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Geschafft. Gegen den SV Sandhausen gelingt Hertha BSC am 21. April 2013 im Olympiastadion der Wiederaufstieg.

© dpa

Hertha BSC: Die Berliner Sehnsucht nach Spitzenfußball

An diesem Wochenende beginnt die neue Bundesligasaison - und Hertha ist wieder mit dabei. Erste Liga. Spitzenfußball. Nichts wünscht sich die Mannschaft mehr, als dass dies so bliebe. Hoffnung dafür gibt es. Sie kommt weniger von den Spielern und Funktionären, sondern vom Trainer: Jos Luhukay.

Fünf Kinder sitzen auf einem Zaun und rufen: „Luuu-huuu- kaaay!“ Aber der hört nicht. Die blaue Kappe seines Vereins tief ins Gesicht gezogen, ist er gerade mit Wichtigerem beschäftigt. Jos Luhukay schaut auf fünf Bälle. Mit den Füßen treibt er sie über den Rasen. Wie eine Herde. Gleich beginnt das Mannschaftstraining bei Hertha BSC. Doch es ist windig in Berlin, immer wieder rollt einer der Bälle davon. „Luuu-huuu-kaaay!“

Die Rufe gelten einem Mann, der zum Sympathieträger geworden ist. Sein Job hat das mit sich gebracht. Trainer sind die Stars eines Fußballs, der heute stärker von Spielsystemen geprägt wird als von einzelnen Spielern. Jürgen Klopp in Dortmund, Pep Guardiola in München, sie überstrahlen selbst ihre teuren Mannschaften, weil sie auf dem Platz Dinge umsetzen, die über die Fähigkeiten einzelner Spieler hinausgehen.

Auch bei Hertha BSC ist der Trainer zur wichtigsten Figur geworden. Vor allem er wird mit einem Projekt identifiziert, von dem sich Berlin viel erhofft. Der Wiederaufstieg in die Bundesliga ist geschafft, nun soll die Hauptstadt auch einen erstklassigen Fußballklub bekommen. Aber wie macht man das? Nur Jos Luhukay scheint eine Antwort darauf zu haben.

Hertha-Fan: „Ein Autogramm für meinen Sohn, bitte!“

Nach dem Training sammelt er die Bälle wieder ein, geht vom Platz und wird sogleich von einer Menschenmenge verschluckt. „Trainer, ein Foto!“ „Ein Autogramm für meinen Sohn, bitte!“ Es ist, als würde der Mann, der oft scheu wirkt und grübelnd, nun ganz mühelos ein Lächeln anknipsen. Er weiß, was auf ihn zukommt. Er verbreitet Zuversicht. Und er steht allein.

Beim Trainingsauftakt sechs Wochen zuvor war auch Michael Preetz, der Hertha-Manager, zum Training erschienen. Aber er wählte einen Umweg. Statt sich durch das Gedränge der Anhänger zu quetschen, verließ er den Platz über einen Hinterausgang, verborgen im Schatten der Pappeln. Einige der 800 Fans entdeckten ihn dennoch, umringten ihn, reichten Stifte. Preetz lächelte gequält, gab die Autogramme und eilte davon.

Zweimal ist Hertha BSC seit 2009 abgestiegen. Preetz hatte es mit zu verantworten. Zweimal stieg der Verein wieder auf. Auch das sein Verdienst. Aber nun hält er sich lieber im Hintergrund. Wäre da nicht diese allgemeine Vorsicht der Hertha-Chefetage, es mit den Ansprüchen ja nicht zu übertreiben, man könnte es als Charakterzug betrachten. Und warum sollte der Geschäftsführer auch ständig erklären, welche Ziele er verfolgt?

Ein bisschen öfter könnte er es schon tun. Die Sehnsucht ist groß in Berlin, dass der Verein den Fluch der Unbeständigkeit abschüttelt. Dass sich die Hertha diesmal als stark genug erweist für den Spitzenfußball in Deutschland und dauerhaft in der Ersten Liga bleibt.

