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© dpa

Glück gesucht: Faszination Online-Poker

Pokern im Internet ist ein Massenphänomen. Was hat es damit auf sich? Das Protokoll eines Spielers, der vor kurzem ein Anfänger war und schon Profi werden möchte.

Woche eins. Die Nacht war lang und zäh. Wir sitzen bei mir zu Hause und spielen Skat, so wie jeden ersten Freitag im Monat. Seit einiger Zeit wechseln wir zu vorgerückter Stunde regelmäßig die Spielart. Plastikchips werden ausgeteilt und es kann losgehen mit ... wie hieß es noch gleich? No Limit Texas Hold’em. Die neue Pokervariante. Wie üblich verliere ich die zuvor beim Skat in Stunden so mühsam zusammengeklaubten Cents innerhalb von Minuten. Und Arnold gewinnt. Wie üblich.

Arnold spielt auch Online-Poker und meint, beim Pokern spiele das Glück auf lange Sicht eine untergeordnete Rolle. Mir reicht es. Dann soll er mir das doch mal zeigen mit dem Pokern im Internet. Zehn Minuten und eine blitzschnelle Überweisung von meiner Kreditkarte später sitzen wir zu viert vor meinem Laptop und brüllen wild durcheinander. Erhöhen! Wegschmeißen! All-in! Es ist unfassbar, wir gewinnen. In drei Stunden ist der Einsatz von 25 Dollar verdoppelt. Am nächsten Tag spiele ich allein weiter. Die fünfzig Dollar schrumpfen langsam aber sicher zusammen.

Wenig später erzähle ich meinem Bruder von dem neuen Spiel. „Online-Poker?“, fragt er. „Das ist doch illegal.“ Tatsächlich befindet sich das Spielen um Geld im Internet in einer rechtlichen Grauzone. Das deutsche Strafrecht gestattet das Betreiben von Glücksspielen nur mit einer entsprechenden Konzession, das gilt auch für Online-Casinos. Sowohl das Anbieten als auch die Teilnahme an einem nicht genehmigten Glücksspiel sind mit Strafe bedroht. Die Betreiber der Poker-Portale sitzen allerdings im Ausland und sind deshalb nur schwer zu belangen. Und die Spieler lassen sich von den juristischen Unklarheiten kaum stören: In Deutschland spielen Schätzungen zufolge etwa 500 000 Menschen Poker im Internet, weltweit sollen es mehrere Millionen sein. Allein auf dem Portal „Pokerstars“, einem von mehreren Dutzend, tummeln sich allabendlich weit mehr als 150 000 Spieler.

Eine Geld-Einzahlung dauert zwei Klicks

Woche zwei. Die Begeisterung lässt langsam nach, so erfolgreich wie am Anfang bin ich nicht mehr. Dreimal muss ich die Kreditkarte aus dem Portemonnaie fingern und 30 Dollar überweisen. Klick, Klick. Das Geld ist auf dem Spielkonto. Das ist schon ein bisschen gefährlich, denke ich. Aber gleich aufgeben? Kommt gar nicht in Frage. Dafür ist dieses Kitzeln viel zu schön. Und die Aussicht auf einen fetten Gewinn, irgendwann. Noch ist das große Geld in weiter Ferne. Doch mein Skatkumpel Arnold weiß Rat – er drückt mir ein faustdickes Taschenbuch in die Hand. Darin beschreibt der dänische Profi Gus Hansen, wie er in Australien bei einem Turnier eine Million Dollar gewonnen hat. Es geht in dem Buch vor allem um Wahrscheinlichkeiten, Berechnungen.

Woche drei. Die Lektüre zeigt Wirkung. Während des Pokerns habe ich allerlei Zahlen und Statistiken über Gewinnwahrscheinlichkeiten im Kopf. Jetzt verliere ich mein Geld zumindest bewusst.

