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Sport: Gladiatoren strullen nicht

Auf diese Gegner müssen die Deutschen achten.

Gianluigi Buffon

Als der italienische Nationaltorwart kurz vor dem Elfmeterschießen im Viertelfinale gegen England wieder aus den Katakomben hervortrat, stand er für einen kurzen Moment im Lichte des Stadions von Kiew wie ein Gladiator, so kühn, angstlos und siegesgewiss, seine Zähne strahlend wie die Schuhe Gottes. Eine Vorentscheidung, wie jeder sofort erkennen musste, der im Kontrast sein hibbelig-überdrehtes Gegenüber Joe Hart beobachtete.

Doch warum hatte Buffon sich zuvor überhaupt zurückgezogen? Um genau diesen Auftritt zu inszenieren, sich von einer dienstfertigen Zofe noch schnell die Unterarme mit Olivenöl einreiben zu lassen? Dass er bloß sein Wasser abschlagen musste, ist ihm und uns dann doch zu profan. Gladiatoren strullen nicht. Und sollte er mit La Mama telefoniert haben, dann bestimmt nicht, um sich Mut zusprechen zu lassen. Sondern nur um anzukündigen, dass er gleich den Schuss von Ashley Cole festhalten werde. Für sie.

Ausschließen wollen wir allerdings, dass Buffon noch schnell eine Wette platzierte. Wie gesagt: Wir wollen. Aber wir können nicht. Diesem Keeper, dem wohl nervenstärksten des Weltfußballs, ist alles zuzutrauen. Sogar, dass er das große Paradox in die Wirklichkeit übersetzt: Er hält tatsächlich die Unhaltbaren. Also bitte erst jubeln, liebe Fanmeilen-Besucher, wenn das Tor schon in den Almanachen geführt wird.

Andrea Barzagli

Hinterhältiger geht es kaum: Barzagli hat sich lange vor dem Halbfinale als Deutscher verkleidet. Würde die Kleiderordnung der Uefa es erlauben, er trüge auf dem Platz ein in die Hose gestecktes Karohemd. Doch selbst im italienischen Trikot wirkt der Abwehrchef wie ein Kombi-fahrender Familienvater, der Frau und Kind durch die polnische Nacht wohlbehalten zurück in die Wolfsburger Doppelhaushälfte bringt. Dort, beim VfL, ließ er sich von 2008 bis 2011 von Felix Magath zum Deutschen ausbilden. Täglich köpfte er Medizinbälle über den Mittellandkanal.

Und all das nur, um im kommenden EM-Halbfinale den Gegner mit den eigenen Waffen zu schlagen, mit Härte, Ausdauer und brummiger Präsenz. Genau das also, was einst schon Arminius, der Cherusker-Fürst, tat. Nur eben andersherum: Der Germane diente erst im römischen Militär und schlug es dann vernichtend. Droht 2003 Jahre danach also die Rache für die Varusniederlage? „Das wird eine große Schlacht“, so Barzagli vor dem Spiel. Bezeichnend.

Daniele De Rossi

„Die Italiener versuchen immer, ihr Bestes zu geben“, sagte Miroslav Klose am Dienstag auf der Pressekonferenz des DFB. „Ihr Gesichtausdruck ist zumindest so.“ Stimmt genau. Zeigt die Kamera etwa De Rossis Antlitz in Großaufnahme, glaubt man, einen Mann vor sich zu haben, der kurz vorm Orgasmus steht: Die Adern pulsieren, die Augäpfel treten hervor, der Kopf wird rot und droht zu zerplatzen. Und dabei bindet De Rossi sich erst die Schuhe zu.

Es muss sein enormer Siegeswille sein, der ihn derart anschwellen lässt. Verblüffenderweise lässt genau dieser ihn mitunter auch erschlaffen. Wir kennen diese Szene: De Rossi rennt aufs gegnerische Tor zu, das Ziel fest im Blick, er könnte jetzt schießen, wenigstens passen, kein Gegner weit und breit, doch dann fällt er hin, wie eine Marionette, deren Fäden durchtrennt wurden, und horcht, schon auf dem Rasen liegend, auf den Pfiff des Schiris, als wäre er ein Opernsänger, der auf seinen Einsatz wartet. Klare Schwalbe, würden wir sagen. Mindestens Mord, lesen wir in De Rossis Gesicht.

Angeschwollen oder schlaff: Wie kein anderer Italiener verkörpert er also die Konsistenz, in der die Deutschen ihren Gegner im Halbfinale vorfinden können. „Gegenhalten!“, die gängige Kabinenparole vor unangenehmen Duellen, könnte auch hier die richtige sein. Oder genau die falsche.

Andrea Pirlo

„Ich habe noch nie gesehen, dass jemand einen Fisch so tötet wie Sie“, sagt jemand in dem Gangsterfilm „Der Clan der Sizilianer“. Er bekommt zur Antwort: „Sie haben vieles noch nicht gesehen.“

Zweifelsohne. Zum Beispiel einen Mann, der so wirkt, als hätte er keine Lust, Fußball zu spielen, und trotzdem zu den besten dieses Sports gehört. Wir fühlen uns so schrecklich naiv, wenn wir Pirlo sehen, hielten wir Fußball doch für anstrengend, den Weg zur Spitze für mühselig. Und dann löffelt er diesen Elfer gegen England rein, mit der Leidenschaft eines Mannes, der den Müll rausbringt, unsagbar phlegmatisch und dennoch genial.

Dass er mit einem solchen Ding schon mal gescheitert ist, in der Champions League, fiel der Welt erst danach wieder ein. Pirlo selbst hatte es offenbar auch vergessen. Oder es war ihm egal. Wir haben noch nie gesehen, dass jemand eine Mannschaft so tötet wie er.Dirk Gieselmann

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