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Hassenswerteste Sportarten (5): Boßeln

Sie lassen sich mit zähflüssigen Schnäpsen volllaufen und rollen Kugeln grade Straßen entlang: Boßel-"Sportler" brauchen keine Feinmotorik.

Väterchen Frost ist im Anmarsch, und der unsympathische Geselle bringt nicht nur Heizungsluft, Schal-Allergien und Domino-Steine vom letzten Jahr mit, sondern auch eine der hassenswertesten Sportarten überhaupt: das Boßeln.

Dabei erfüllt das Boßeln auf den ersten Blick ein Schlüsselkriterium für attraktive Leibesübungen: Es ist recht überschaubar, ja geradezu idiotensicher. Man braucht nur eine Kugel, die so genannte Kloote, und eine handelsübliche Straße. Nun bilde man Mannschaften zu mindestens zwei Leuten und rolle die Kloote, soweit es irgend geht, die Straße entlang. Der Mannschaftskamerad beginnt dort, wo die Kloote zur Ruhe gekommen ist, und tut dasselbe. Die Mannschaft, die auf diese Weise als erste eine verabredete Strecke (bis zu acht Kilometern) zurückgelegt hat, gewinnt das Spiel.

Unmenschenansammlung zu später Stunde

Soweit, so gut: Schön simpel, viel frische Luft, gute Durchblutung bei allen Beteiligten. Doch das Attribut „idiotensicher“ lockt leider ebendiese an: Idioten. Sie marodieren zu Abertausenden an trüben Novembersamstagen durch die ohnehin deprimierenden Alleestraßen des norddeutschen Flachlandes und lassen sich getrost – zumal der brachiale Akt des Klootenrollens auf dem zumeist schnurgeraden Parcours ihnen keine feinmotorische Körperbeherrschung abverlangt – mit ortstypischen Schnäpsen volllaufen: Stonsdorfer, Küstennebel, Kräutergeist, Schlüpferstürmer – pfui Spinne! Jugendliche im Konfirmandenalter werden systematisch unter Gruppenzwang gesetzt und müssen Liköre von schneckenartiger Zähflüssigkeit hinunter- und wenig später wieder heraufwürgen. Zu später Boßelstunde (ca. 14 Uhr) kann nur noch ein Anthropologe eine solche Unmenschenansammlung von einer sibirischen Hochzeitsgesellschaft im Endspurt unterscheiden.

Apokalyptisch wird es, wenn eine Boßel-Mannschaft auf eine in dieser Region ebenfalls häufig vorkommende „Kohl- und Pinkel-Tour“ trifft. Diese Zeitgenossen führen alles, was breit macht, in einem laienhaft zusammengenagelten Bollerwagen bei sich und vertilgen es restlos. Am Ende des Tages dringen sie volltrunken in Landgasthäuser ein und fressen sich vermittels Wurstwaren dem Cholesterinschock entgegen.

Ist man aufgrund einer unglücklicher Fügung gerade in der Nähe, wenn diese Horden den Schulterschluss mit einer Boßel-Mannschaft üben, ahnt man, wie sich eine Greisin gefühlt haben muss, als sie den Angriffsschrei des Vandalenkönigs Geiserich vernahm.

Da hilft nur: Kinder von der Straße holen, Fenster zunageln, abwarten – bis Väterchen Frost, der Arsch, von dannen gezogen ist. Und mit ihm die Boßler und ihre Klooten.

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