zum Hauptinhalt

Sport: Heiße Kufen im Kalten Krieg

Was war anders bei Olympia vor 30 Jahren in Grenoble?VON KRISTINA GREENE GRENOBLE.

Was war anders bei Olympia vor 30 Jahren in Grenoble?VON KRISTINA GREENE GRENOBLE."Der General und seine Olympia-Soldaten", titelte der Tagesspiegel.Das war am 6.Februar 1968, und gemeint war der alternde Charles de Gaulle, der mit großem Aufwand die Olympischen Winterspiele nach Grenoble geholt hatte.Vor den Augen der Welt wollte der Staatspräsident von der Größe Frankreichs künden, und sein Engagement kam nicht von ungefähr.Anders als dieser Tage in Nagano stand Olympia vor 30 Jahren im Zeichen der großen Politik.An den Anzeigetafeln blinkten die Spielstände und Ergebnisse stellvertretend für die politischen Spannungen zwischen den im Kalten Krieg verfeindeten Staaten. Nach de Gaulles Willen sollten die Spiele in den französischen Alpen zum "größten Spektakel aller Zeiten" werden, doch schon die Eröffnungsfeier an jenem 6.Februar wurde allgemein als "exzentrisch" und als "großer Jahrmarkt der Eitelkeiten" abgeschrieben.Angesichts der erstmaligen Farbfernsehübertragung bei Olympischen Spielen war dem Staat nichts zu teuer, um die dynamische Stadt Grenoble ins rechte Licht zu setzen.Denn die Sportler sollten nicht nur für ihr Land, sondern für ein ganzes Wertesystem auftreten.In dessen Rahmen verteidigte Frankreich nicht nur den Westen gegen den Ostblock, es versuchte sich auch von den USA abzugrenzen.Dabei hatten die Franzosen damals ganz andere Probleme.Nur in allerletzter Minute konnte verhindert werden, daß die aufständischen Studenten die Olympischen Spiele zu einer Plattform ihres Protestes machten.Und auch ein von den Eisenbahnern und Postbeamten angedrohter landesweiter Streik wurde nur mit großer Mühe abgeblasen. Mit dem Abstand von 30 Jahren mag man sich an die Spiele von Grenoble gewiß auch wegen herausragender sportlicher Leistungen erinnern: Der Eisschnelläufer Erhard Keller holte Gold für die Bundesrepublik Deutschland, in Frankreich wurden die Skifahrer Jean-Claude Killy und Marielle Goitschel zu Nationalhelden.Doch zum prägenden Merkmal für die Geschichtsschreibung avancierte ein politischer Skandal.Rodlerinnen der DDR-Mannschaft schummelten bei der Vorbereitung ihrer Schlitten und wurden disqualifiziert.Mit ihren Kufen heizten sie gleichzeitig eine politische Auseinandersetzung an, die wochenlang Anlaß zu einem wahren Federgefecht zwischen dem "Neuen Deutschland" und westdeutschen Zeitungen Anlaß gab.Die "Zonen-Funktionären" stritten alles ab, hieß es im Tagesspiegel."Gemeiner westdeutscher Anschlag gegen DDR-Weltklasserodlerinnen" erwiderte das "Neue Deutschland". Parallel zum Kalten Krieg hatte sich damals die Vietnam-Krise zu einer ersthaften militärischen Auseinandersetzung ausgeweitet, und so rief das Internationale Olympische Komitee (IOC) eine Olympische Waffenruhe aus.Geschichte wiederholt sich: Heute finden die Spiele vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden Krise zwischen den USA und Irak statt, und wieder hat sich das IOC in der Rolle als Friedensstifter versucht.Mit Erfolg: Bill Clinton und Saddam Hussein respektierten den Olympischen Frieden. Nicht nur auf politischer Ebene waren die Spiele von Grenoble überaus angespannt, auch in technischer Hinsicht türmte sich manches Problem auf.Innerhalb von nur fünf Jahren war in der "Hauptstadt der Alpen" mit Millionenzuschüssen ein ganz neues Stadtbild entstanden: neue Sporthallen, ein neues Rathaus, ein Kulturzentrum und ein Campus, ein Bahnhof, neue Straßen und ein Flugplatz - und nicht zu vergessen, eine Satellitenstadt als Olympisches Dorf.Unsinnige Strukturen sprossen aus dem Boden, etwa eine nach Süden blickende Schanze, auf der kein Schnee hielt, oder eine Eislaufbahn mitten im Stadtzentrum (200 Meter über dem Meeresspiegel) die ebenfalls ständig abzutauen drohte.Diese Bahn kostete aufgrund ihrer Spezialbeschichtung ein Vermögen, doch benutzt wurde sie seit den Spielen nicht mehr und bröckelt aufgrund enormer Wartungskosten vor sich hin. Gelernt haben die Franzosen aus alldem nicht: 1992 holten sie sich die Spiele nach Albertville, nur eine Stunde von Grenoble entfernt.Die kleine Provinzstadt ging wegen des kurzen Glamourauftritts bankrott.

KRISTINA GREENE

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false