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© Reuters

Handball-EM: Hüftler und Wuzler

Allein diese Sprache! In Deutschland, dem Mutterland dieses Sports, wurde der österreichische Handball lange verspottet. Mit dem Einzug in die EM-Hauptrunde sorgt Österreich nun für eine kleine Sensation.

Normalerweise steht der Handballer Thomas Bauer im Tor des TV Korschenbroich, 2. Liga Süd, oberes Mittelfeld, in einer aufmerksamkeitsfreien Zone. Hier zählt Fußball. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Bauer derzeit im Tor der österreichischen Nationalmannschaft spielt. Aber in seiner Heimat, da ist er derzeit die ganz große Nummer. Denn am Samstagabend katapultierte Bauer sein Team in den „Handball-Himmel“ (Kronenzeitung). Er sorgte mit seinen Reflexen für eine kleine Sensation.

Im entscheidenden Vorrundenspiel gegen Serbien lag sein Team 7:11 zurück, als Bauer kam und mit sieben Paraden in Folge die Wende einläutete. Am Ende siegte Österreich, der Handballzwerg, gegen die etablierten Serben 37:31 (15:18)-Toren, qualifizierte sich für die Hauptrunde der EM in Wien, und Bauer konnte sein Glück nicht fassen. „Ich war wie in Trance“, berichtete er, die Euphorie unter den 6000 Fans in der Linzer Tpis-Arena konnte er nicht fassen: „Dass ich das jemals erleben darf, hätte ich nie für möglich gehalten.“ Serbiens Coach Sead Hasanefendic meinte zerknirscht: „Bauer hat uns gebrochen.“

Österreich also ist „aufgestiegen“, wie es im österreichischen Sport-Jargon heißt, in die Liga der zwölf Besten Europas, eine kleine Sensation angesichts der katastrophalen Vorleistungen dieser Mannschaft. Noch vor zwei Jahren war das Team noch nicht einmal in die Play-offs für die EM-Teilnahme in Norwegen vorgedrungen und rangierte sogar hinter Holland. Den aktuellen Erfolg kann man daher nicht groß genug einschätzen. Zumal das Team von Dagur Sigurdsson schon beim 37:37 gegen den Olympia-Zweiten Island eine „historische Sternstunde“ gefeiert hatte.

In Deutschland, dem Mutterland dieser Sportart, wurde der österreichische Handball lange verspottet. Allein diese Sprache! Ein „Kempa-Trick“, die Annahme und der Ballwurf im Flug, heißt hier „Flieger.“ Wenn Flügelspieler dem Ball soviel Effet geben, dass er sich ins Tor dreht, ist hier kein Dreher, sondern ein „Wuzler“, ein Stemmwurf aus der Hüfte ist ein „Hüftler“. Und wenn ein Ball im Angriff auf direktem Wege von einer Seite zur anderen getragen wird, nennen das die österreichischen Handballer „Schnur“.

Freilich ist die Achtung vor österreichischen Handballern zuletzt gestiegen. Nicht nur Viktor Szilagyi („Diese 60 Minuten waren ein Wahnsinn“), der sein Geld beim VfL Gummersbach verdient und mit dem THW Kiel viermal Deutscher Meister wurde, zählt zu den spielintelligentesten Spielmacher der Bundesliga. Auch die Flügelspieler Konrad Wilczynski (Füchse Berlin) und Robert Weber (SC Magdeburg) haben sich in der besten Liga der Welt etabliert; Wilczynski war in der Saison 2007/08 sogar Torschützenkönig. Kein Zufall, dass dieses Trio am Samstag mit 24 Treffern die meisten österreichischen Tore erzielte. „Wir haben es allen gezeigt, die uns zum Kanonenfutter erklärt hatten“, sagte Wilczynski. Und Szilagyi glaubt gar an weitere Erfolge: „Wir brauchen uns vor niemand mehr zu verstecken.“

Noch dauert das von den Zuschauern befeuerte Märchen an, was aber kommt nach dem 1. Februar? Die Ahnungen sind düster: „Ich habe Angst davor, was nach dem Turnier passiert. Es wurde alles auf die Karte EM gesetzt und nicht geschaut, was danach kommt“, sagt David Szlezak, einst Legionär bei den Rhein Neckar-Löwen. „In den vergangenen Jahren haben sich immerhin drei oder vier Juniorenmannschaften für die jeweiligen Großereignisse qualifiziert. Seit zwei Jahren gehen die österreichischen Nachwuchsteams aber grandios unter. Die Nachhaltigkeit wird einfach nicht da sein.“ Ein Vorgeschmack darauf, dass der Handball auch nach der EM keine Rolle spielen wird, lieferte der Sender ORF 1: Er sendete lange die Siegerehrung des Abfahrtsrennens aus Kitzbühel und schaltete erst die letzten zehn Minuten zum Handball.

Torwart Bauer ficht all das nicht an. Er träumt schon von den nächsten Herausforderungen gegen Norwegen, Kroatien und Russland. Und auch von einem Vertrag im Norden Deutschlands, in Flensburg, Kiel oder Hamburg. „Dort wird der beste Handball gespielt.“ Vielleicht beachten sie dann sogar in der Umgebung von Korschenbroich.

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