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Hertha BSC: Die Macht der eigenen Wahrnehmung

Ungeachtet aller dürftigen Ergebnisse beharrt Hertha BSC darauf, gerade einen wichtigen Schritt nach vorn zu machen. Das wirkt angesichts der dürftigen Darbietungen überzogen.

In der Psychotherapie ist die Autosuggestion eine bewährte Methode, die in erster Linie der Entspannung dient und im Grunde einem simplen Schema folgt. Indem man ein und denselben Gedanken über einen längeren Zeitpunkt immer neu wiederholt, gestaltet man sich seine eigene Wirklichkeit. Hertha BSC prüft gerade, ob Autosuggestion auch im Fußball wirkt. Seit nunmehr vier Wochen wiederholt der Berliner Bundesligist immer wieder ein und denselben Gedanken: Wir spielen gut, wir sind die bessere Mannschaft. Es liegt auf der Hand, dass solche Aussagen nicht nur der Selbstbestätigung dienen, sondern auch zur Beruhigung der eigenen Nerven. In den vier Spielen, in denen Hertha BSC angeblich besser war als der Gegner, hat die Mannschaft nur einen Punkt geholt – am Samstag beim 1:1 gegen den VfL Bochum.

Seit dem Aufstieg im Jahr 1997 hatte Hertha nach dem 28. Spieltag erst einmal weniger Punkte als in dieser Saison. Das war im Spieljahr 2003/04, in dem Hertha drei Trainer beschäftigte und sich nur mit großer Mühe vor dem Sturz in die Zweitklassigkeit retten konnte. Trotzdem nehmen die Berliner ihre aktuelle Ergebniskrise mit sechs Spielen ohne Sieg mehr oder weniger billigend in Kauf. In echte Abstiegsnot werden sie nach menschlichem Ermessen wohl nicht mehr geraten. „Die Entwicklung steht weiterhin im Vordergrund“, sagt Manager Dieter Hoeneß. Und in dieser Hinsicht sehen die Verantwortlichen bei der Mannschaft regelmäßige Fortschritte. Oder wollen sie zumindest sehen.

„Spielerisch sind wir besser geworden“, sagte Lucien Favre. „Wir beherrschen den Ball besser.“ Trotzdem wirkte die wohlwollende Interpretation des Auftritts in Bochum ein wenig überzogen. Bis zum Führungstreffer durch einen direkt verwandelten Freistoß von Rudolf Skacel hatte Hertha nicht eine einzige Torchance. Dabei war es gegen die unbedarften Bochumer quasi unmöglich, nicht die bessere Mannschaft zu sein.

Wer es gut mit Hertha meint, wird die Darbietungen gegen den VfL so deuten, dass die Mannschaft gerade an einer Schwelle steht und mit dem nächsten Schritt tatsächlich eine neue Qualität erreichen kann. Diese Hoffnung wird im Moment vor allem von Gojko Kacar verkörpert. Der 21 Jahre alte Serbe bringt viel von dem mit, was Favre erwartet: Er ist stark in der Balleroberung und noch besser in der Ballbehauptung. Allerdings verleitet ihn das auch dazu, den Ball gelegentlich zu lange am Fuß zu halten. In Bochum war der Serbe Herthas auffälligster Spieler, allerdings ließen seine Kräfte in der zweiten Hälfte merklich nach. Manchmal mangelt es Kacar noch am Gespür für die richtige Dosierung.

Auch damit steht der derzeit stärkste Berliner sinnbildlich für eine Mannschaft, die eine Menge richtig macht, aber noch zu viele Fehler im Detail begeht. „Es fehlt schon noch etwas“, sagt Favre. Noch immer vermisst er von seinen Spielern die richtige Bewegung; noch immer treffen sie auf dem Platz zu oft die falsche Wahl; und noch immer hapert es am letzten oder vorletzten Pass. „Du kannst nicht plötzlich alles beherrschen“, sagt Favre. Die Frage ist, ob der Lernprozess der Mannschaft pünktlich mit dem Ende dieser Saison abgeschlossen sein wird. Nach dem Dreijahresplan von Manager Dieter Hoeneß, der sich weitgehend mit seiner persönlichen Lebensplanung deckt, müsste Hertha innerhalb von zwei Jahren aus dem unteren Mittelfeld über den Uefa- Cup in die Champions League rauschen.

Lucien Favre ahnt wohl, dass der Aufbau einer konkurrenzfähigen Mannschaft sich nicht an schöne Pläne hält. „Das Ziel ist hoch“, sagt er. „Um eine Mannschaft stabil zu machen, braucht es Zeit.“

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