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Sport: Gnade nach der Blamage

Das Sommermärchen endet in Zypern, aber das grandiose Jahr der Nationalmannschaft verdirbt das nicht

Wenigstens die Anzeigetafel im Stadion von Nikosia meinte es gut mit den Deutschen. Einen Sieg mit zwei Toren Vorsprung verkündete sie, einigermaßen standesgemäß also, wenn der WM-Dritte auf die Nummer 80 der Fifa-Weltrangliste stößt. Eins zu minus eins hatten die Deutschen gegen Zypern gewonnen. Das freundliche Ergebnis war allerdings auf eine partielle Fehlfunktion der Anzeigetafel zurückzuführen. In Wirklichkeit hatte es 1:1 geheißen. „Das tut natürlich weh“, sagte Bastian Schweinsteiger. Doch bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft hatten sich die partiellen Fehlfunktionen so sehr gehäuft, dass sie sich mit dem einem Punkt sogar zufrieden geben musste.

Es war eine ziemlich imposante Mängelliste, die Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft, nach dem Abpfiff herunterratterte: „Wir konnten nicht so schnell kombinieren, haben zu kompliziert gespielt, einen Tick zu langsam; uns sind zum Teil die Bälle versprungen, der Fluss im Spiel, die Bewegung hat gefehlt – dann wird es schwer gegen so eine Mannschaft.“ Im Grunde endete für die Deutschen das Länderspieljahr so, wie es begonnen hatte: mit einer Blamage. Und doch ist alles anders. „Also eine Blamage war es auf keinen Fall“, sagte Bierhoff, „aber es war sicherlich in der Ära Löw das schwächste Spiel.“

Als die Mannschaft sich nach dem Abpfiff von ihren Fans im Stadion verabschiedete, schlug ihr die Gemütslage des Anhangs ungebremst entgegen. Die Zuschauer bedachten das Team mit Beifall. „Vielleicht waren viele Urlauber dabei“, sagte Kapitän Michael Ballack. Doch die erstaunliche Nachsicht des Publikums war nicht allein mit mediterraner Gelassenheit und allgemeiner Urlaubsstimmung zu erklären. „Wir haben uns diese Sympathie auch verdient“, sagte Ballack. Zwischen dem 1:4 in Italien zu Beginn des Jahres und dem 1:1 auf Zypern an dessen Ende hat die Mannschaft der Nation so viel Vergnügen bereitet, dass diese nun auch über ein schlechteres Spiel gnädig hinwegsieht. „Wir haben ein super Jahr gehabt“, sagte Verteidiger Arne Friedrich. „Von einem Spiel, das nicht so toll war, werden wir uns nicht unterkriegen lassen.“ Es schien fast, als hätten die Spieler noch in der Kabine verabredet, besonders nachsichtig mit sich selbst umzugehen.

Zu ihrer Ehrenrettung sei gesagt, dass der dürre Auftritt einigermaßen schlüssig zu begründen war. Aus dem WM-Kader fehlte fast eine halbe Mannschaft. Und der Rest, der bisher von Verletzungen verschont geblieben ist, nutzte das Spiel in erster Linie dazu, einen kollektiven Antrag auf sofortigen Urlaubsantritt zu stellen. Herr, es ist Zeit, der Sommer war groß – und lang, aber jetzt reicht es auch langsam. „Man merkt doch, dass im Moment ein bisschen die Frische und die Kraft fehlen, um so ein Spiel einfach mal über die Runden zu bringen“, sagte Bierhoff. „Die Jungs sind einfach platt.“

Wenn das Spiel der Deutschen schnurrt wie noch vor vier Wochen in der Slowakei, sieht es nahezu schwerelos aus; doch hinter dem flirrenden Direktspiel steckt mehr Laufarbeit, als es scheint. Gegen Zypern waren die Deutschen zu diesem Aufwand nicht mehr in der Lage. „Man muss sich auf dem Platz die Überzeugung holen“, sagte Michael Ballack. Das schaffte die Mannschaft nicht. Mehr als ein paar zweckfreie Dreieckskombinationen im gesicherten Mittelfeld brachte sie nicht zustande, und als sich den Deutschen in der Schlussphase noch einige Chancen zum 2:1 boten, mangelte es ihnen an Konzentration im Abschluss, auch das eine Folge des allgemeinen Kräfteverlusts. Bei niemandem war der Verfall deutlicher zu sehen als bei Bastian Schweinsteiger, der von Minute zu Minute schwächer wurde. Am Ende bedeutete quasi jeder Ballbesitz Schweinsteigers einen Ballverlust für die deutsche Mannschaft.

„Heute war einfach nicht unser Tag“, sagte Jochim Löw. Doch anders als seinem Vorgänger Jürgen Klinsmann bleibt dem Bundestrainer eine umfassende Fundamentalkritik erspart. Auch nach einem 1:1 gegen Zypern weiß das Publikum, dass die Mannschaft es besser kann; in der Ära Klinsmann hat ihr diese Überzeugung immer ein bisschen gefehlt. Die Nationalmannschaft gilt inzwischen als so gefestigt, dass nicht schon nach einem einzigen Misserfolg wieder alles in Frage gestellt wird. „Wir waren konstanter als alle anderen Mannschaften“, sagte Löw. In ihrer Qualifikationsgruppe stehen die Deutschen als Tabellenführer bestens da, und auch die Gesamtbilanz des Jahres 2006 ist erfreulich. Nur zwei Spiele hat die Nationalmannschaft verloren, beide gegen Italien, den späteren Weltmeister.

Das mühsame Spiel gegen Zypern hat die deutsche Öffentlichkeit und die deutsche Mannschaft jedoch vor dem Irrglauben bewahrt, dass sie inzwischen quasi unverwundbar ist. „Vielleicht hat das auch was Positives“, sagte Michael Ballack. „Wir haben gesehen, dass nicht alles ein Fußballmärchen ist und dass man im Fußball auch was tun muss.“ Im Hinblick auf das nächste Pflichtspiel in Tschechien kann diese Erkenntnis zumindest nicht schaden.

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