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© dpa

Handball: Weltbeste Schiedsrichter unter Verdacht

Die Handball-Schiedsrichter Frank Lemme und Bernd Ullrich sollen 2006 ein Europacup-Endspiel verschoben haben. Am Moskauer Flughafen fanden sich nach dem Spiel in Ullrichs Sporttasche 50.000 Dollar.

Am Freitagabend erreichte Frank Bohmann die Horror-Nachricht, die den Handballsport ins Mark trifft. „Ich bin völlig sprachlos“, sagt der Geschäftsführer der deutschen Handball-Bundesliga (HBL), er habe sich erst einmal setzen müssen. Die Information, dass der „Spiegel“ über einen Korruptionsfall berichten werde, wonach den deutschen Spitzenschiedsrichtern Frank Lemme und Bernd Ullrich Bestechlichkeit vorgeworfen wird, schockiert nicht nur Bohmann. „Sollte dieser Vorwurf stimmen, dann würde für mich eine Welt zusammenbrechen“, erklärte Horst Bredemeier, der dem Schiedsrichterausschuss des Deutschen Handball- Bundes (DHB) vorsteht. Lemmel und Ullrich wurden bei der gestrigen Spitzenpartie HSV Hamburg gegen den THW Kiel (33:34) kurzfristig durch Lars Geipel und Marcus Helbig ersetzt. „Wir werden so rasch wie möglich versuchen, die Sache aufzuklären“, versprach HBL-Präsident Reiner Witte. „Wir haben die Schiedsrichter um eine Zusammenfassung der Geschehnisse gebeten.“ Am heutigen Sonntag werde das DHB-Präsidium über die aktuelle Lage beraten.

Schon seit zwei Wochen existieren Vorwürfe gegen den deutschen Rekordmeister THW Kiel, er habe seit 2000 mindestens zehn Champions-League-Spiele verschoben, seit einer Woche ermittelt hier die Kieler Staatsanwaltschaft. Der aktuelle Fall dreht sich nun um das von Lemme/Ullrich geleitete Final-Rückspiel im Europapokal der Pokalsieger im Jahre 2006. Nachdem Medwedi Tschechow das Hinspiel gegen BM Valladolid mit 29:36 verloren hatte, gewann die russische Mannschaft das Rückspiel mit acht Toren Unterschied (32:24) und holte den Pokal. Am Tag danach fand der russische Zoll in Ullrichs Sporttasche eine Tüte mit 50 000 US-Dollar. Wie sie dort hineingelangt ist, darüber gibt es verschiedene Versionen. Ein russischer Handballoffizieller soll berichtet haben, dass die beiden Schiedsrichter bestochen worden seien und so erst den Pokalsieg Tschechows ermöglicht hätten. Ullrich bestreitet dies: Er könne sich den Vorgang nicht erklären. Lemme habe berichtet, vor der Partie einen Bestechungsversuch abgelehnt zu haben. Sie seien reingelegt worden, so erklärt Ullrich diese bizarre Geschichte: „Vielleicht haben sie uns Geld zugesteckt in der Hoffnung, dass sie uns künftig im Sack haben.“ Er habe die Tüte mit dem Geld bei der Kontrolle erstmals gesehen und sie dann am Zoll abgeben müssen. „Im Nachhinein hätten wir es auf jeden Fall melden sollen“, sagt Ullrich, „aber wir hatten keine Beweise. Zudem hatten wir natürlich Angst, was wird aus unserer internationalen Karriere ­ und die ganze Geschichte hört sich zugegebenermaßen ziemlich utopisch an.“

Liegt trotz aller Beteuerungen Bestechung vor, so ist es die größte anzunehmende Katastrophe für den nationalen wie internationalen Handballsport. Denn das Gespann Lemme/Ullrich gilt vielen Beobachtern als das beste der Welt. Die beiden 46-jährigen Magdeburger haben das olympische Finale 2008 in Peking gepfiffen, das WM-Finale von 2005 in Tunis, zuletzt ein WM-Halbfinale 2009, dazu Champions-League-Finalrückspiele bei den Männern und bei den Frauen. Hinzu kommen 560 Partien für den Deutschen Handballbund. Wenn das vielleicht renommierteste Schiedsrichterpaar der Welt nun dem Verdacht der Bestechlichkeit ausgesetzt ist, stehen all diese Partien auf dem Prüfstand.

Entsprechend geschockt ist die Gilde der Schiedsrichter. Der DHB hatte schon in der letzten Woche den Unparteiischen Interviews zum Thema verboten. HBL- Geschäftsführer Bohmann hatte am Donnerstag erklärt, er lege für die deutschen Schiedsrichter seine Hand ins Feuer. „Genau das habe ich noch am Dienstag auch so formuliert“, sagte HBL-Präsident Witte. „Vorstellbar ist im Moment alles.“

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