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Handball-WM: Ist Deutschland durch Betrug ausgeschieden?

Nach dem Aus der deutschen Mannschaft bei der Handball-WM fühlen sich Spieler und Trainer betrogen. Was ist dran an den Manipulationsvorwürfen?

Seit mehr als 15 Jahren kennt Markus Baur nun schon das Handballgeschäft. Er war Profi in verschiedenen Klubs in Deutschland und der Schweiz, er wurde Deutscher Meister 2003, und als Deutschland im Jahr 2007 die Weltmeisterschaft gewann, fungierte er als Kapitän und verlängerter Arm des Bundestrainers Heiner Brand. Baur ist schon als Spieler mit wachen Augen durchs Leben gegangen, heute arbeitet er als Trainer des TBV Lemgo, und bei der Weltmeisterschaft in Kroatien versuchte er als Experte des Kölner Privatsenders RTL, den deutschen Fernsehzuschauern die Attraktivität seiner Sportart zu vermitteln. Das Geschehen erstmals von außen zu beobachten, das hat dem 38-Jährigen viel Spaß gemacht. Nur musste er viel Negatives kommentieren. „Ich bin schon so lange dabei“, sagte Baur, „aber hier ist für mich eine Welt zusammengebrochen.“

Baur spielt an auf die vielen Schiedsrichterskandale bei dieser WM, unter denen auch das Team von Heiner Brand zu leiden hatte. Er wolle sich dazu nicht detaillierter äußern, sagt Baur, die Szenen sprächen für sich. Das letzte deutsche Hauptrundenspiel gegen Dänemark (25:27) etwa bot in den Schlussminuten gleich mehrere eklatante Fehlentscheidungen der rumänischen Referees Din/Dinu. Zum einen durften die Dänen in Unterzahl knapp zwei Minuten in Ballbesitz bleiben, ohne dass passives Spiel gepfiffen wurde. Dann hatte Torwart Johannes Bitter (HSV), es stand immer noch 25:25, einen dänischen Wurf für alle sichtbar berührt, bevor der Ball über die Latte rauschte, was Abwurf bedeutet hätte, es gab aber Ecke. Schließlich entschieden die Schiedsrichter, als noch eine Minute zu spielen war, nach einer vergleichsweise harmlosen Szene auf Zeitstrafe gegen den deutschen Spielmacher Martin Strobel. Erst danach ging das Spiel verloren, und Deutschland war seinen Weltmeistertitel los.

Selten kritisiert der Bundestrainer so offen

Anders als nach der Partie gegen Norwegen (24:25), bei der es im deutschen Team ebenfalls Ärger wegen umstrittener Schiedsrichterentscheidungen gab, lief Brand diesmal zwar nicht mit erhobener Faust hinter den Schiedsrichtern her, aber seine Kritik fiel nicht minder vernichtend aus. Wenn man diese Szenen sehe, erklärte Brand, „dann weiß man, was los ist“.

Selten fällt die Schelte Brands so offen aus. Zumeist übt er sich in Zurückhaltung, denn die Schiedsrichter bestrafen offene Kritik fast immer gnadenlos. Beispiele gibt es genug. Als Brand sich etwa in einem Vorrundenspiel bei der Europameisterschaft 2008 in Norwegen darüber beschwerte, dass sein Rückraumstar Pascal Hens gefährlich in der Luft attackiert wurde, ohne dass es Sanktionen gegeben hätte, nahmen die beiden russischen Schiedsrichter Chernega/Poladenko diese Kritik mit einem sarkastischen Lächeln zur Kenntnis. Hens sei ein Schauspieler, ließen sie durchblicken, die Deutschen schlechte Verlierer. Deutschland verlor später das Halbfinale knapp gegen Dänemark, als Schiedsrichter fungierten Chernega/Poladenko. Tatsache sei, bemerkte Brand daher vor einigen Tagen, „dass seit der WM in Deutschland schon eine gewisse Tendenz zu bemerken ist“. Damals gab es die Kritik, dass Deutschland als Ausrichter des Turniers von den Schiedsrichtern bevorteilt worden sei. Der französische Nationaltrainer Claude Onesta sprach damals sogar von einer „deutschen Mafia“ im Weltverband. Jetzt, so glauben einige im Umfeld der deutschen Mannschaft, solle Deutschland die Quittung dafür kassieren.

