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Sport: Grand mit müden Buben

Fußballfans sind maßlos. Sie halten alles für möglich: einen Auswärtssieg bei den Bayern oder den Einzug in den europäischen Uefa-Cup, wenn ihre Mannschaft gerade auf einem Abstiegsplatz steht.

Fußballfans sind maßlos. Sie halten alles für möglich: einen Auswärtssieg bei den Bayern oder den Einzug in den europäischen Uefa-Cup, wenn ihre Mannschaft gerade auf einem Abstiegsplatz steht. Manchmal aber besitzen sie ein seltsames Gespür für das Machbare. Am Dienstag in der Leverkusener Bayarena dauerte es eine Stunde, ehe die heimischen Fans zum ersten Mal das beliebte "Berlin! Berlin! Wir fahren nach Berlin!" riefen. Und das, obwohl Bayer Leverkusen im Halbfinale des DFB-Pokals gegen den Tabellenletzten der Bundesliga kickte. Doch erst als eben dieser 1. FC Köln durch ein Eigentor seines Abwehrspielers Marc Zellweger das 1:0 für Bayer erzielte, begannen die Fans zu singen. In einer solchen Situation den Einzug ins Finale in Berlin zu bejubeln ist in etwa so gewagt, wie im Skat mit vier Buben und vier Assen einen Grand zu spielen.

Die Zurückhaltung der Leverkusener Fans passte zum Auftritt ihrer Mannschaft in diesem Halbfinale, das erst in der Verlängerung mit einem 3:1-Sieg für den Tabellenführer der Bundesliga gegen den Tabellenletzten den erwarteten Ausgang nahm. Bayer quälte sich gegen engagierte Kölner ins Finale. "Wir sind heilfroh, dass wir dieses Spiel gewonnen haben", sagte Manager Reiner Calmund. "Das hat viel Nerven gekostet."

Es hat auch viel Kraft gekostet, und das passt den Leverkusenern im Moment überhaupt nicht. "Die Mannschaft ist ausgebrannt", sagte Calmund. "Die geistige und körperliche Frische hat gefehlt", sagte Klaus Toppmöller. Bayers Trainer berichtete, dass Oliver Neuville geradezu um seine Auswechslung gebettelt habe und der Brasilianer Ze Roberto nach der Begegnung die Bitte vorgetragen habe, am Samstag gegen Cottbus zu pausieren. Nach ihrer alljährlichen Frühjahrsdepression quält sich Bayer nun mit der Winterendmüdigkeit. Zurzeit spielt Leverkusen im Dreitagesrhythmus, und das geht noch bis Ende März so. Wenn es gelinge, in der Bundesliga weiter vorne dabeizubleiben, "können wir im April vielleicht noch mal zuschlagen", sagte Toppmöller.

Besonders ärgerlich war es für die dauerbelasteten Leverkusener, dass sie gegen den 1. FC Köln ein vorzeitige Entscheidung versäumten. In der letzten Spielminute kamen die Kölner im Anschluss an ihren ersten - und letzten - Eckball zum unerwarteten Ausgleich durch Rigobert Song. "Mein erster Gedanke war, dass wir jetzt in der Verlängerung noch mehr Kraft hergeben müssen", sagte Toppmöller. Wenig später musste er sich sogar mit dem Undenkbaren beschäftigen: Der eingewechselte Kölner Stürmer Lilian Laslandes kam im Leverkusener Strafraum frei zum Schuss, der Ball ging jedoch knapp am Pfosten vorbei. "Wenn Köln heute in Führung gegangen wäre, wäre es ganz schwer geworden", sagte Toppmöller.

Es war auch so schwer genug gegen eine Mannschaft, die nach dem Platzverweis gegen Georgi Donkow 45 Minuten in Unterzahl spielen musste. "Die Leverkusener wollten das Spiel so mitnehmen", erzählte der Kölner Alexander Voigt, "aber dann haben sie gemerkt, dass das nicht geht." Von Überheblichkeit war nach der Begegnung auffallend oft die Rede. "Wir waren nicht überheblich", sagte Manager Calmund. Auch Toppmöller verteidigte seine Spieler. Leichtfertig seien sie gewesen, "weil sie hier Zaubertore machen wollten. Aber mit Überheblichkeit hat das nichts zu tun."

Vielleicht war es auch die Angst vor der Blamage, die Geist und Beine lähmte. Bayer - das weiß man spätestens seit Unterhaching 2000 - gilt in dieser Hinsicht als besonders anfällig. Toppmöller sprach daher von einem Schlüsselspiel: "Eine Niederlage gegen den 1. FC Köln hätte das Loserimage wieder absolut bestätigt. Vom Kopf her wäre das ganz, ganz böse gewesen." Stattdessen können sich die Leverkusener nun mit dem Gewinnen beschäftigen. Am 11. Mai haben sie in Berlin die Gelegenheit, zum ersten Mal seit 1993 wieder einen Titel zu holen. Es wäre erneut nur der DFB-Pokal. Aber davon, dass der Wettbewerb immer stärker an Bedeutung eingebüßt hat, spricht zumindest in Leverkusen niemand mehr. "Jeder Titel ist wichtig", sagte Toppmöller.

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