Woche vier. Es geht aufwärts, ein weiteres Buch und ein paar durchzockte Nächte Erfahrung haben einen durchschnittlichen Spieler aus mir gemacht. Kaum Gewinne, wenig Verluste. Im U-Bahnhof vor meiner Haustür entdecke ich plötzlich die große Werbetafel der Spielbank Berlin, die sicher schon Monate dort hängt, nur aufgefallen war sie mir nie. Im Fernsehen spielen Boris Becker und Stefan Raab, an der Freien Universität verteilen sie Flyer von einem neuen Portal, ein Werbebanner prägt meine Lieblingsseite im Internet – überall nur noch Poker. Ich spiele fast täglich.

Woche acht. Ich bin erfolgreich. Sowohl bei meinen Skatfreunden als auch im Internet läuft es gut. Meine Bankroll, so nennen die Pokerspieler ihr Poker-Konto, ist auf 700 Dollar angewachsen, die Verluste sind also mehr als wieder reingeholt. Inzwischen führe ich eine Strichliste über gespielte Stunden und Gewinn. Acht Dollar verdiene ich durchschnittlich pro Stunde. Gewinnen macht Spaß! Ob ich am Abend Zeit hätte?, fragt eine gute Freundin. Nee, hab’ schon was vor.

Woche zehn. Die Gewinne haben mein Spiel verdorben. Ich bin leichtsinnig und überheblich geworden. Mein Spielkonto hat sich zwischen 600 und 700 Dollar eingependelt. Den Strichen auf der Liste stehen kaum noch Siege gegenüber. Drei Dollar je Stunde, rechne ich traurig aus.

Ich treffe einen Profi, der schon 100 000 Dollar gewonnen hat

Woche zwölf. Ein Freund hat mir die Telefonnummer eines Freundes besorgt, angeblich ein professioneller Online-Spieler. Ich hatte schon viel von professionellen Spielern gehört, aber so richtig geglaubt habe ich es nicht. Regelmäßig Geld verdienen mit Poker? Ich war skeptisch.

Ich treffe Puma_RS, das ist sein Spielername, in einem verrauchten Keller am Rande von Berlin. Er trägt einen weiten Sportpullover und Basecap. In dem riesigen Zimmer wird an drei Filztischen gezockt. Die Beträge sind klein, die Atmosphäre ist herzlich. Den Laden betreibt Puma_RS mit Freunden, nur zum Spaß. Er setzt sich in eine Ecke und holt sein Mac-Book heraus. Oben rechts in der Ecke, ganz klein, steht eine Zahl, die mich tief beeindruckt: 39 976 Dollar. Das ist sein Kontostand, seine Bankroll. Er zeigt mir die Aus- und Einzahlungen, die Summe also, die er tatsächlich verdient hat: 100 000 Dollar, in einem Jahr. Ich will von ihm lernen, sage ich. Puma_RS lächelt, kein Problem. Er fängt an zu spielen und redet dabei so schnell wie Franz Josef Strauß in seinen besten Tagen. Ich verstehe nur die Hälfte, doch die ist wertvoll. In der Stunde, in der mir der 23-Jährige diesen oder jenen Zug erklärt, gewinnt er 35 Dollar. Für ihn eine Kleinigkeit. Mehr als zehn Stunden am Tag spielt Puma_RS, 2000 Dollar hat er schon in einer Sitzung gewonnen, in einer anderen aber auch mal 1400 Dollar verloren. „Du kannst eben auch mal über einen längeren Zeitraum Pech haben, daran darfst du nicht verzweifeln“, sagt er. Poker sei eben ein Strategiespiel mit einer nicht unwesentlichen Komponente Glück.

Woche vierzehn. Ich wende die Tipps des Profis an. Ob es funktioniert? Das gilt es, herauszufinden. In den nächsten vierzehn Wochen – und darüber hinaus.

Der Autor des Textes will anonym bleiben, ist dem Tagesspiegel aber bekannt.

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