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© KEYSTONE

Sport: Helden im Blindflug

Mit ungewöhnlichen Methoden will Alpin-Trainer Waibel aus seinen Fahrern echte Racer machen

Berlin - Die Idee mit den Folien, die hatte er nicht selber. Karlheinz Waibel hat sie bloß übernommen. Aber sie gefällt ihm. Und deshalb klebten die Männer der deutschen Ski-Nationalmannschaft diese Folien im Slalomtraining auf ihre Skibrillen. Spezielle Folien, die die Sicht reduzieren. Wer will, kann sogar vollkommen blind fahren. Hat er natürlich nicht angeordnet, der Männer-Cheftrainer. 30 Prozent Restsicht musste sein. Er will schnelle Rennfahrer, keine Verletzten.

Grob gesagt verfeinert man seine Technik, wenn man wenig sieht, weil man mehr auf seinen Körper achten muss. Waibel redet von „sensomotorischen Fähigkeiten“. Am Limit sollen seine Leute sowieso fahren, sonst brauchen sie gar nicht erst ins Starthäuschen. Aber sie sollen am Limit auch noch möglichst technisch sauber fahren, das ist die Kunst.

Ob die Nummer mit den Folien viel bringt, das kann Waibel im Moment schwer einschätzen. Er kennt ja bloß die Trainingserfahrungen. „Man muss die Rennen abwarten, erst dann kann man etwas sagen“, erklärt der 43-Jährige. Das erste Rennen kann er gleich heute analysieren. Der Männer-Weltcup beginnt heute mit dem Riesenslalom in Sölden (9.35 Uhr Eurosport/12.35 Uhr ARD). Für die Deutschen startet Fritz Dopfer. „Ich gehe davon aus, dass er in den zweiten Lauf kommt“. sagt Waibel.

So sind sie im Moment, die Ansprüche. Waibel ist der neue Männer-Bundestrainer, er verwaltet derzeit eher den Mangel. Gut, er hat Felix Neureuther, den WM-Vierten im Slalom. „Der Felix soll um die Kristallkugel in der Disziplin fahren“, sagt Waibel. Anders gesagt: Neureuther will den Sieg in der Slalom-Weltcup-Gesamtwertung. „Und er will bei Olympia eine Medaille.“ Aber sonst? Sonst hat Waibel Talente und Routiniers, die er aufbauen muss.

Das ist sein Hauptjob. Waibel steht für diesen Siegeswillen, diesen Drang nach Erfolg. Wer bei ihm fährt, der muss an Grenzen gehen. „Man muss sich immer wieder bis zum Limit pushen“, sagt er. Das Problem ist nur, dass er Limit oft anders definiert als einige seiner Athleten. „Manchen geht das Rennfahrer-Gen ab“, sagt er. Solche Typen kann er nicht gebrauchen. Bei einem Trainingslager in Kienbaum mussten seine Athleten mal einen Fragebogen ausfüllen. Thema: Was macht einen starken Rennfahrer aus? Die Antworten waren o.k., fand Waibel. Überall las er das Profil des willensstarken Helden, der keine Angst hat. Aber dann fragte er seine Leute: „Und welcher von diesen Punkten trifft auf euch zu?“ Da waren die Antworten nicht mehr ganz so o. k. Da war von mutigen Helden am Limit nicht mehr viel zu hören. „Die sind schon noch eine Ecke von dem Optimum entfernt, das ich mir vorstelle“, sagt Waibel.

Wirklich überrascht hat es ihn nicht, er ist ja seit 1995 in verschiedenen Positionen beim Deutschen Skiverband. Zäh versucht er, seine Athleten in echte Rennfahrer zu verwandeln. Dem Speedspezialisten Stephan Keppler, dem WM-15. in der Abfahrt, versucht er beizubringen, dass man sich richtig ernährt, dass man sein Umfeld so gestaltet, dass es einem zuarbeitet, dass man gut mit den Serviceleuten agiert und vor allem, dass man auch mal den Mund aufmacht. „Er ist nicht so sehr kommunikativ“, sagt Waibel. „Aber wir können nichts verbessern, wenn einer nicht redet.“ Keppler ist auf der rauen Schwäbischen Alb aufgewachsen, wo zwei vollständige Sätze als Schleimerei gelten. Jetzt geht er etwas mehr aus sich heraus.

Bei Felix Neureuther gibt es andere Probleme. Er ist nicht konstant, nicht sicher genug auf dem Ski. Er kann sehr schnell fahren, aber er schied in der vergangenen Saison auch extrem oft aus. „Die letzte Saison war für ihn sehr lehrreich“, sagt Waibel. „Aber er hat daraus gelernt, er ist reifer geworden.“ Einem wie Neureuther muss er ständig neue Herausforderungen im Training liefern, dann zieht der mit. „Der Felix“, sagt Waibel, „ist ein Gambler-Typ, der ist kein Wiederholer.“ Der will den neuen Reiz. Die Geschichte mit den Folien, das war so eine Herausforderung. „Ich war von Anfang an begeistert vom Charly“, sagte Neureuther vor kurzem zu einem Beobachter. Der „Charly“ hat ihn auch bestärkt darin, dass er sich jetzt nicht bloß auf Slalom konzentriert. „Er soll auch eine zweite Disziplin haben“, sagt Waibel. „Dass man sich da auch mal den Kopf frei fahren kann, wenn es im Slalom nicht gut gelaufen ist.“ In Sölden fehlt der Slalomspezialist allerdings. Er fühlt sich nach einer Grippe noch nicht stark genug für ein Weltcuprennen.

Ob die Folien Neureuther geholfen haben, muss sich zeigen. Dass sie grundsätzlich effektiv sind, ist bewiesen. Ein Skihersteller präparierte mal Ski mit zehn Mängeln und ließ sie professionelle, gesunde Tester prüfen. Resultat: Die Profis fanden zwei oder drei Fehler. Dann stiegen nahezu blinde Testfahrer auf die manipulierten Ski. Ergebnis: neun von zehn Mängeln erkannt.

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