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Sport: Griff ins Täschchen

Das Unglück, meinte Robert Walser, sei schön, gut und enthalte auch das Glück: „Es hat eine zornige und vernichtende, aber auch eine sanfte und liebliche Seite. Es weckt neues Leben, wenn es altes erschlagen hat, das ihm nicht gefallen hat.

Das Unglück, meinte Robert Walser, sei schön, gut und enthalte auch das Glück: „Es hat eine zornige und vernichtende, aber auch eine sanfte und liebliche Seite. Es weckt neues Leben, wenn es altes erschlagen hat, das ihm nicht gefallen hat. Es reizt zum Besser-Leben. Alle Schönheit, wenn wir noch hoffen, Schönes zu erleben, verdanken wir ihm.“ Die Frauen in Ulrike Draesners Erzählungsband „Hot Dogs“, oft begleitet von einem Hund als Seelenfreund, sind sich darin mit dem Schweizer Melancholiker völlig einig: es ist das Unglück, das das Leben in Bewegung bringt. Das Unglück kein Kind zu haben oder kein Geld oder einen zu alten Mann. In der Bewältigung ihrer Probleme sind die Heldinnen hochprofessionell: jeder Griff sitzt, ob nun die Samenjägerin Gina Regina im Guccitäschchen nach dem Plastikröhrchen für die gut bezahlte, eiweißreiche Flüssigkeit greift oder Nora ihren Mann zu präziser Lust treibt, bevor sie ihn verlässt.

Sehr spezielle Liebesgeschichten werden in „Hot Dogs“ erzählt, denn die Figuren jagen ihren Sehnsüchten immer am falschen Ort nach. Aber weil sie sich so rückhaltlos dem Augenblick überlassen, kippt die verquere Situation unerwartet: ein trostloses Hotelzimmer, aus dem sich der fischige Liebhaber längst davongemacht hat, wird zum Ort eines grandiosen Sirenengesanges und eine qualvoll begonnene Urlaubsreise kommt in einem Europapuzzle zur Ruhe, das in der pubertierenden Erzählerin zum erstenmal Stolz auf Deutschland auslöst: es ist, dreiteilig, das komplizierteste Land von allen.

Ulrike Draesner entwirft ein Bild der Gegenwart, das sich wie ein Kaleidoskop immer neu auseinanderfaltet; denn die Welt, so das Credo Gina Reginas, ist sowieso nur in ihren Elementarteilchen zu erkennen: in Genen und Gliedmaßen, in wechselnden modischen Kicks, zwischen Börsennachrichten und Internetgeschäften. Mit Lust und Geistesgegenwart suchen die Figuren im Dickicht des Alltags ihr sehr spezielles Glück. Und dieser Rettungsanker hält – auch wenn manche Erzählkonstruktion etwas überfrachtet wirkt.

Ulrike Draesner: Hot Dogs. Erzählungen. Luchterhand Literaturverlag, München. 188 Seiten, 19 €.

Nicole Henneberg

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