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Favre

© dpa

Hertha BSC: Fußball in Reinform

Hertha BSC diskutiert über Balleroberung und Verschieben - und nicht über die Tabellenführung. Den Lokalpatrioten wird trotzdem warm ums Herz.

Gestern ist Dieter Hoeneß nach Warschau geflogen, um gemeinsam mit Klaus Wowereit das Ansehen Berlins in Polen zu mehren. Die staatstragende Mission des Managers von Hertha BSC war lange geplant und steht doch als Signal für neue Berliner Ambitionen. Wer in diesen Tagen in die bunten Blätter schaut, dem wird als Lokalpatrioten ganz warm ums Herz. Der Regierende Bürgermeister wird Bundeskanzler – und Hertha Deutscher Meister. „Na klar“, sagt Werner Gegenbauer. „Aber ich sage Ihnen mal eins: Wir werden früher Meister, als der Herr Wowereit zum Kanzler gewählt wird.“ Was vielleicht auch damit zu tun hat, dass die nächsten Bundestagswahlen erst in zwei Jahren stattfinden?

Werner Gegenbauer führt Herthas Aufsichtsrat bei Hertha BSC. Mimik und Tonlage deuteten darauf hin, dass die Sache mit der Meisterschaft nicht ganz ernst gemeint war. Erzählt unter dem Eindruck des bemerkenswerten 3:2-Sieges über Borussia Dortmund und dem zwischenzeitlichen Sprung auf Platz eins der Fußball-Bundesliga. Aber es ist noch nicht lange her, da hätten sie sich bei Hertha BSC gar nicht getraut, solche Witze zu erzählen. Es ist auch gar nicht so lange her, da wusste Werner Gegenbauer gar nicht, wer Lucien Favre war, „das muss ich auch nicht, für das sportliche Geschäft ist Dieter Hoeneß zuständig“. Aber man kann sich schon vorstellen, dass der de jure mächtigste Mann bei Hertha BSC ein wenig überrascht geguckt hat, als ihn Hoeneß im vergangenen Frühling in die von ihm geplante Personalie einweihte. Jetzt darf sich der oft kritisierte Hoeneß feiern lassen für den Coup mit dem Schweizer Fußballlehrer.

Auf den ersten Blick hat Favre bei Hertha einen eher simplen Mentalitätswandel herbeigeführt. Es wird nur noch über Fußball gesprochen. Über Fußball in seiner reinsten Form. Nicht über Tabellenplätze und Auswärtsschwäche, sondern über Balleroberung und das Verschieben ganzer Mannschaftsteile. Favre guckt ganz ungläubig, als er gefragt wird, wie er seine Mannschaft nach dem Sieg über Dortmund auf dem Boden der Tatsachen halten wolle. Wie er ihnen vermitteln wolle, dass das Spiel heute Abend gegen Hansa Rostock (20 Uhr, Olympiastadion) genauso schwer werde wie das gegen Dortmund, mindestens. Mais non, darüber habe er mit seinen Spielern gar nicht gesprochen. Er habe ohnehin wenig mit ihnen geredet in den vergangenen zwei Tagen. „Jeder weiß, was er zu tun hat, das sind alle Profis“, denen müsse er nichts erzählen von Sepp Herberger und dass das nächste Spiel immer das schwerste Spiel ist. Dafür hat Favre zwischen Training, Videostudium und Spielen keine Zeit. Samstag Dortmund, heute Rostock, Freitag Schalke, dazwischen Training und reisen – wer komme bei diesem Programm schon dazu, überheblich zu sein oder ängstlich? „Wichtig war, dass die Spieler regenerieren“, sagt Favre. Geübt haben sie in den vergangenen zwei Tagen vor allem eins: Taktik.

Fußball ist ein einfaches Spiel mit wenigen komplizierten Elementen. Diese lassen sich leicht beherrschen, wenn man sie tagein, tagaus im Training wiederholt. Genau das macht Favre, und genau deswegen hat er sich darüber geärgert, dass Hertha gegen Dortmund nur 80 Minuten lang so spielte, wie es seit Wochen einstudiert wird. Schuld daran war keineswegs eine in den Hinterköpfen der Spieler spukende Blitztabelle mit dem Spitzenreiter Hertha BSC. Oder ein Dortmunder Aufbäumen. Nein, diese Zitterpartie hätten sich die Berliner erspart, wären sie bei ihrem Spielplan geblieben. Die Minikrise in den finalen Minuten gegen Dortmund war eine taktische Krise.

Im System Favre ist der Schlüssel zum Erfolg die Balleroberung. Aber am Samstagnachmittag, zwischen 17.10 und 17.15 Uhr, da wollten ein paar Spieler nicht mehr erobern, sondern genießen. Nicht mehr arbeiten, sondern zaubern. Wie kein Zweiter steht der eingewechselte Solomon Okoronkwo für diesen legeren Umgang mit Ball und Gegner in den finalen Minuten.

Vielleicht hat der Nigerianer in diesen letzten Minuten gegen Dortmund seinen Platz in der heutigen Startformation verspielt. Der Brasilianer André Lima, Okoronkwos Rivale um den Job als zweiter Stürmer neben dem gesetzten Marko Pantelic, hat noch Mühe, sich an das deutsche Tempo zu gewöhnen. „Aber er hat hart gearbeitet, auch in der Defensive“, sagt Favre. Taktische Disziplin zählt beim Perfektionisten Favre mehr als ein Zaubertor, wie es dem schlampigen Okoronkwo am Samstag gegen Dortmund gelang.

„Schön, wenn unsere Zuschauer nicht nur Siege sehen, sondern auch noch attraktiven Fußball“, sagt Herthas Kapitän Arne Friedrich und holt aus zu einem Grundsatzreferat, das sich wie folgt zusammenfassen lässt: Wichtig ist, dass die Mannschaft 90 Minuten lang das umsetzt, was sie sich vorher im Training erarbeitet hat. So ungefähr hätte das auch Lucien Favre gesagt.

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