Korruptionswürfe gibt es im Handball immer wieder

Nun ist einerseits festzustellen, dass Korruptionsvorwürfe den Handball schon seit Jahrzehnten begleiten. Dass die Schiedsrichter in dieser Sportart größeren Einfluss auf das Spielgeschehen nehmen können als etwa im Fußball, ist ebenfalls unbestritten. Andererseits haben die Spitzenfunktionäre der Internationalen Handball-Föderation (IHF) in den vergangenen Jahren alles dafür getan, für diesen besonders sensiblen Bereich das Misstrauen aller Beteiligten zu schüren. Denn was soll man halten von einem Verband, dessen ägyptischer Präsident Hassan Moustafa erst kürzlich zugeben musste, dass er persönlich Schiedsrichter eines Spiels absetzte, welches sich daraufhin zu einem der größten Skandale der Handballgeschichte entwickelte? Dies hat der Internationale Sportgerichtshof (CAS) bekanntlich für die asiatische Olympiaqualifikation im September 2007 zwischen Kuwait und Südkorea (28:20) festgestellt, wo zwei jordanische Referees in allen 38 Situationen für die Kuwaiter entschieden und ihnen so das Olympiaticket zuschanzten. Das Spiel musste nach Bekanntwerden der Vorkommnisse wiederholt werden. Kurz vor der WM hatte erst IHF-Generalsekretär Peter Mühlematter öffentlich kritisiert, Moustafa und der spanische IHF-Schatzmeister Miguel Roca hätten sich persönlich in die Auswahl der Schiedsrichter beim olympischen Turnier in Peking eingemischt.

Jetzt sind am Rande der Weltmeisterschaft neue abenteuerliche Gerüchte im Umlauf. So soll im olympischen Frauenturnier 2008 in Peking das Spiel um den dritten Platz zwischen Südkorea und Ungarn (33:28) zugunsten der Asiatinnen verschoben worden sein, weil die Teamleitung Südkoreas ihren Protest gegen die Wertung ihres Halbfinals gegen Norwegen (28:29) zurückgezogen hat. Die Schiedsrichter dieser Partie wurden infolgedessen von der Liste der IHF-Schiedsrichter gestrichen: Chernega/Poladenko. Nach Angaben gut informierter IHF- Kreise sollen sich die beiden Russen daraufhin beim Weltverband beschwert haben: Sie hätten doch nur auf Befehl von oben gehandelt. Bewiesen ist das alles selbstverständlich nicht.

TV-Sender machen Druck

Auch bei den Europapokal-Wettbewerben im Handball gibt es ähnliche Gerüchte. Diese sind vor allem strukturell bedingt. Denn hier werden die Schiedsrichter und Delegierten der Europäischen Handball-Föderation stets von den gastgebenden Mannschaften betreut. Ein Kodex, was geschenkt werden darf oder nicht, existiert nicht.

„Man muss dafür sorgen, dass auch dieser Bereich professioneller wird“, forderte der deutsche Kreisläufer Sebastian Preiß. Bundestrainer Heiner Brand gibt sich ziemlich ratlos. „Ob Profischiedsrichter besser wären, weiß ich nicht“, sagte der 56-Jährige. „Aber es wäre sicher eine Anpassung an die Anstrengungen der Spieler.“ Diese sind schon seit einigen Jahren Vollprofis. Bei den Schiedsrichtern wurde dieser Professionalisierungsgrad noch nicht erreicht – sie sind größtenteils noch Amateure. Klar ist, dass die Zeit knapp wird. TV-Sender werden sich Vorgänge wie in Kroatien nicht ewig anschauen. „Wenn man das als bisher Außenstehender zum ersten Mal sieht, dann ist man ziemlich erschüttert, und das ist noch milde ausgedrückt“, sagte RTL-Sportchef Manfred Loppe. „Wir wollen Glaubwürdigkeit“, sagte Loppe. RTL hat sechs Millionen Euro für die WM in Kroatien ausgegeben und refinanziert damit den Löwenanteil der 23 Millionen Euro, die der Sportrechte-Vermarkter Sportfive für die WM-Rechte in den Jahren 2006 bis 2009 an den Weltverband gezahlt hat. Die Lage ist ziemlich heikel, so viel steht fest.

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