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Dagur Sigurdsson, 41, ist seit 2009 Trainer des Handball-Bundesligisten Füchse Berlin. Nach einer Saison in Doppelfunktion wird der Isländer ab kommenden Sommer ausschließlich die deutsche Nationalmannschaft trainieren.

© dpa

Handball-Bundestrainer Dagur Sigurdsson im Interview: „Man wird im Kopf ein wenig verrückt“

Füchse-Coach Dagur Sigurdsson im Interview über sein zusätzliches Amt als Handball-Bundestrainer, ambitionierte Saisonziele mit dem Berliner Bundesligisten und Nebenjobs bei der Tankstelle.

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Dagur Sigurdsson, kommende Saison sind Sie nicht mehr nur als Vereinstrainer bei den Füchsen Berlin tätig, sondern gleichzeitig auch als Bundestrainer. Mal ganz ehrlich, sind Sie nicht ausgelastet gewesen?

(Lacht) In Island ist es ganz normal, dass man zwei Jobs hat.

Ach wirklich?

Es ist das halbe Jahr lang dunkel, da sucht man sich eben ein paar Aufgaben mehr, um die Tage rumzukriegen. Aber in meinem Fall ist das ja nur für eine Saison. Anschließend werde ich nur noch die Nationalmannschaft trainieren.

Wie stellen Sie das an – rein organisatorisch – als Trainer von zwei Teams?

Einige Dinge werde ich miteinander kombinieren können. Auf andere muss ich mich dann jeweils gesondert konzentrieren. Handball wird in den kommenden Monaten mein Leben bestimmen, da bleibt nicht viel Zeit für andere Dinge.

Sie haben selbst einmal gesagt, Sie könnten keinem Handballtrainer eine solche Doppelbelastung empfehlen.

Ich würde das generell niemandem empfehlen. Jemand, der den ganzen Tag an einer Tankstelle arbeitet, sollte sich nicht noch einen Nebenjob bei einer anderen Tankstelle suchen. Das ist doch klar oder? Es ist keine optimale Situation für mich, man wird im Kopf ein wenig verrückt. Ich kenne das ja schon von vor Jahren, als ich bereits Füchse-Trainer war und zusätzlich noch die Mannschaft von Österreich betreut habe. Nein, man sollte das wirklich nicht machen (schüttelt den Kopf).

Sie machen es trotzdem.

Ich möchte mich jetzt aber nicht als Opfer sehen. Es war meine eigene Entscheidung, es ein Jahr lang so zu versuchen. Ich möchte die Aufgabe positiv angehen. Wenn ich doch irgendwann müde werden sollte, sage ich rechtzeitig Bescheid.

War es denn auch ein Gedankenspiel, dass Sie sofort bei den Füchsen aufhören?

Nein. So kurz vor dem Saisonstart wäre das gegenüber dem Verein und den Fans nicht fair gewesen. Auch moralisch hätte ich das nicht vertreten können. Ich fühle mich den Spielern sehr verbunden. Viele sind nach Berlin gekommen, weil ich hier Trainer bin. Und wir haben in dieser Saison noch einiges zusammen vor.

Welche Gespräche zur Entscheidungsfindung waren intensiver: die mit Bob Hanning oder die mit Ihrer Frau?

Mit meiner Frau habe ich zum Glück keine Vertragsverhandlungen führen müssen (lacht). Ich habe sie auf dem Weg zur Bäckerei gefragt, was sie von dem Angebot hält. Das war schnell zwischen uns klar.

Und mit Bob Hanning?

Wir haben versucht, die richtige Entscheidung für alle Beteiligten zu treffen. Bob hat sich mit der Wahl ja auch sehr viel Zeit gelassen. Er hat mit mehreren Kandidaten gesprochen und Meinungen von allen Seiten eingeholt.

Sie waren darüber informiert?

Ich kannte diese Situation bereits von vor drei Jahren, als ich schon einmal für den Bundestrainerjob infrage kam. Ich habe solche Situationen ja auch schon mit fast allen skandinavischen Verbänden gehabt. Ich hatte also keine schlaflosen Nächte.

