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A. Schmidt

© ddp

Hertha BSC: Leere Mitte

Hertha war gut, wenn das Mittelfeld gut war – das erklärt die aktuelle Misere. „Wir haben fußballerisch nicht mehr die Klasse wie in früheren Jahren“, sagt Andreas Schmidt.

Berlin - Das vergangene Wochenende ist ein vergleichsweise gutes Wochenende für Kevin-Prince Boateng gewesen. Seine Mannschaft hat in der Liga gegen Manchester City einen wichtigen Sieg errungen, vor allem aber hat Boateng nach mehr als einem Monat mal wieder ein Ligaspiel für Tottenham bestreiten dürfen. Knapp 25 Minuten vor Schluss wurde er eingewechselt, es war sein zweiter Einsatz in der Premier League. Nach allem, was man über Boateng weiß, hat er sich das in England vermutlich alles ein bisschen anders vorgestellt. Sein Wechsel von Hertha BSC nach Tottenham ist nach bisherigem Stand ein großes Missverständnis. Für Boateng und für Hertha. Der Spieler hat geglaubt, er könne locker ohne Hertha – und umgekehrt war es genauso. Dabei könnten sie Kevin-Prince Boateng bei Hertha im Moment ganz gut gebrauchen. Oder Ashkan Dejagah, der inzwischen bei Wolfsburg spielt. Vielleicht sogar seinen Kollegen Marcelinho.

„Wir haben fußballerisch nicht mehr die Klasse wie in früheren Jahren“, sagt Andreas Schmidt, der seit 1993 für die Profimannschaft der Berliner spielt, den Aufstieg miterlebt hat und auch Herthas kurze Blüte am Ende der Neunziger – eine Blüte, die vor allem aus einer starken Mitte entsprang. Davon ist wenig geblieben. „Es fehlen Leute, die mal ein Spiel für uns entscheiden“, sagt Schmidt.

Früher hatte Hertha diese Leute im Übermaß. Nach dem Aufstieg 1997 wurde die spielerische Kreativität im Mittelfeld Stück für Stück ausgeweitet. Man darf dahinter ruhig ein Konzept vermuten: 1998 holte Manager Dieter Hoeneß René Tretschok und Dariusz Wosz nach Berlin, 1999 Stefan Beinlich und Sebastian Deisler, 2001 auch noch den Brasilianer Marcelinho, die prägende Figur der folgenden Jahre. Herthas letzte Hochphase in der Saison 2004/05, als der Mannschaft am Ende ein Sieg für die Qualifikation zur Champions League fehlte, hatte ihren Ursprung ebenfalls in einem starken Mittelfeld. Mit Marcelinho, dessen Landsmann Gilberto und Yildiray Bastürk verfügten die Berliner in diesem Ressort über drei spiel- und offensivstarke Kräfte. Diese Qualität ist Hertha nach und nach verloren gegangen.

Den Weggang von Yildiray Bastürk nach Stuttgart glaubten die Berliner vor dieser Saison auffangen zu können. Gilberto rückte von der linken Seite in die Zentrale, bisher aber hat der brasilianische Nationalspieler in seiner neuen tragenden Rolle nur partiell überzeugen können. Das kreative Defizit der Mannschaft ist offensichtlich. In 16 Saisonspielen hat sich Hertha gerade 65 Torchancen erspielt; nur bei Bielefeld (63) und Duisburg (52) waren es noch weniger. Wenn die Berliner heute auf die Bayern treffen, ist es wieder das Duell zweier ungleicher Gegner. Nach den Planungen von Dieter Hoeneß sollte Hertha längst weiter sein. War Hertha zwischenzeitlich auch.

Der neue Trainer Lucien Favre hat zuletzt häufiger geklagt, er habe noch nicht das richtige Gleichgewicht für seine Mannschaft gefunden. Im Moment entscheidet er sich im Zweifel für defensive Stabilität und gegen entfesselte Offensive. Nichts dokumentiert Favres derzeitige Geisteshaltung besser als die Versetzung von Josip Simunic aus der Innenverteidigung ins defensive Mittelfeld, an die Schaltstelle des modernen Fußballs. Zugunsten der allgemeinen Sicherheit verzichtet Herthas Trainer auf einen Strategen, der das Spiel aus der Tiefe gestaltet.

Es ist bezeichnend, dass kein Mittelfeldspieler bei Hertha an mehr Toren beteiligt war als der Brasilianer Lucio – obwohl der wegen seiner Verletzung nur die Hälfte aller Spiele bestritten hat. Lucio hat ein Tor geschossen und drei vorbereitet. Die Harmlosigkeit aus der Mitte ist erschreckend: Tobias Grahn war bisher an keinem Tor der Berliner beteiligt, Gilberto hat eins geschossen, zwei vorbereitet, und der Hype um Patrick Ebert lässt sich durch Zahlen auch nicht begründen: Auf ein Tor und eine Vorlage hat er es in 15 Spielen gebracht – für einen offensiven Mittelfeldspieler ein dürftiger Ertrag.

Mit 20 Jahren kann Ebert noch gar kein Gestalter sein; dass von ihm eine stärkere Einflussnahme auf das Spiel erwartet wurde, hängt auch mit der Verletzung Lucios zusammen, der bis zum Ende der Saison fehlt. „Sein Ausfall trifft uns hart. Uns fehlt dadurch sowohl das spielerische Element als auch die Geschwindigkeit“, sagt Dieter Hoeneß. „Wir haben gehofft, das intern kompensieren zu können. Das ist nicht gelungen.“ Zur Rückrunde will Hertha es nun extern versuchen – wenn denn nach der Verpflichtung eines Stürmers und eines Außenverteidigers von den drei Millionen Euro noch genug Geld für einen Mittelfeldspieler übrig bleibt.

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