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Sport: Gladiatoren der Lüfte

Der Sturz des Tschechen Mazoch wirft die Frage auf: Wie viel Risiko ist im Skispringen vertretbar?

Berlin - Jan Mazoch wird nicht sterben, nicht wegen seiner Schädelprellung. Das ist die wichtigste Nachricht. Die Ärzte der traumatischen Station der neurochirurgischen Klinik in Krakau haben ihn wegen seiner Schwellung im Kopf zwar in ein künstliches Koma versetzt, aber es besteht keine Lebensgefahr. Heute wird der Tscheche in einem Ambulanzjet nach Prag geflogen.

Dann rücken andere Fragen endgültig in den Mittelpunkt. Hätte dieser fürchterliche Sturz von Mazoch beim Skisprung-Weltcup in Zakopane, Polen, verhindert werden können? Ja, sogar müssen, weil der Wind so heftig wehte? Hätte die Jury des Weltverbandes Fis den Weltcup nicht schon nach dem ersten Durchgang abbrechen müssen, als der unberechenbare Wind Stars auf hintere Plätze wehte? Der Abbruch kam im zweiten Durchgang, nachdem Mazoch wegen der Böen die Kontrolle über seinen Flug verlor. Hätte jemand verhindern müssen, dass der eher unerfahrene Mazoch bei diesen Bedingungen überhaupt springt? Und: Sind Skispringer moderne Gladiatoren, Figuren in einem Zirkus, in dem man „den Zuschauern auch eine Show bieten muss“, wie das Österreichs Cheftrainer Alexander Pointner sagt? 60 000 Fans standen an der Schanze. In Zakopane ist Skispringen Volksfest und Party.

„Mit fairem Sport hatte das nichts zu tun. Man wartet, bis der Rettungswagen mit Blaulicht wegfährt, und macht weiter“, so zitiert die Deutsche Presseagentur (dpa) Mazochs Trainer Richard Schallert. Und der Schweizer Coach Bernie Schödler sagte: „Heute ging es mehr um Show als um die Sicherheit.“

Das Problem ist wohl, das sich alles verzahnt, Show, Sport, Zuschauerinteressen, Fernsehwünsche, das grundsätzliche Risiko eines Freiluftsports. Fis-Renndirektor Walter Hofer, verantwortlich für die Sicherheit, sagte laut dpa: „Es handelt sich um eine Freiluftveranstaltung, bei der der Wind unberechenbar ist.“

Unberechenbarkeit, ein Schlüsselwort im Skispringen. Es gibt eine Grauzone in der Bewertung von Risiko und Gefahr. „Wir spielen hier kein Schach, es bleibt ein Restrisiko“, sagte Pointner dem Tagesspiegel. „Wenn wir immer früh abbrechen, können wir bei Wind gar nicht mehr springen.“ Sein Fazit: „Die Fis hat alles richtig gemacht.“

An seinem Beispiel kann man diese Grauzone, diesen Einfluss von verschiedenen Faktoren, gut darstellen. Denn Pointner hatte im ersten Durchgang durchaus das Gefühl, „dass es sehr gefährlich ist. Es war absolut am Limit.“ Man hätte auch abbrechen können, sagte er. Seine Stars Gregor Schlierenzauer und Thomas Morgenstern lagen nach dem ersten Durchgang nur auf den Plätzen neun und zehn. Und da er nun das Gefühl hatte, dass „sie vorgeführt wurden, dass man sie wegen dieser Platzierungen kritisiert hätte“, da rückte für ihn jetzt mehr der Sport als die Sicherheit in den Vordergrund. Er wollte ihnen die Chance geben, diese Leistungen zu korrigieren. „Deshalb war ich für den zweiten Durchgang.“ Entweder man breche den ersten Durchgang ab oder man ziehe den Wettkampf durch. „Ein Trainer eines weniger erfolgreichen Teams wie Peter Rohwein denkt da anders.“ Der deutsche Cheftrainer Rohwein sagte laut dpa: „Der zweite Durchgang war nicht mehr kalkulierbar.“

Ob er das auch Hofer sagte, ist nicht klar. Die Fis-Jury muss die Trainer nicht fragen. Immerhin, mit ihm habe Hofer kurz gesprochen, sagte Pointner. Renndirektor Hofer erklärte laut dpa: „Wir haben die Trainer vor dem zweiten Durchgang gefragt, ob es weitergehen soll.“

Toni Innauer hätte gesagt: abbrechen. Der Österreicher Innauer wurde 1980 Olympiasieger auf der Normalschanze, er sagte: „Es geht hier nicht um den Wettbewerb: Wer kommt am besten bei heftigen Wind von der Schanze? Es müssen reguläre Verhältnisse herrschen.“ Der 48-Jährige ist jetzt Sportdirektor für den nordischen Skisport im österreichischen Verband. Er war nicht in Zakopane, aber er kennt die Verhältnisse im Skispringen bestens. „Ein guter Springer kann Probleme kompensieren, ein wenig routinierter Mann kann das nicht“, sagte er.

Mazoch hätte natürlich einfach den Sprung verweigern können. Oder sein Trainer hätte es verhindern können. „Ein Trainer muss einschätzen können, ob sein Springer zu Panikreaktionen neigt“, sagte Innauer. Auch wieder so eine Gratwanderung. „Selbst wenn der Sprung freigegeben ist, können sich die Verhältnisse noch ändern.“ Innauer ist 1974 in Oberstdorf selber schwer gestürzt, allerdings nicht wegen heftigen Windes. Er trug einen neuen, nicht getesteten Anzug, dessen Flugeigenschaften ihn überforderten. Mit einer Halswirbelstauchung kam er ins Krankenhaus.

Pointner sagte, er habe mal einen Springer kurz vor dem Sprung gestoppt. Das Risiko erschien ihm zu groß. Und das will etwas heißen. Denn Pointner sagte auch: „Keiner meiner Springer würde selber einen Sprung verweigern. Die sind geschult, ein Risiko einzugehen.“

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