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Turm unter Türmen. Finn Lemke (Zweiter von links) ist allein für die Arbeit in der Defensive zuständig, Tore wirft er selten, dafür sind andere zuständig.

© Reuters/Platiau

Handball-WM: Finn Lemke: Zu groß für die Gegner

Finn Lemke hält die Defensive des deutschen Handball-Teams bei der WM als Abwehrchef zusammen. Auch heute im Achtelfinale gegen Katar?

In der historischen Altstadt Rouens liegt ein nettes Gasthaus namens „JM“. Das Lokal hat sich im Verlauf der Handball-Weltmeisterschaft zu einem Treffpunkt für Spieler entwickelt. Auf den Großbild- Fernsehern läuft natürlich vor allem – Handball. Könnte man also mal hingehen, haben sich auch Finn Lemke und ein paar Kollegen aus der deutschen Nationalmannschaft gedacht. Aber das gestaltete sich dann recht schwierig für den gebürtigen Bremer. In der zweiten Etage des „JM“ hängt die Decke nämlich sehr tief, bei knapp über zwei Metern. Und Lemke hat nun mal Gardemaß, 2,10 Meter genau genommen. Damit ragt er selbst unter all den Riesen heraus, die im Moment bei der WM in Frankreich unterwegs sind.

Im Alltag mögen die Dinge für Lemke angesichts seiner Körpergröße mitunter umständlich sein, als Handballer prädestiniert ihn diese für eine Sonderaufgabe: die des Abwehrchefs, des langen Turms im Zentrum neben den anderen, etwas kleineren Türmen rechts und links von ihm. Seit gut eineinhalb Jahren füllt Lemke diese Rolle aus, sie ist auf den ersten Blick keine sonderlich dankbare. Lemke wirft im Grunde nie ein Tor, nach jedem Ballgewinn seines Teams geht er auf die Ersatzbank. Bis zum nächsten Angriff des Gegners, dann wechselt er zurück. So geht das dutzende Male pro Spiel. Auch am Sonntag, wenn die deutsche Nationalmannschaft im Achtelfinale in Paris auf Katar trifft (18 Uhr, Livestream bei handball.dkb.de), werden die Dienste des 24-Jährigen besonders gefragt sein.

Im letzten Vorrundenspiel am Freitagabend gegen Kroatien, dem bislang besten des deutschen Teams, hatte die Defensive über weite Strecken stark an die Auftritte bei der EM vor einem Jahr erinnert. Damals war Lemke – neben Torhüter Andreas Wolff – die Entdeckung des Turniers. Mittlerweile weiß jeder Gegner: Wer gegen die Deutschen eine realistische Chance haben will, muss irgendwie Mittel und Wege finden, die am Mann vom SC Magdeburg vorbeiführen.

Traditionell stehen andere Typen im Fokus als der Abwehrchef

„Bei der EM waren viele zum ersten Mal dabei, ich ja auch“, sagt Lemke, „jetzt sind wir als Team ein Jahr weiter, sind besser eingespielt und haben die Abstimmung verfeinert.“ Unter Dagur Sigurdsson, das hat der Bundestrainer seinem Team eingeimpft, definieren sich Deutschlands Handballer in erster Linie über ihre Deckung. Und Lemke ist so etwas wie der heimliche Held.

Traditionell stehen andere Typen im Fokus als der Abwehrchef. Die Torhüter etwa. Oder die Rückraum-Shooter. Oder die Kunstschützen auf den Außenpositionen. Oder, oder, oder. Abwehrarbeit ist größtenteils Drecksarbeit und Willenssache, aber deshalb natürlich nicht weniger wichtig und ernst zu nehmen. „Ich mag meine Rolle und gehe voll darin auf“, sagt Lemke. Für die Zukunft hat er sich zwar vorgenommen, intensiver an seinen Offensivqualitäten zu arbeiten und gelegentlich auch die Mittellinie zu überqueren, „aber für den Moment ist alles gut so, wie es ist“, sagt Lemke. Überhaupt ist das eine der Stärken in Sigurdssons Auswahl: Es gibt viele Spezialisten, und jeder weiß genau, was von ihm erwartet wird – und was eben auch nicht.

Welch großen Wert der Bundestrainer auf die Defensive legt, zeigte sich an der Entscheidung, die er vor Beginn der K.-o.-Phase traf: Linksaußen Rune Dahmke musste nach Hause fahren. Für ihn rückte Hendrik Pekeler ins Aufgebot, ein erklärter Verteidigungsspezialist und Zerstörer. „Das hatte nichts mit Runes Leistung zu tun, und das weiß er auch“, sagte Sigurdsson – sondern mit dem Umstand, dass nun, ab dem Achtelfinale, noch mehr Masse, Länge und Variabilität im Mittelblock notwendig sein wird.

Für Lemke ändert sich nichts durch die Personalrochade, obwohl er einen neuen Mann an die Seite gestellt bekommt. Beim TBV Lemgo haben Lemke und Pekeler drei Jahre lang zusammengespielt, ebenso in Polen und in Rio, man kennt und schätzt sich. „Ich weiß, dass mit Peke noch mehr Qualität zum Kader stößt“, sagt Lemke, „das macht uns noch einmal deutlich variabler.“ In den Ohren der Konkurrenz muss es wie eine Drohung klingen.

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