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Sport: Guter Fluss, böser Fluss

Wie der SV Eintracht Sermuth aus der Flut wieder aufgetaucht ist

Sermuth. „Packen Sie mal mit an!“, ruft Volkmar Oettelt und greift nach dem Tisch. Ein Ruck, hoch das Ding und rüber damit zum alten Ölradiator in der Ecke. Dann noch zwei Stühle in die Wärme gerückt, Kaffee aufgesetzt und den Stollen aus der Alufolie geholt – fertig ist die kleine Gemütlichkeit im Baucontainer. Oettelt lehnt sich zurück und sagt: „Improvisieren können wir hier.“

Hier, das ist tiefstes Sachsen. Sermuth ist ein kleiner Ort mit 600 Einwohnern, einer geschlossenen Schule und einem stillgelegten Bahngleis. Lange Zeit gab es nur vier interessante Dinge: den Einkaufsmarkt, den Imbiss, die Freiwillige Feuerwehr und den Sportverein. Jetzt sind es noch drei Dinge: der Einkaufsmarkt, der Imbiss und die Freiwillige Feuerwehr. Der Sportverein ist abgesoffen bei der großen Flut im Sommer. Und mit ihm die Aufbauarbeit von Jahrzehnten, die vielen Abende und Wochenenden von ehrenamtlichen Helfern wie Sportlehrer Volkmar Oettelt. Nach einem Dammbruch am sonst schmalen Flüsschen Mulde ging dem SV Eintracht Sermuth alles verloren – von den Rasenplätzen bis zum Vereinsheim, vom Flutlicht bis zur eigenen Kläranlage. „Und die Gaststätte ist gleich mit untergegangen“, sagt Oettelt. Es war die einzige im Ort.

Hoffnung im Muldetal

Trotzdem, aufgeben will keiner. Oettelt springt auf, rennt aus dem Container – rüber zum Sportplatz. „Sehen Sie, wir haben Rasen“, sagt der Vereinschef und tritt vorsichtig auf das Grün. Zwei Fußballplätze gibt es schon wieder. Dazu mussten die Menschen den Schlamm wegräumen, den der Fluss zurückgelassen hatte. Sie mussten die Fläche neu planieren – „und das, obwohl uns nicht mal eine Schaufel geblieben war“. Sie mussten neuen Rollrasen liefern lassen. Und dann abladen, ausrollen, festwalzen, sacken lassen und wieder walzen. Und so weiter. „Wir haben hier 9000 Rollen Rasen verlegt“, sagt Platzwart Michael Eichler. „Und so eine Rolle ist schwer. Wenn du da drei anhebst, tut dir abends das Kreuz weh.“ Eichler erzählt gern die Geschichte vom Tischler aus der Nachbarschaft, der geholfen hat. Jeden Morgen bei Sonnenaufgang sei der mit dem Gabelstapler gekommen. „Dabei waren sein Haus und seine Werkstatt auch völlig zerstört.“

Solche Geschichten machen Hoffnung im Muldetal. Und dann die Spenden: vom Bund und vom Land, vom Benefizspiel des deutschen Fußballs in der Arena Auf Schalke und von vielen Vereinen aus dem Westen. Da kamen Leute mit dem Auto aus Dortmund oder Stuttgart nach Sermuth, um Geld abzugeben und Trost zu spenden. Manche sind sogar ein paar Tage geblieben und haben beim Schippen geholfen. Oettelt sagt: „Von Ossis und Wessis redet bei uns keiner mehr.“

„Jetzt ist Schluss mit der Bauerei“

Dabei hatten sie alle fast den Mut verloren. Am Wochenende zuvor hatte der SV Eintracht Sermuth ein riesiges Fest gefeiert. 105 Jahre war der Verein alt geworden, und der ganze Ort tanzte auf dem Sportplatz unter dem neuen Flutlicht. Sie erzählten sich noch einmal die Geschichten aus jener Zeit, in der der Verein noch „Betriebssportgemeinschaft Traktor“ hieß. Jene Jahre, in denen sie sich an den Wochenenden einen klapprigen Bus von den Bauern der LPG erbetteln mussten, um zum nächsten Auswärtsspiel zu kommen. Jene Zeit, in denen die selbst gezimmerten Holzpfosten bei einem harten Torschuss zusammenfielen. Alles hatten die Sermuther mit ihren eigenen Händen geschaffen. Und mit ein wenig Improvisation: Alte Stahlrohre aus einer Lokomotivwerkstatt verwandelten sie in die erste Platzumzäunung, aus übrig gebliebenem Baumaterial errichteten sie die Umkleideräume. Nach der Wende dann kam das neue Vereinsheim dazu, ein renovierter Sanitärtrakt, eine Tribüne für 100 Zuschauer. „Jetzt ist Schluss mit der Bauerei“, hatte Platzwart Eichler bei der Vereinsfeier verkündet, „jetzt machen wir nur noch Sport.“ Am nächsten Tag kam das Wasser.

Jetzt bauen und improvisieren sie wieder in Sermuth. Die Tribüne wird renoviert – bei einem Sturm kurz nach der Flut war das Dach weggeflogen. Vereinsheim und Sozialgebäude wurden abgerissen – Einsturzgefahr. „Das machen wir alles neu“, sagt Oettelt. Die nächste Weihnachtsfeier wollen sie im neuen Haus ausrichten, die Baugenehmigung haben sie schon. Und dann der Rollrasen. Um ihn herum haben sie einen Zaun gezogen, damit die Wildschweine das Grün nicht zertreten. Auf einer Seite fließt die Mulde entlang. „Trotz allem, das ist ein guter Fluss“, sagt Oettelt. Früher haben die Fußballer von Sermuth hier gebadet. Damals hatten sie noch keine Duschkabinen. Heute haben sie wieder welche. Im Baucontainer.

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