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Christian Prokop fordert auch von seiner Mannschaft emotionale Ausbrüche.

© dpa

Handball-EM 2020: Trainer Christian Prokop hat viele Baustellen

Deutschland spielt bislang eine schwache EM. Das liegt laut Trainer Prokop an fehlender Leidenschaft. In der Hauptrunde geht es auch gegen Österreich.

Paul Drux ist ein netter, zurückhaltender, zuverlässiger Zeitgenosse. Also tat der Handball-Nationalspieler von den Füchsen Berlin am Montagabend das, was von ihm gefordert wurde: Nach dem 28:27-Sieg seines Teams im dritten und letzten Vorrundenspiel der Europameisterschaft gegen Lettland hielt er sich brav an das Protokoll, lächelte in die Kameras und nahm die Auszeichnung entgegen, die Europas Verband EHF nach jeder Partie aufs Neue vergibt.

Es war nicht schwer zu erkennen, dass sich Drux dabei zwingen musste, einigermaßen freundlich zu wirken, gewissermaßen gute Miene zum schlechten Spiel zu machen. In ihm dürfte es gebrodelt haben.

„Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen“

Man of the Match? Nach diesem Auftritt der deutschen Mannschaft? „Da hätte man sicher auch einen anderen gefunden“, merkte Markus Baur, Kapitän der 2007er Weltmeistermannschaft und mittlerweile Co-Kommentator beim ZDF, in seiner Analyse unmittelbar nach der Schlusssirene süffisant an.

Im Duell mit den international zweitklassigen Letten hatte Drux zunächst gut angefangen, im weiteren Verlauf aber ebenso stark nachgelassen – eine Zustandsbeschreibung, die sich eins-zu-eins auf die Mannschaft von Bundestrainer Christian Prokop übertragen ließ. „Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen“, sagte Julius Kühn, der mit acht Toren beste Werfer.

„Das war psychologisch keine einfache Situation, weil wir nicht viel gewinnen, aber viel verlieren konnten“, befand Prokop. „Hauptsache, wir sind in der Hauptrunde“, ergänzte der Bundestrainer vor dem Umzug nach Wien und kündigte eine umgehende Analyse der Geschehnisse an.

Mehr Fragen als Antworten

Nach dem holprigen Turnierstart gegen die Niederlande und der klaren Niederlage gegen Titelverteidiger Spanien hinterließ dieses abschließende Vorrundenspiel im norwegischen Trondheim ja tatsächlich sehr viel mehr Fragen als es Antworten lieferte. Zum Beispiel, wie diese Nationalmannschaft allen Ernstes ins Halbfinale einziehen will, wenn es gegen Handball-Zwerge wie den EM-Neuling vom Baltikum gerade so reicht?

Mit dieser Leistung, schrieb ein Spaßvogel bei Twitter, könne Deutschland nun wirklich nicht Weltmeister bei der Europameisterschaft werden.

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Wie so oft hatte auch dieser Witz einen wahren Kern. Die Erwartungshaltung an Prokop und seine Mannschaft ist ein Jahr nach der Weltmeisterschaft im eigenen Land groß – dafür haben die Nationalspieler und Entscheidungsträger im Vorfeld des Turniers mit ambitionierten Ansagen selbst gesorgt. Torhüter Andreas Wolff gab im Dezember bei einem Besuch im ZDF-Sportstudio den Titel als Ziel für das Kontinentalturnier aus.

Prokop verweist auf die vielen Verletzten

„Was sonst?“, fragte Wolff. DHB-Vizepräsident Bob Hanning adelte seinen Bundestrainer vor der EM und verglich ihn gar mit Jürgen Klopp. Und Kapitän Uwe Gensheimer bekräftigte nach dem Zittersieg gegen Lettland: „Auch wenn wir jetzt noch keine Topleistung gezeigt haben, verfolgen wir trotzdem das Ziel, ins Halbfinale zu kommen.“

Auf diesem Weg treffen die Deutschen in ihren vier Hauptrundenspielen in Wien auch auf Co-Gastgeber Österreich, der sich am Dienstagabend den Vorrundensieg in der Gruppe B gesichert hatte. Die Mannschaft um die Bundesligaprofis Robert Weber (Lingen/7 Tore) und Nikola Bilyk (Kiel/6) feierte mit dem 32:28 (18:12) gegen Nordmazedonien den dritten Sieg im dritten Spiel und nimmt damit 2:0 Punkte in die nächste Turnierphase mit. Die Entscheidung über Platz zwei fiel erst im anschließenden Duell zwischen Tschechien und der Ukraine .

Bundestrainer Prokop bittet derweil um eine realistische Einordnung der Gemengelage und führte zu seiner Verteidigung auch die Verletzten ins Feld, auf die er verzichten muss, darunter allein sieben Rückraumspieler – ein Argument, dem schwer zu widersprechen ist. Trotzdem wird auch Prokop nicht leugnen können, dass sich nach drei Turnierspielen viele Baustellen in seinem Team aufgetan haben, die so nicht zu erwarten waren.

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Das geht auf der vielleicht einflussreichsten Handball-Position los: im Tor. Andreas Wolff hat seinen vollmundigen Ankündigungen vor dem Turnier bisher kaum Taten folgen lassen, Johannes Bitter deutete seine Klasse immerhin einige Male an. Zudem funktioniert auch das Zusammenspiel der Keeper mit dem Mittelblock, dem Herzstück jedes guten Handball-Teams, nur bedingt.

Hendrik Pekeler und Patrick Wiencek, die Verteidigungsspezialisten vom THW Kiel, wirken im Vergleich zu ihren gewohnten Auftritten geradezu schüchtern und emotionslos. Letzteren Eindruck konnte man auch bei ihren Vorderleuten gewinnen: der deutschen Mannschaft, so scheint es, fehlt bislang die Überzeugungskraft und das Selbstverständnis einer großen Handball-Nation.

„Ich möchte, dass ihr nach jedem Tor die Emotionen zeigt und jubelt“, sagte Prokop im Lettland-Spiel während einer Auszeit – als könnte man Faktoren wie Leidenschaft und Zusammenhalt einfach so verordnen.

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