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Sport: Gold allein macht nicht glücklich

Franziska van Almsick wird über 200 m Freistil Fünfte und weint – nun muss sie kein Star mehr sein, nur noch Bürgerin

Kurz vor der blauen Sichtblende brach Franziska van Almsick endgültig zusammen. Hinter der Sichtblende verschwinden die Schwimmer im Pool, wenn sie mit den Journalisten gesprochen haben. Aber so weit schaffte es die 26Jährige nicht mehr. Sie schlug die Hände vors Gesicht und begann hemmungslos zu weinen. Zwei ihrer Teamkollegen nahmen sie in den Arm, geleiteten sie weg, wortlos, die Arme um sie gelegt.

Von den ein paar Meter entfernten Tribünen drang der Lärm von jubelnden, anfeuernden Zuschauer in die Zone, in der sich Reporter und Sportler treffen. Doch wer dort stand, hatte das Gefühl von beklemmender Stille in diesen Sekunden. Franziska van Almsick, weinend, am Ende ihrer Kräfte. Dieses Bild hatte eine enorme, eine beklemmende Wirkung. Sie hatte ihren letzten großen Auftritt, sie hatte dieses Rennen über 200 Meter Freistil, auf das sie zwei Jahre hingearbeitet hatte. Für dieses Rennen hatte sie nach ihrer grandiosen EM in Berlin und ihrem Weltrekord von 2002 noch einmal zwei Jahre Arbeit investiert. Sie wollte den Olympiasieg, sonst nichts.

Und dann wurde sie Fünfte, in 1:58,88 Minuten. Fast eine Sekunde hinter der Olympiasiegerin Camelia Potec aus Rumänien (1:58,03). Franziska van Almsick ist schon 1:56,64 Minuten geschwommen. Es ist der aktuelle Weltrekord. Sie spuckte die Sätze fast aus, als sie fünf Minuten nach dem Rennen über diese 1:58,88 Minuten sprach. „Ich lache über diese Zeit, ich bin stocksauer.“ Zwei Aussagen in einem Satz, es passte nicht zusammen, aber das zeigte bloß, wie unendlich traurig sie war. Sie hatte Abschied genommen in Athen.

Franziska van Almsick ist an ihrem eigenen Druck, aber vor allem wohl am öffentlichen Druck gescheitert. An dieser extremen Erwartungshaltung, die Medien und Fans generell bei ihr haben, und die sie noch gesteigert hat. „Ich will Gold“, hatte sie gesagt. Sie hatte geglaubt, dass sie zumindest mit diesem öffentlichen Druck fertig wird. Immer wieder hatte sie betont, dass sie jetzt nur noch für sich schwimmt und allein nach diesem Gold greift. Dass sie keine Erwartungen mehr erfüllen müsse. Aber das war eine grandiose Fehleinschätzung. Das zeigte sich, als sie dastand, ein paar Minuten nach dem Rennen und die Tränen nur mühsam zurückhalten konnte. „Es ist schon schwer, wenn man weiß, dass die ganze Nation am Fernseher sitzt und auf einen schaut.“ Dann sagte sie diesen Satz, so aggressiv, als wollte sie sich damit selber bestrafen. „Ich bin mal wieder am zu großen Erwartungsdruck gescheitert.“ Die Freunde, die Fans, ihr Trainer, die Medien, sie wollte doch wieder alle zufrieden stellen, so wie sie das seit vielen Jahren versucht und oft auch geschafft hat. „Da drücken mir so viele Leute die Daumen, und ich habe sie enttäuscht.“ Nahezu jeder Satz von ihr war eine Selbstanklage. Allerdings hatte Franziska van Almsick immer schon eine Neigung dazu, sich selber die Schuld zu geben. Aber gestern Abend war dieser Drang anscheinend überwältigend.

Der Druck, den sie spürte, muss so groß gewesen sein, dass sie schließlich kurz vor dem Start nur noch eines wollte: ein Ende dieser Anspannung. „Als ich oben auf dem Block stand habe ich nur gedacht: In fünf Minuten ist die ganze Scheiße vorbei. Dann bist du wieder du selber und nicht mehr der Mittelpunkt der Nation.“

Kaum vorstellbar, dass jemand mit so einer Einstellung alles aus sich herausholt. Franziska van Almsick führte bis rund 120 Meter, dann wurde sie langsamer. Bei 150 Meter wendete sie als Fünfte. Dabei blieb es auch. Aber diese Zeit. „Das bin ich im Training fast jeden Tag geschwommen“, sagte sie bitter.

Dass es schief gehen würde in diesem Finale, das war zu erkennen. Franziska an Almsick hatte sich schon in den vergangenen Tagen eher verunsichert präsentiert. „Es lief ja schon seit ein paar Tagen nicht so gut“, sagte sie. „Ich kann mir einfach nichts vormachen. Ich konnte nicht über Nacht ein paar Dinge ändern.“ Und dann dieser Blick auf die anderen. Diese enttäuschten Gesichter, wenn sie ins Olympische Dorf kamen und doch keine Medaille geholt hatten oder ihre Bestzeit klar verfehlten. „Es ist natürlich schwierig, mit so etwas umzugehen“, sagte sie. „Da zweifelt man natürlich an sich. Warum soll es ausgerechnet bei mir gut gehen, wenn es bei allen anderen doch nicht klappt.“

Es hat nicht geklappt. „Ich wollte einmal Olympiagold“, sagte sie und musste schon schlucken, um nicht zu weinen. „Jetzt gehe ich aus Athen, und habe es nicht geschafft.“ Sie wird wahrscheinlich nicht sofort nach Athen zurücktreten, ein paar eher unbedeutende Rennen wird sie wohl noch absolvieren. Aber die großen sportlichen Auftritte der Franziska van Almsick, vierfache Olympia-Zweite, zweimalige Weltmeisterin, vielfache Europameisterin, die wird es nicht mehr geben.

Als die 26-Jährige weinend hinter der Sichtblende verschwunden war, sagte ihr Trainer Norbert Warnatzsch leise: „Sie hat alles gegeben. Niemand hat das Recht, sie jetzt zu verunglimpfen.“

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