zum Hauptinhalt
Feiern und schweigen. Herthas Spieler könnten nach drei Spielen zufrieden sein – gäbe es die störenden Nebengeräusche nicht.

© dpa

Hertha BSC: Siege in Zeiten des Skandals

Trotz der Aufregung um den vermeintlichen Lolita-Skandal setzt Hertha BSC seinen erfolgreichen Saisonstart fort. Gleichzeitig merkt man aber, wie schwer es dem Klub fällt, mit den jüngsten Ereignissen zurecht zu kommen.

Peter Niemeyer wägte Wort für Wort. Er sprach stockend, überlegte nach jedem Satz. Erst recht bei dem Thema, bei dem sich Hertha BSC aus verständlichen Gründen allgemeine Sprachlosigkeit verordnet hat. Wie die Mannschaft denn mit dem Wirbel um die sogenannte Lolita-Affäre umgegangen sei, war der Mittelfeldspieler der Berliner Fußballer gefragt worden. „Wir freuen uns über den Sieg“, antwortete Niemeyer und machte eine Pause. „Wir sind zu Hause weiter ungeschlagen.“ Pause. „Wir haben jetzt sieben Punkte. Das macht uns glücklich.“ Später sagte Niemeyer noch, man habe der Mannschaft schon anmerken können, „dass man das nicht so einfach aus den Kleidern bekommt“. Er meinte den Hamburger SV, der in der Woche vor dem Spiel im Olympiastadion ebenfalls in außersportliche Turbulenzen geraten war.

In mindestens gleichem Maße aber traf die Aussage auf Hertha BSC zu. Der Klub ist merklich angefasst von der Berichterstattung, die Details aus dem Intimleben einiger Spieler ausgebreitet hat. „Man wird konfrontiert mit privaten Angelegenheiten“, klagte Trainer Jos Luhukay. „Und ich weiß nicht, was die nächsten Tage wieder kommt.“ Das war bevor, die „BZ“ am Sonntag noch einmal kräftig nachlegte.

Luhukay, der sich bis dahin noch überhaupt nicht zu der Affäre geäußert hatte, wandte sich am Samstagabend ungefragt an die Öffentlichkeit, gab vor den Fernsehkameras und in der Pressekonferenz nach dem Spiel eine persönliche Erklärung ab, emotional und bewegend. „Das hat nichts mehr mit Normen und Werten des Lebens zu tun“, klagte er. Zwei Tage habe er nicht geschlafen, wie viele andere auch. Eine fokussierte Vorbereitung auf das Spiel gegen den HSV sei unter diesen Umständen gar nicht möglich gewesen, und „innerlich kann ich mich gar nicht über den Sieg freuen“.

Die ganze Angelegenheit sei peinlich für alle Beteiligten, „sehr, sehr peinlich“, sagte Luhukay. Wen er mit den Beteiligten gemeint hatte – die Medien, seine Spieler –, das wollte Herthas Trainer am Tag nach dem Spiel nicht präzisieren. „Ich habe das gesagt, was ich gestern gesagt habe. Dem will ich nichts mehr hinzufügen“, erklärte er auf Nachfrage. Nur dies: „Aus menschlicher Sicht habe ich selber Probleme damit.“ Herthas Spieler sprachen am Sonntag überhaupt nicht. Sie hatten sich vor dem Training darauf verständigt, kollektiv zu schweigen. Als die Mannschaft zum Auslaufen auf den Trainingsplatz kam, rief Stürmer Sandro Wagner den Journalisten lediglich zu: „Guten Morgen, Freunde!“

Gäbe es die störenden Nebengeräusche nicht, könnte Hertha nach drei Spielen in der Bundesliga mehr als zufrieden sein. Das 1:0 gegen den Hamburger SV bescherte dem Aufsteiger mit nun sieben Punkten den besten Saisonstart der Vereinsgeschichte. Doch angesichts der jüngsten Ereignisse interessierte der historische Rekord Trainer Luhukay nicht einmal am Rande. Viel wichtiger war ihm, dass Hertha mit dem Sieg auch gegen die Zweifel gewonnen hatte, gegen die Ungewissheit. Die Affäre ist längst noch nicht ausgestanden, die juristische Aufarbeitung wird den Verein noch lange beschäftigen, möglicherweise auch einzelne Spieler. Man kann sich vorstellen, dass sich diese Aussicht nicht unbedingt als leistungsfördernd erweist. Jos Luhukay jedenfalls hatte gegen den HSV von Beginn an „ein Stück mehr Spannung auf dem Spiel“ ausgemacht. „Das ist nicht einfach abzustreifen, wenn über Tage darüber berichtet wird“, sagte Manager Michael Preetz.

Hertha fand gegen die Hamburger nur schleppend ins Spiel. Verkrampfung und einen Tick Unsicherheit nahm Luhukay wahr. Schon Mitte der ersten Halbzeit sah er sich zu vergleichsweise drastischen Maßnahmen gezwungen. Für den jungen John Anthony Brooks schickte er den routinierten Peter Niemeyer aufs Feld. Der frühere Kapitän war bis dahin so etwas wie der Aufstiegsverlierer gewesen; Niemeyer hatte in dieser Saison noch keine einzige Sekunde gespielt, mit seinen Qualitäten schien er ein wenig aus der Zeit gefallen. „Die Mannschaft brauchte heute Peter“, sagte Luhukay. Sie brauchte seine Einstellung, seine Mentalität, seine Ruhe auch. „Er hat das heute vorbildlich gemacht“, fand Luhukay. „Es ist hervorragend aufgegangen.“

Taktisch gesehen entschied sich Herthas Trainer dafür, die Defensive zu stärken, weil das Offensivspiel nicht wie gewünscht funktionierte. „Die Mannschaft hat ein Stück Stabilität“, sagte Luhukay, „darauf können wir in schwierigen Zeiten zurückgreifen.“ Im übertragenen Sinne gilt das wohl auch.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false