Michael Preetz: "Wir sind froh, dass wir Jos Luhukay haben"

Und Ende Mai sah es auch so aus, als würde sich Hertha BSC genau das zutrauen. Die Bühne war groß und blau-weiß ausgekleidet, Hertha gerade aufgestiegen, da strömten 1297 Menschen zur Mitgliederversammlung in den Saal 1 des ICC. Ein gigantisches Hertha-Trikot war in die Kulisse drapiert, die Meisterschale der Zweiten Liga, die aussieht wie eine Autofelge, funkelte im Scheinwerferlicht. Die Mannschaft betrat die Bühne, jeder Spieler wurde einzeln aufgerufen und lautstark gefeiert, am lautesten Luhukay. Der Trainer hielt sich am Rand, als ob er sich am Vorhang festhalten wollte. Da rief ihn Manager Preetz zu sich ins Rampenlicht, er hatte gerade Luhukays Vertragsverlängerung verkündet. „Wir sind froh, dass wir dich haben“, sagt Preetz, „umso mehr freut es uns, dass du bis 2016 bleibst.“ Dann reichte er dem Trainer das Mikrofon.

Hertha-Modell: Entweder erweist es sich als lernfähig oder eben nicht

Es wäre ein Moment für große Worte. Doch Luhukay schien auf einmal immer kleiner zu werden. „Ich mag es gar nicht, so im Vordergrund zu stehen“, sagte er und mochte sich lieber bei allen bedanken. Dann ging er ab.

Präsident Werner Gegenbauer hatte danach einen seiner seltenen öffentlichen Auftritte, er klang verschnupft und genervt. „Mit mir wird es einen dritten Aufstieg nicht geben“, sagte Gegenbauer. „Wir sollten oben bleiben.“ War das die Drohung eines Rücktritts? Die Ahnung verbreitete sich im Raum, dass sein Hertha-Modell sich in dieser Saison entweder als lernfähig erweist oder eben nicht. Es ist die letzte Chance für einen Präsidenten, der als eine Art Patriarch unangefochten regiert. Sein Schicksal bei Hertha hatte er vor einem Jahr an das von Preetz geknüpft: Entweder durften beide weitermachen oder keiner.

Vor dem ersten Bundesliga-Spiel am Samstag gegen Frankfurt sind mehr als 18.000 Dauerkarten verkauft, Hertha könnte einen neuen Rekord aufstellen. Allerdings bewegt sich der Verein damit immer noch auf dem Niveau von Mainz, Leverkusen und Wolfsburg, deren Stadien nicht mal halb so groß sind. Die monumentalen Ausmaße des Olympiastadions sind die Bürde jeder Hertha-Mannschaft, die darin automatisch kleiner aussieht.

Wie soll sich das ändern? Woher soll der Reiz kommen, das Stadion an Samstagnachmittagen zu einem Ort für alle Berliner zu machen?

Jos Luhukay hat ein Team mit Talent und Erfahrung, aber ohne große Stars, außer dem Brasilianer Ronny. Vielleicht. Und dass man vielleicht sagen muss, beschreibt eigentlich schon das ganze Problem. Ronny Heberson Furtado de Araújo hat Hertha mit 18 Toren und 14 Vorlagen praktisch im Alleingang zum Aufstieg geführt, Manager Preetz gab ihm einen neuen Vierjahresvertrag, das Olympiastadion jubelte, als die Nachricht auf der Leinwand verkündet wurde.