Wie haben Sie Hanning in den Verhandlungen mit Ihnen wahrgenommen: War er eher der Füchse-Manager, der seinen Vereinstrainer nicht verlieren wollte, oder eher der DHB-Vizepräsident, der Sie als Bundestrainer gewinnen wollte?

Es ist für Bob natürlich keine leichte Situation gewesen. Aber wir haben immer sehr offen miteinander gesprochen. Er hat alle Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen – jeweils für die Füchse, und jeweils für den DHB. Ich denke, mit der jetzigen Lösung kann jeder gut leben.

Wollten Sie denn nicht länger Vereinstrainer bleiben?

Ich wollte als nächsten Schritt eine Nationalmannschaft übernehmen. Ob es nun vor drei Jahren dazu gekommen wäre, jetzt oder übernächstes Jahr, war mir dabei aber egal. Ich bin bei den Füchsen sehr zufrieden. Alles, was wir uns vor fünf, sechs Jahren vorgenommen haben, ist in Erfüllung gegangen. Ich hätte mir daher auch vorstellen können, hier nach wie vor weiterzuarbeiten.

Vergangene Saison haben die Füchse mit dem Pokalsieg den ersten Titel der jungen Vereinsgeschichte gefeiert. Fällt da der Abschied leichter?

Ich muss zugeben: Es ist ein ganz anderes Gefühl, wenn man so etwas erreicht hat. Ich bin aber auch auf unseren Weg dorthin unheimlich stolz: Vierter in der Champions League, Dritter im EHF-Cup, Dritter in der Bundesliga. In allen vier Wettbewerben haben wir uns kontinuierlich gesteigert. Und ich hoffe, dass wir diese Saison noch einen draufsetzen. Ich will es meinem Nachfolger so schwer wie möglich machen! Dafür tue ich jetzt alles (lacht)!

Sie hatten zuvor bereits Angebote von diversen Nationalverbänden. Brauchen Sie als Trainer eigentlich eine emotionale Bindung zu dem Land, das Sie trainieren?

Nein. Ich habe ja auch schon ein Angebot meines eigenen Heimatlandes abgelehnt. Ich brauche einfach nur dieses Bauchgefühl, dass ich etwas bewegen kann. Es muss einfach passen. Und dieses Gefühl habe ich bei der deutschen Mannschaft.

Eine Identifikation mit Deutschland ist für das Amt also gar nicht nötig?

Nein, da bin ich ziemlich trocken. Ich identifiziere mich natürlich mit der Mannschaft, mit den 16 Spielern. So wie ich mich auch mit den Füchsen identifiziere.

„Hinter einem Nachwuchsspieler, der es schafft, stehen hundert, die es nicht schaffen“

Herr Sigurdsson, was wollen Sie also bewegen bei der deutschen Mannschaft?

Wenn man den Anspruch hat, ganz nach oben zu gehören, musst du einfach mehr Spiele gewinnen als nur 50 Prozent. Das kann ich aber auch nicht von heute auf morgen ändern. Frankreich, Kroatien, Spanien und Dänemark gehören für mich momentan zur Weltspitze. Wenn wir da zugehören wollen, muss man eben alle Teams schlagen, die danach kommen (klopft auf den Tisch): Schweiz, Island, Schweden, Norwegen. Die musst du dann alle schlagen – und zwar jedes Mal. Egal ob im Trainingsspiel oder sonst wann.

Hat die Mannschaft ein Kopfproblem?

Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus allem. Der deutsche Verband hat nach 2007 ein bisschen die Nachwuchsarbeit verschlafen, und die Konkurrenz ist über die Jahre stärker geworden. Aber all diese Teams, die sich auf unserem Niveau bewegen, haben jeweils ihre eigenen Probleme. Die einen haben keinen Linkshänder, die anderen kein Geld. Wenn man aber nur die Probleme sieht und immerzu jammert, wird sich auch nichts ändern.

Wie gehen Sie Ihre neue Aufgabe an?

