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Sport: Gute Nachbarschaft

Bei Kowalski & Co.: Die Polen werden im Ruhrgebiet gefeiert wie zu Hause – nur siegen müssen sie alleine

Es gab einmal eine Zeit, da durfte das Gelsenkirchener Fußballidol Ernst Kuzorra als Trainer nach Dortmund gehen, ohne dass die Anhängerschaft darin ein Kapitalverbrechen sah. Schalke 04 und die Borussia waren Nachbarn, im Geiste vereint durch die Tradition des Bergbaus. Es war eine Epoche, in der das Ruhrgebiet durch zehntausende Zuwanderer aus Ostpreußen, Masuren und Schlesien zum größten Industriestandort Europas aufstieg.

Verdammt lang her.

Der Bergbau im Revier ist tot, Schalke und Dortmund sind Todfeinde, nur die Zuwanderer aus dem Osten sind geblieben. Heute gibt es im Ruhrgebiet so viele Kowalskis wie Müllers, und in diesen Tagen kommen wieder neue, in endlosen Karawanen schlängeln sie sich über die Autobahnen vom Kamener bis zum Breitscheider Kreuz. Wer an den vergangenen Tagen in einem der hoffnungslos überfüllten Regionalzüge zwischen polnischen Fahnen und Fans saß, der mag sich fragen: Wer hat eigentlich den Heimvorteil, wenn am Mittwoch in Dortmund die polnische Mannschaft auf die deutsche trifft?

Das ist natürlich eine rhetorische Frage. Die überwältigende Mehrheit der Tickets für das zweite Spiel in der Vorrundengruppe A ist an deutsche Fans gegangen, und auch das Revier zeigt Flaggen: An jedem dritten Fenster hängt Schwarz-Rot-Gold, bei Kowalskis wie bei Müllers. Es ist beinahe wie am 7. Oktober in der DDR, bloß freiwillig und ohne Hammer und Zirkel. Das Dortmunder Publikum hat noch immer hinter der Nationalmannschaft gestanden. Zum Beispiel im November 2001, als es im entscheidenden Qualifikationsspiel für die WM 2002 gegen die Ukraine (4:1) ging. Ein paar Wochen zuvor gab es beim 0:0 gegen Finnland Pfiffe, ein paar Kilometer weiter westlich in der Arena auf Schalke.

Dort sind die Polen am Freitag überaus freundlich aufgenommen worden. Gelsenkirchen war fest in polnischer Hand, was der Mannschaft aber nicht entscheidend half beim 0:2 gegen Ekuador. Die polnischen Fans nahmen es gelassen, nichts war zu sehen von den angekündigten Hooliganhorden, die sich angeblich auf den Weg gemacht hatten. Am Hauptbahnhof beteiligten sich auch polnische Fans spontan an einer Sitzblockade gegen eine Demonstration von 200 Neonazis. Vereint schrien sie: „Nazis raus!“

Polen und Deutsche verstehen sich gut in diesen Tagen. Auch und gerade im Ruhrgebiet, wo es für die Polen heute schon um alles oder nichts geht. „Die Deutschen sind der Favorit in unserer Gruppe, und sie haben sich im ersten Spiel viel Selbstvertrauen geholt“, sagt Mittelfeldspieler Michal Zewlakow. „Wir dagegen stehen unter Druck. So was kann lähmen, aber manchmal wächst man ja an solchen Situationen.“ Das hat auch Bundestrainer Jürgen Klinsmann mitbekommen: „Bei denen herrscht große Aggressivität und Unzufriedenheit. Das wird ein ganz heißes Ding für uns.“

Trainer Pawel Janas hat sich mit seinem Kader in Barsinghausen versteckt. Langjährige Begleiter können sich inzwischen des Eindrucks nicht erwehren, dass es sofort kälter wird, wenn Janas einen Raum betritt. Das könnte ganz angenehm sein bei der Hitze, die sich in der ersten WM-Woche über das Ruhrgebiet legt. Doch Janas erzählt wenig Erfrischendes, er redet ohnehin nicht gern und stößt die polnischen Journalisten schon mal vor den Kopf, wenn er den Mannschaftskoch zur Pressekonferenz schickt. Er hat seine Sozialisation in den Jahren der Volksrepublik erfahren. Damals hätte es kein Journalist gewagt, den Nationaltrainer mit kritischen Fragen zu belästigen. Warum er denn nur mit einem Stürmer spiele, ob die Taktik denn richtig sei.

Ach, die Taktik, knurrt Janas, „entscheidend ist, ob die Spieler die Taktik auf dem Platz auch umsetzen“, das sei gegen Ekuador leider nicht der Fall gewesen. Gegen Deutschland werde er etwas Neues probieren, „aber das werde ich vorher nicht verraten“, am Mittwochabend würden alle schlauer sein. Und die Sache mit dem Angriff – Janas ist die Diskussion um den aus dem WM-Aufgebot gestrichenen Tomasz Frankowski leid. Frankowski hat zwar in der WM-Qualifikation sieben Tore geschossen, in diesem Jahr aber noch gar keines. Bei den Wolverhampton Wanderers gilt er als Fehleinkauf des Jahres. Wie soll ihm so einer bei der WM helfen?

Gegen Ekuador bestand Polens Angriff allein aus Maciej Zurawski. Bei Celtic Glasgow nennen sie ihn „Magic“, und Polens Fußballikone Zbigniew Boniek sagt von ihm, er könne in jeder Mannschaft in jeder Liga der Welt spielen. Gegen Ekuador schlich Zurawski so unauffällig über den Schalker Rasen, dass man sein Mitwirken kaum bemerkt hätte, wäre da nicht ein Torschuss in Richtung Eckfahne gewesen. Janas fand seltsame Worte der Entschuldigung für seinen Lieblingsspieler: „Er hat sich Mühe gegeben und sich die Ekuadorianer vorher auch im Fernsehen angeschaut.“

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