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André Greipel beim Etappensieg der 103. Tour.

© dpa/Valat

Greipel und die 103. Tour de France: Kein Anlass zum Ausruhen

André Greipel rettet in Paris mit dem Etappensieg nicht nur seine persönliche Serie. Er hellt auch die eher graue deutsche Bilanz auf.

Die Entladung war symptomatisch. André Greipels muskulöser Körper verwandelte sich in einen einzigen Schrei, als der Lotto Soudal-Profi die Ziellinie in Paris als Erster überquerte. 20 Tage musste er auf ein solches Erfolgserlebnis warten. Er hatte sich abkochen lassen von Mark Cavendish, dem vierfachen Etappensieger, von Peter Sagan, der drei Mal zuschlug und seinen Ruf, der ewige Zweite zu sein, eindrucksvoll abwarf. Sogar Marcel Kittel, der Landsmann, dem ein doppelter technischer Defekt das Finale auf den Champs Elysees wie der Gang durch eine Folterkammer erscheinen ließ, war zuvor wenigstens einmal zum Zuge gekommen. Aber dann klappte es doch. Greipel erwischte das richtige Hinterrad. Er trat im rechten Moment aus dem Schatten des starken Norwegers Alexander Kristoff und zog mit einem gewaltigen Satz an ihm vorbei. Sagans Beschleunigung erfolgte zu spät.

Greipel gewinnt bei einer Grand Tour immer mindestens eine Etappe

Damit hielt auch die Serie. Immer, wenn André Greipel bei einer Grand Tour antritt, gewinnt er auch mindestens eine Etappe. Beim Giro 2008 begann es. Die Serie zieht sich mittlerweile über elf große Rundfahrten, darunter sechs Mal die Tour de France, und insgesamt 21 Siege - einer mehr, als dem bisherigen Rekordhalter Erik Zabel gelangen.

Greipel rettete in Paris nicht nur seine persönliche Serie. Er hellte auch eine insgesamt eher graue deutsche Bilanz auf. Der Sprint, von 2012 bis 2015 eine eher deutsche Angelegenheit auf Frankreichs Straßen mit neun Siegen für Greipel und deren acht für Kittel, ging in diesem Jahr an den Altmeister Cavendish und den Allrounder Sagan verloren. Der Hauptgrund dafür war, dass die Sprintzüge nicht mehr die Durchschlagskraft hatten wie früher. Es war nicht unbedingt so, dass der Lotto-Zug (für Greipel) und der Etixx-Zug (für Kittel) in diesem Jahr wesentlich schlechter waren, selbst wenn ihnen Fehler unterliefen.

Im Zeitfahren geben die Niederländer den Ton an

"Es gibt jetzt viele Mannschaften, die es mit einem Zug versuchen. Sie neutralisieren sich aber. Es  gibt keinen mehr, der eine überlegene Power hat. Das liegt auch daran, dass es jetzt so viele sehr gute Fahrer auf einem Niveau gibt", analysierte Rolf Aldag die Situation. Der Head of Performance vom Cavendish-Rennstall Dimension Data entwickelte deshalb eine andere Taktik: Kein langer Zug mehr, sondern ein kleines, flexibles Kommando, das flink durch das Peloton surft und seinen letzten Mann an der optimalen Position abliefert. Der vierfache Erfolg gab Aldag, Cav & Co. Recht. Auch ohne den Frontmann mischte Dimension Data dann in Paris mit; Anfahrer Boasson Hagen wurde immerhin Vierter.

Im Zeitfahren, einige Jahre dank Tony Martin ebenfalls eine deutsche Domäne, geben jetzt der Niederländer Tom Dumoulin und Tausendsassa Chris Froome den Ton an. Den beiden kletterstarken Profis kam zudem der wellige bis bergige Parcours beider Tourzeitfahren entgegen. Simon Geschke, im Vorjahr Bergetappensieger, klagte in diesem Jahr über wechselnde Signale seines Körpers. Die Form war einfach nicht stabil. Mal gelangte er gar nicht in eine Fluchtgruppe. Und wenn er dann drin war, machten die Beine nicht, was der Geist wollte.

Zum Jammern ist kein Anlass. Zum Ausruhen aber auch nicht

Ähnliches Szenario, wenngleich auf etwas höherem Niveau, bei Emanuel Buchmann. Der kleine Kletterer hielt zwar ordentlich mit. Es reichte aber regelmäßig nicht für die Favoritengruppe. Wenn er dann mal in einer Fluchtgruppe war, wollten auch hier die Beine nicht. Immerhin blieb er ergebnismäßig fast im Plan. Eine Top 20-Platzierung war das Ziel, es wurde Position 21.

Diese Tour ist als Lehrjahr für den 23-Jährigen zu verbuchen. Er sollte sich aber nicht zu viel Zeit für Gesellenjahre und die dann folgenden Meisterjahre lassen. Ein Talent verkümmert schnell zum ewigen Talent.

Insgesamt wurde der deutsche Radsport etwas unter Wert geschlagen. Zum Jammern ist kein Anlass. Zum Ausruhen aber auch nicht.

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