Ich werde jetzt erst einmal den deutschen Markt beobachten und mir die Spielertypen aussuchen, die zu meinen Vorstellungen, aber natürlich auch individuell zueinander passen könnten.

Wird Sie bei dieser Suche in Zukunft ein Co-Trainer unterstützen?

Ich habe drei Namen auf dem Zettel und muss beim Verband erst mal sehen, ob sich einer davon realisieren lässt. Das ist ja auch eine Kostenfrage. Es wird aber nicht noch ein Isländer, sondern zu 99 Prozent ein Deutscher, so viel kann ich verraten.

Anfang nächsten Jahres findet mit der WM in Katar das erste große Turnier in Ihrer Amtszeit statt. Spitz gefragt: Wollen Sie dort Weltmeister werden?

2015? Im Januar? Ich habe vorhin gesagt: Wir sind bei 50 Prozent gewonnenen Spielen. So wird man nicht Weltmeister. Und diese Phase jetzt einfach mal überspringen, das geht ja leider auch nicht.

Wie sieht Ihr langfristiges Konzept aus?

Ich möchte mehr Frische in die Mannschaft bekommen. Erst mal muss ich aber meine Führungsspieler finden, um die ich alles aufbauen will. Wenn ich dann auf einer Position zwei Spieler ähnlicher Qualität habe, nehme ich zuerst den jüngeren. Aber das heißt nicht, dass er sich durchsetzen wird. Wir mussten auch bei den Füchsen sehr viele junge Spieler wegschicken. Hinter einem, der es schafft, stehen hundert, die es nicht schaffen.

Die deutsche U 20 ist vor kurzem Europameister geworden. Das sollte Sie eigentlich zuversichtlich stimmen.

Ja, natürlich. Diese Mannschaft hat mir in der Breite gefallen, sie hat auch einige Spitzenspieler auf den Schlüsselpositionen wie dem Rückraum. Das heißt jetzt aber nicht, dass man die U 20 einfach zur A-Nationalmannschaft umfunktionieren kann. Bei vielen Spielern sieht man wahrscheinlich erst in zwei, drei Jahren, ob sie für die erste Mannschaft infrage kommen.

Dafür müssten die Spieler auch in Ihren Vereinen eine echte Chance erhalten. Gehen Sie in dieser Hinsicht als Füchse-Trainer mit gutem Beispiel voran?

Bob und ich hatten da von Beginn an die gleiche Philosophie. Ich bin selbst in einem solchen System groß geworden. Damals bei Valur Reykjavik wurde ich gemeinsam mit einigen anderen guten Jugendspielern irgendwann in die erste Mannschaft hochgezogen, wir konnten uns durchsetzen und spielten dann bald für die Nationalmannschaft. Diese Vision haben wir auch für den Nachwuchs bei den Füchsen.

Wozu dann die Stars aus dem Ausland?

Wir könnten bei den Füchsen ohne Ausländer auskommen, nur deutscher Nachwuchs – und würden in der Bundesliga sicherlich eine gute Rolle spielen. Aber ich denke auf der anderen Seite auch: Was die jungen Spieler hier in drei Jahren von jemandem wie Iker Romero lernen können, ist unbezahlbar, das kann ihnen kein Trainer der Welt beibringen. Junge Talente und Stars – wir können stolz darauf sein, wie dieser Verein jetzt aufgestellt ist. Das ist kein Projekt von heute auf morgen, sondern langfristig entstanden.

Am Saisonende werden Sie diesen Verein nun verlassen und die Tankstelle wechseln. Haben Sie dieses Beispiel zu Beginn unseres Gespräches eigentlich spontan gewählt?

Ja, ja, ich habe keine Ambitionen, an einer Tankstelle zu arbeiten (lacht)! Aber ich kann mir wirklich vorstellen, irgendwann einmal nur noch von neun bis fünf zu arbeiten. Als junger Mann habe ich jetzt sehr, sehr lange viel Verantwortung getragen. Ich mag das ja. Aber ich werde auch kein Problem haben, nach dem Handball etwas anderes Schönes zu finden. Eine Tankstelle aber nicht.

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