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Sport: Harte Welle beim HSV

Treffpunkt Trainingsplatz, acht Uhr früh: Statt Urlaub verordnet Trainer Doll seinen Profis viel Arbeit

Der turmhohe Weihnachtsbaum vor der Geschäftsstelle des Hamburger SV an der Sylvesterallee ist nur spärlich geschmückt. Ein paar bunte Lämpchen hängen dran, aber kein Lametta, keine Christbaumkugeln, keine Süßigkeiten. Was soll überflüssige weihnachtliche Staffage, wenn in diesen schwierigen Zeiten doch niemand einen Blick dafür hat. Nicht einmal die HSV-Fans, die sich bereits in den Mittagsstunden am eigens mit Stahlgittern abgesperrten Spielerparkplatz drängeln. Bereitwillig erfüllen Thimothee Atouba, Rafael van der Vaart oder Bastian Reinhardt die Autogrammwünsche. Zeit genug ist ja: Zwei Stunden vor dem anberaumten Trainingsauftakt sind die meisten Profis gekommen, obwohl man sich wahrlich Besseres hat vorstellen können, als sich bereits am 27. Dezember für einen Rückrundenauftakt am 27. Januar zu rüsten.

Noch nie hat ein Fußball-Bundesligist so früh mit der Rückrundenvorbereitung angefangen. „Ich hätte gerne mehr Zeit für die Kinder gehabt“, sagt Kapitän van der Vaart unverhohlen. „Ein, zwei Tage Urlaub mehr wären schön gewesen“, gesteht Reinhardt. Die schlechteste Laune von allen hat Sascha Kirschstein. Dem zur Nummer zwei degradierten Torwart ist in Braunschweig der BMW zerkratzt und mit Hakenkreuzen beschmiert worden. Kirschstein verdächtigt den Cousin seines besten Freundes, „der missgönnt mir meinen Erfolg“. Das klingt an diesem trüben Tag wie bittere Ironie, denn wenn sein Verein eines zuletzt nicht hatte, dann war es Erfolg. Und nur deshalb müssen Kirschstein und Kollegen sich schon im alten Jahr fürs neue präparieren.

Befohlen hat es Trainer Thomas Doll, der entgegen allen Gesetzen der Branche weiterarbeiten darf. Der 40-Jährige steht vor einem blauen Absperrband im Bauch der AOL-Arena. Auftreten und Antworten wirken aufgeräumt, viele Sätze nicht mehr so aufgesetzt. Doll redet ausgiebig davon, sein eigenes Wirken zu verändern. „Ich werde künftig konsequenter sein und ein paar Sachen ändern. So eine Phase will ich nicht noch mal mitmachen, aber ich kann in drei, vier Monaten ja nicht alles verlernt haben, was einen guten Bundesligatrainer ausmacht.“

Dann verspricht er: „Hier läuft keiner mehr arrogant herum: Wir werden gezielt an grundlegenden Dingen arbeiten und in jedem Training 120 Prozent geben.“ Eine konditionelle Basis wolle er wieder legen – und deshalb wurden unter mehr als 300 Trainingszuschauern alle enttäuscht, die seinen Kader beim fröhlichen Weihnachtskick auf dem beheizten Trainingsrasen begutachten wollten. Dolls gestriges Alternativprogramm: eine Dreiviertelstunde Laufen im Volkspark.

Heute geht es weiter. „Training ist um acht Uhr, um halb elf und nachmittags um drei Uhr“, sagt Doll beinahe nebenbei, „wir müssen zu unseren Wurzeln zurück.“ Es gibt keine Wochenpläne mehr, sondern nur noch kurzfristige Ansetzungen. Arbeit, Arbeit, Arbeit. Und erst einmal alles ohne Ball – der wird erst im Mittelpunkt stehen, wenn die Profis am 4. Januar in das vom Hauptsponsor vermittelte Trainingslager nach Dubai fliegen. „Auch ich habe dazugelernt. Wenn künftig einer auf mich sauer wird, ist mir das egal“, sagt Doll. Freie Tage sind – abgesehen von Silvester und Neujahr – vorerst gestrichen. Harte Welle in Hamburg.

Mit Michael Schröder ist ein „Ur-HSVer“ (Doll) in den Trainerstab aufgenommen worden. Demnächst kehren Dolls verletzte Stammkräfte Nigel de Jong, Juan Pablo Sorin, Guy Demel und Raphael Wicky zurück, der Schalker Torwart Frank Rost soll vielleicht kommen, dazu ein Verteidiger und ein Angreifer. Der Trainer macht auf Zuversicht: „Wir werden uns eine gute Basis schaffen und dann genügend Punkte sammeln.“

Die radikal verkürzte Winterpause trifft nicht allerorten auf Zustimmung. Jürgen Röber, Trainer bei Borussia Dortmund, hält „taktisch rein gar nichts“ davon, Thomas Schaaf, Kollege von Werder Bremen, befindet, es sei elementar wichtig, „sich zu erholen und auf andere Gedanken zu kommen“. Doll entgegnet mit strengem Blick: „Jeder Trainer muss für sich den richtigen Weg finden.“

„Null Toleranz“ hat Vorstandsboss Bernd Hoffmann plakativ das Motto fürs kommende Halbjahr überschrieben. „Wir spielen in den nächsten 17 Spielen gegen einen Rückschlag für mindestens fünf Jahre.“ Hoffmann hätte Doll am liebsten entlassen, doch dagegen hat sich in der entscheidenden Sitzung sein Sportchef Dietmar Beiersdorfer gestemmt. Der setzt Doll nun unter Druck und erwartet vom Chefcoach ein energischeres Auftreten. „Sicherlich ist etwas mehr Konsequenz angebracht. Es kann gewiss passieren, dass ein Spieler mal in der 25. Minute vom Feld muss.“

So schnell kann es auch den Trainer treffen. Sollte die Woche zum Rückrundenstart – mit den Partien in Bielefeld, gegen Cottbus und in Berlin – nicht wie erhofft verlaufen, dann dürfte Doll umgehend doch noch des Jobs verlustig werden. Denn wie lautet Beiersdorfers Botschaft fürs neue Jahr? „Mit ausbleibenden Punkten rückt Kontinuität als Kriterium in den Hintergrund. Dem darf man sich nicht entziehen.“ Doll weiß das. Die Bedenken lächelt er fort: „Was hier passiert, ist einmalig. Normalerweise geht ein Trainer nach solch einer Hinrunde zum Duschen.“

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