In der Saisonvorbereitung, zwei Monate später, zeigt sich Ronny lustlos. Der Kader ist nach Irdning, in die Steiermark, gereist. Ronnys begnadeter linker Fuß stochert meist müde den Ball, und der ist meist schnell wieder weg, alles, was Ronny macht, ist zu langsam. Dann drischt er den Ball gegen eine Werbebande, bockig wie ein Kind. Im Urlaub in Brasilien heuerte sein Berater extra einen Fitnesstrainer für ihn an. So blieb Ronny an der Seite eines älteren Herrn in Bewegung, der rundlicher war als er selbst, und abends genoss er das Leben. Zurück in Berlin musste er einen Fitnesstest abbrechen. Es ist nicht so, dass Ronny mit Hertha nichts zu beweisen hätte in der Bundesliga: Wer, wenn nicht er, der nur zehn Mal in der Ersten Liga gespielt hat und stets im Schatten seines Bruders Raffael stand, des früheren Hertha-Stars, sollte wissen, um was es jetzt geht.

Jos Luhukay: "Ich weiß nicht, ob ich Ronny guten Gewissens zum Bundesligastart aufstellen kann."

Dass Jos Luhukay enttäuscht von seinem Spielmacher ist, kann er nicht verbergen. Er steht vor den Irdninger Bergen und zieht innerlich eine Reißleine. Umringt von Reportern und Fans stützt er die Hände in die Hüften, gibt sich selbst Halt, als er sagt: „Ich weiß nicht, ob ich Ronny guten Gewissens zum Bundesligastart aufstellen kann.“ Am Mannschaftsbus schenken zwei Kinder Ronny eine Torte.

Auch Gegenbauer und Preetz sind übrigens nach Irdning gereist. Aber die kann man nicht fragen. Nicht zum Zustand der Mannschaft. Nicht zu ihren Erwartungen. Nur am Ende wird Michael Preetz in kleiner Runde einmal sagen, „wenn wir gut und erfolgreich spielen, werden wir automatisch ein positiveres Bild abgeben“. Das liege in der Natur der Sache. „Wo Erfolg ist, ist gute Stimmung, und wo weniger Erfolg ist, ist es schwieriger.“

Das ist wahr. Und auch wieder nicht. Klar, am Ende zählt im Sport das Resultat, Sieg oder Niederlage, Held sein oder Loser. Doch es gibt auch sympathische Verlierer und ungeliebte Gewinner. Es ist ein Spiel auf vielen Ebenen. Nur zwei Siege, rechnete Preetz vor einem Jahr vor, hätten gefehlt, um in der Bundesliga bleiben zu können. Doch der Verein verlor damals mehr als nur diese beiden Spiele zu viel, Hertha verlor seinen Halt und sein Gesicht. Danach wollte Preetz nicht mehr das Gesicht sein und fand ein neues.

In Österreich logiert Hertha in einem Schlosshotel auf einer Anhöhe, umgeben von einer prächtigen Golf-Anlage. Nach seiner Mittagspause setzt sich Luhukay mit einem Kaffee auf die Terrasse und gerät ins Erzählen. Von seinen Anfängen, als er noch Kinder und Halbtagsfußballer trainierte und sich um alles allein kümmern musste. „Da lernt man, geduldig zu sein“, sagt er. Luhukays holländischer Akzent dehnt die Worte, leiert sie aus. „Es ist einfacher, mit Professionals zu arbeiten“, sagt er und holt sich ein englisches Wort zu Hilfe, das in den niederländischen Sprachschatz eingegangen ist, so wie er Assistenten und Spieler zu Hertha geholt hat, die er von früheren Vereinen kannte. Die Mannschaft ist gespickt mit diesen Spielern, denen sein besonderes Vertrauen gilt. Hertha ließ ihn gewähren und entließ auf Luhukays Wunsch hin Torwarttrainer Christian Fiedler, von einem Tag auf den anderen, nach 22 Jahren im Verein. Luhukays Weg ist jetzt Herthas Weg.

Das Thema Taktik ist Luhukays Leidenschaft

Hier ein Pfeil, dort noch einer. Hauptsache Herthas Trainer Jos Luhukay versteht, was er da aufgezeichnet hat.
Hier ein Pfeil, dort noch einer. Hauptsache Herthas Trainer Jos Luhukay versteht, was er da aufgezeichnet hat.

