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Alvaro Morata beim Torjubel.

© dpa

Giroud, Gomez, Pelle, Lukaku oder Morata: Die Renaissance der Mittelstürmer

Mittelstürmer galten als bedrohte Spezies. Bei der EM aber wird deutlich: Sie werden mehr gebraucht denn je.

Seinen Platz in der Geschichte dieser Europameisterschaft hat Oliver Giroud sicher. Auf ewig wird er derjenige bleiben, der dieses Turnier eröffnete, mit seinem Tor gegen Rumänien. Ein Kopfball, gewiss nicht platziert oder wuchtig – und doch das typische Werk eines Mittelstürmers. Giroud warf seinen kolossalen Körper ins Getümmel und hatte ein wenig Glück, dass der rumänische Torwart daneben griff.

Es ist noch gar nicht lange her, da wurden Spielern wie Oliver Giroud düstere Zukunftsperspektiven ausgestellt. Von Trainern und Experten, mancher soll sogar ein reges Interesse am Aussterben der Gattung Mittelstürmer gehabt haben. Nun ist die Neun, die echte Neun (nicht zu verwechseln mit der falschen Neun) wieder zurück. Oder war sie nie weg? Hatte sie sich nur versteckt auf den Ersatzbänken zwischen München und Barcelona?

Mittelstürmer wie Giroud, Mario Gomez, Graziano Pelle, Romelu Lukaku oder Alvaro Morata gehören zu den positiven Erscheinungen einer bisher an positiven Erscheinungen armen Europameisterschaft. Alle vermeintlichen Titelfavoriten treten mit mindestens einem gelernten Angreifer an. Spaniens Trainer Vicente Del Bosque entschied sich, den vielen Ballbesitz vom gelernten Mittelstürmer Morata veredeln zu lassen, statt wie vor vier Jahren ganz vorn auf einen Mittelfeldspieler zu setzen. Der deutschen Mannschaft tat die Hereinnahme von Mario Gomez gegen Nordirland sichtbar gut.

Die Renaissance der Mittelstürmer ist nicht ganz neu, sie setzt sich bei dieser EM fort nur konsequent fort. Die dominierenden Mannschaften im Vereinsfußball beschäftigen wieder richtige Mittelstürmer. Selbst Pep Guardiola, einer der Haupttreibenden, wenn es um die Abschaffung der (echten) Neun geht, musste ein München einsehen, dass es töricht wäre, auf Robert Lewandowski und dessen Tore zu verzichten. „Mittelstürmer werden immer ein Thema sein, egal welche Meinung einzelne zu ihnen haben“, sagt Ottmar Hitzfeld, der mit Borussia Dortmund und dem FC Bayern sieben Mal die deutsche Meisterschaft gewann und dabei immer mit Mittelstürmern spielte. Hitzfelds Begründung ist leicht nachvollziehbar: „Sie sind Spezialisten, die den Unterschied ausmachen.“

Spezialisten mit Spezialauftrag

Spezialisten, die meistens mit einem Spezialauftrag ausgestattet sind. Sie sollen Lücken reißen und im gegnerischen Zentrum Abwehrspieler binden, und davon gibt es bei dieser EM viele.

Wenn es so etwas wie einen gemeinsamen taktischen Nenner beim Turnier in Frankreich gibt, dann den, das Zentrum massiv zu verbarrikadieren. Mannschaften wie Italien oder Wales begannen ihre Vorrundenspiele stets mit drei gelernten Innenverteidigern. Die werden bei gegnerischem Ballbesitz von den äußeren Mittelfeldspielern unterstützt – Fünferkette wird dieses Konstrukt genannt. Weil vor der Fünferkette mindestens zwei, im Fall von Wales und Italien sogar drei defensive Mittelfeldspieler postiert sind, wird der Raum für gegnerische Angreifer extrem eng. Gerade Offensivkräfte moderner Prägung, Hybridwesen, die sich gern zwischen Abwehr und Mittelfeld des Gegners aufhalten, verlieren dadurch ihren natürlichen Lebensraum. Ein Grund, warum etwa Mesut Özil und Thomas Müller auf Seiten der deutschen Mannschaft so schwer ins Turnier finden. Wuchtige Mittelstürmer haben es da leichter, weil sie sich mehr in Strafraumnähe aufhalten können und nicht so weite Wege gehen müssen, als wenn das Spiel hin und herwogen würde. „Ich denke, dass man auch im modernen Tempofußball auf einen Spieler verzichten kann, der etwas von den Defensivaufgaben entbunden ist und sich dafür auf andere Dinge konzentriert“, sagt Ottmar Hitzfeld.

Anders als bei der Weltmeisterschaft vor zwei Jahren war die Strategie der meisten EM-Teilnehmer während der Vorrunde von Sicherheitsdenken geprägt. Mit nur 69 Treffern aus 36 Begegnungen und einem Schnitt von 1,91 Toren pro Begegnung ist diese EM auf dem Weg, die torärmste der Geschichte zu werden. Ähnlich wenig Tore fielen nur bei der EM 1980 in Italien (1,93). Da das Torverhältnis im Fall der Gruppendritten über das Weiterkommen entscheiden konnte, galt es zuerst einmal, hohe Niederlagen zu vermeiden.

Diese Strategie ist mit dem heutigen Beginn der K.o.-Runde hinfällig. „Ich denke, spätestens ab dem Viertelfinale werden wir auch wieder offensivere Spiele sehen“, sagt Ottmar Hitzfeld. Das würde nicht nur den Mittelstürmern entgegen kommen.

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