig machen. Der kleine Mann, der Arbeitslose, der Schüler mit Taschengeld, die sollen aus dem Stadion verschwinden.“

Schuld sind für Hieckmann Leute wie DFB-Präsident Theo Zwanziger, der in den vergangenen Tagen damit liebäugelte, die billigen Stehplatzränge durch teurere Sitzplätze zu ersetzen. In den englischen Stadien hat dieses „Outpricing“ bereits erfolgreich zum Ausschluss der Problemfans geführt.

Hanjo Moritz, 45 Jahre, ist Vorsitzender der Fangemeinschaft Dynamo. Zum Gespräch lädt er in die Torwirtschaft gegenüber dem Stadion, „lass uns reingehen, sonst rauch ich wieder zu viel“. Das Ehrenamt stresst. Er muss Vermittler spielen zwischen den Interessen des Vereins und den Wünschen der Fans. Natürlich weiß er: Der Klub muss dringend Geld verdienen. Es drücken Schulden in Millionenhöhe, jedes Jahr aufs Neue muss die Stadt mit Finanzspritzen aushelfen. Breite Unterstützung seitens der Dresdner Bevölkerung gibt es offenbar nicht. „Viele regt auf, dass der Verein auf Kosten anderer lebt“, sagt Moritz.

Mancher Bildungsbürger mag den Kopf schütteln über die wilden Kerle, die aus den Plattenbaubezirken bierbenebelt und fahnenschwenkend zum Stadion strömen und ihrer Stadt regelmäßig schlechte Presse bescheren. Doch für viele hier ist Schwarz-Gelb ein Lebensinhalt. In der Kurve finden sie die Bestätigung, dass auch sie etwas zählen in der Stadt der schönen Künste. Ihr Kulturgut heißt Fußball. Das wird verteidigt. Notfalls auch mal mit Fäusten.

„Natürlich gibt es Leute, die es nicht allzu dick zwischen den Ohren haben“, sagt Moritz. „Man darf nicht vergessen, wir haben es im Stadion nicht mit geballter Intelligenz zu tun.“ Die Fangemeinde bemüht sich um ein zentrales Vereinsheim, um Jugendliche früh an den Verein zu binden und sie von den radikalen Gruppen fernzuhalten, die es im Stadionumfeld gebe, wie Moritz erklärt. Die von Verbänden initiierten Kampagnen gegen Gewalt oder Rassismus seien eher Ausdruck der Hilflosigkeit als sinnvoller Ansatz, glaubt er. „Die Probleme im Stadion können wir nur selbst lösen.“

Bei der Partie in Düsseldorf vor zwei Wochen, dem ersten Auswärtsspiel nach dem Fiasko in Dortmund, wirkten die selbstreinigenden Kräfte offenbar. Kurz vor Anpfiff flog aus dem Dynamo-Block ein Böller aufs Spielfeld. Ein zweiter flog nicht mehr. „Ich drück es mal so aus“, sagt Moritz: „Da wurde Klartext gesprochen.“

Beim Heimspiel an diesem Wochenende gegen Erzgebirge Aue, ein alter Rivale aus DDR-Oberligazeiten, verließ man sich nicht auf die Selbstkontrolle. Das Polizeiaufgebot war bestellt, auch die Fans versprachen sich offenbar Brisanz: Binnen drei Stunden war das Stadion ausverkauft. 32.000 Zuschauer, eine bessere Kulisse konnten sich die Unterhaltungskünstler aus Block K nicht wünschen. Sie entrollten ihre frisch gepinselten Transparente, stimmten ihre Gesänge an und präsentierten die im Verborgenen einstudierte Show. Für 90 Minuten waren alle Augen auf sie gerichtet. Zu Krawallen ist es glücklicherweise nicht gekommen.

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