© promo

Wohin führt Luhukays Weg? Der Kaffee ist kalt, als Luhukay darauf zu sprechen kommt. Das Thema: Taktik. Das ist sein Gebiet, seine Leidenschaft, da ist er so sehr bei sich, dass es schwer ist, ihm zu folgen. Er redet schnell, ohne Atempausen, greift einen Stift, zeichnet Linien, Kreuze und Pfeile auf ein Blatt Papier. „Wir wollen weiter initiativ bleiben, aktiv, offensiv und attraktiv spielen“, beschreibt Luhukay die künftige Spielweise des Aufsteigers, „aber mit einer guten Balance aus Defensive und Offensive.“

Was das heißt: Seine Spieler sollen attackieren, und wenn der Gegner den Ball hat, dann soll seine Mannschaft ihn eben bereits im Mittelfeld zurückerobern. Aber keiner allein, die Spieler sollen einander helfen, geht einer vor, müssen die anderen hinter ihm die leer werdenden Räume bewachen. Wenn Hertha den Ball erobert hat, soll es direkt nach vorne gehen, zum Tor. Keine Rück- und Querpässe, keine Verschwendung von Zeit und Raum, Umwege sind Luhukay zuwider.

Die Trainer sind die Herren der Formeln

So wollen alle Bundesligisten spielen. Am liebsten. Der moderne Fußball ist zum Kampf der Raumstrategen geworden und der Weltanschauungen. Die drücken sich in Zahlenreihen aus, 4-3-3, 4-4-2 oder 4-2-3-1. Es gibt die „Doppelsechs“ und „falsche Neuner“. Und die Trainer sind die Herren dieser Formeln. Die Spieler dagegen äußern sich immer nichtssagender, sie werden immer jünger, formbarer, austauschbarer, die wenigsten haben noch eine eigene Idee, wie sie das Spiel gestalten könnten, der Trainer ist für Antworten zuständig.

In Österreich hat Michael Preetz Journalisten zu einer Gesprächsrunde geladen, in der Vereinsgaststätte des ATV Irdning. Einzeltermine macht er nicht gerne. Herthas Geschäftsführer für die Bereiche Sport, Medien und Kommunikation ist misstrauischer geworden, seit seine schockblasse Miene in einigen Medien als Gesicht des Abstiegs verspottet wurde. In diesem Gesicht spiegelte sich alles: die gegenseitigen Lügenvorwürfe mit Ex-Trainer Markus Babbel, fünf Trainer in einer Saison, der Abstieg vor Gericht nach dem Relegationsspiel in Düsseldorf, bei dem Fans den Platz stürmten und Hertha fliehen musste. Das lässt sich nicht einfach vergessen. Mit manchen, von denen er sich damals verunglimpft fühlte, redet Preetz bis heute nicht.

Er sitzt auf der Gaststättenterrasse unter einem Schirm, halb in der Sonne, halb im Schatten, und schaut auf seine Fingerkuppen, die er aneinanderpresst. Der Verein hat immer noch 37 Millionen Euro Schulden. Eigentlich ist Preetz damit auf Jahre hinaus zum Sparen gezwungen. Der Ausweg, sagt er, besteht darin, junge Spieler auszubilden. Die müssen Hertha in der Bundesliga halten und gleichzeitig so wertvoll werden, dass andere Vereine sie abwerben. Dafür, sagt Preetz, sei Luhukay genau der Richtige.

Es gab bei Hertha BSC mal Managerfiguren wie Dieter Hoeneß, die den Trainern ihren Ruhm neideten. So einer ist Preetz nicht. Am Fußballplatz lacht und leidet er mit, doch auf einer Gaststättenterrasse fühlt er sich deplatziert, der lange, schlanke Körper gespannt, ständig auf dem Sprung. Er lässt seinem Trainer den Ruhm und den Raum.

Die Bühne ist leer, Scheinwerfer an. Auftritt Jos Luhukay.

Erschienen auf der Dritten Seite.

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