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Schrei, wenn du kannst. Stürmer Davie Selke schoss in den Europa-League-Spielen alle drei Berliner Tore.

© AFP

Hertha BSC spielt beim VfL Wolfsburg: Davie Selke fordert Vedad Ibisevic heraus

Davie Selke ist bei der Hertha angekommen und könnte Vedad Ibisevic im Angriff schneller ablösen als gedacht. Stürmt er auch heute gegen Wolfsburg?

Alles Gute kommt von oben. Manchmal auch das Schlechte. Gut oder schlecht? Davie Selke blickte auf den Monitor unter der Decke, auf dem gerade die Pressekonferenz mit Pal Dardai, dem Trainer von Hertha BSC, übertragen wurde. Er nickte mit dem Kopf in dessen Richtung und sagte: „Das muss der Chef entscheiden.“ Selke hatte gerade zum ersten Mal, seitdem er im Sommer aus Leipzig nach Berlin gewechselt ist, 90 Minuten am Stück auf dem Fußballplatz gestanden. Solche Anstrengungen sind für ihn noch ungewohnt, nachdem er die komplette Vorbereitung verpasst hatte und zehn Wochen lang ausgefallen war. Also war er gefragt worden, ob er sich denn schon am Sonntag einen weiteren Einsatz zutraue. Selke lächelte – und verwies auf den Chef.

Es ist in der Tat keine ganz einfache Entscheidung, die Dardai am Sonntag, beim Auswärtsspiel der Berliner gegen den VfL Wolfsburg (18 Uhr, live bei Sky), zu treffen hat. Seine ursprüngliche Planung dürfte so ausgesehen haben: Weil Vedad Ibisevic in der Europa League gelbgesperrt war, rückte gegen Sorja Luhansk Davie Selke in die Startelf; in Wolfsburg wiederum kann dann Ibisevic, frisch und ausgeruht, von Anfang an spielen.

Gut möglich, dass Selke diese Planung am Donnerstagabend ein wenig durchkreuzt hat. Weil der 22-Jährige beide Tore zum 2:0-Erfolg der Berliner erzielte, steht sein Trainer jetzt vor der Grundsatzfrage: Was braucht meine Mannschaft mehr: körperliche Frische, also Ibisevic, oder jugendliche Leichtigkeit, also Selke? „Sehr schwierig“ sei die Entscheidung, sagte Dardai am Tag nach dem Europa-League-Spiel. Er ist zumindest ins Grübeln gekommen.

Dardai sieht Probleme seit "hundert Jahren"

Hertha BSC hat in der Bundesliga nun schon seit neun Spielen nicht mehr zu null gespielt. Aber das große Thema in dieser Saison ist nicht die Defensive, sondern das mangelhafte Offensivspiel der Mannschaft, die fehlende Durchschlagskraft, eine gewisse Mutlosigkeit in der Anbahnung von Torchancen. Dardai selbst hat vor dem Spiel gegen Luhansk auf die Defizite im Angriff hingewiesen. Das Problem vor dem Tor gebe es „seit hundert Jahren hier“, hat Herthas Trainer geschimpft, „seitdem ich hier bin“.

Ein bisschen liegt das auch an der grundsätzlichen Ausrichtung der Mannschaft. Dardai hält nichts von Toren als Zufallsprodukt. Die Chancen sollen gezielt herausgespielt werden, der Abschluss nur dann gesucht werden, wenn eine realistische Aussicht auf Erfolg besteht.

Wesentlicher Bestandteil für das Gelingen dieser Idee war die Effizienz des zentralen Stürmers vor dem Tor. Und genau die zeichnet Vedad Ibisevic aus. Oder muss man inzwischen sagen: Hat Ibisevic ausgezeichnet? Der 33-Jährige ist in dieser Saison nach acht Einsätzen immer noch ohne Bundesligator, seit saisonübergreifend 900 Spielminuten hat er nicht mehr getroffen. Man merkt zunehmend, dass der Bosnier mit sich und seiner Situation hadert, dass er unzufrieden ist und sich sein Frust wieder vermehrt in verbalen Scharmützeln mit dem Schiedsrichter äußert.

Dass sich Ibisevics Karriere dem Ende nähert, kommt für Hertha nicht völlig überraschend. Nicht zuletzt deshalb hat der Klub vor der Saison stolze 8,5 Millionen Euro in den mehr als zehn Jahre jüngeren Selke investiert – so viel wie nie zuvor für einen Spieler. Im Sommer hieß es zwar immer, dass es überhaupt kein Problem sei, Ibisevic und Selke zusammen im Sturm spielen zu lassen. In Wirklichkeit aber war Selke von Anfang an als Ibisevics Nachfolger eingeplant. Inzwischen deutet einiges darauf hin, dass die Ablösung schneller ansteht als ursprünglich geplant.

Selke ist Herthas Mr. Europa League

Pal Dardai muss zumindest ahnen, dass dieses Thema ihn in den nächsten Monaten begleiten wird – und dass es nicht nur ein Luxusproblem ist, weil Ibisevic immerhin als Kapitän einen latenten Anspruch auf einen Stammplatz besitzt. Herthas Trainer klang nach dem Sieg gegen Luhansk fast schon ein bisschen zu geschäftsmäßig. „Er hat seine Aufgabe erledigt“, sagte er über Selke. „Wir dürfen nicht gleich erwarten, dass er hundert Tore schießt.“

Immerhin hat Davie Selke 100 Prozent aller Berliner Tore in der Europa League erzielt, drei von drei nämlich. „Wir haben es gut zu Ende gespielt heute“, sagte er nach dem Sieg gegen Luhansk. In den fünf Spielen zuvor hatte Hertha kein einziges Tor aus dem Spiel heraus erzielt, die jüngsten sechs Treffer resultierten allesamt aus Standardsituationen. Gegen Luhansk dann traf Selke nach einer Flanke von Maximilian Mittelstädt per Kopf und nach einem Steilpass von Alexander Esswein, als er im Sprint noch schnell den ukrainischen Torhüter umkurvte.

„Er ist ein Monster da vorne drin“, sagte Mittelstädt. Selke ist nicht gerade ein filigraner Kombinationsfußballer, aber er verfügt neben seiner Präsenz im Strafraum über eine Wucht, die Hertha gut tut. Im Moment mehr denn je. „Wir brauchen diese Tore“, hat Pal Dardai am Donnerstagabend gesagt. Letztlich ist es ihm vermutlich egal, wer diese Tore schießt. Aber im Moment deutet einiges darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit bei Davie Selke größer ist als bei Vedad Ibisevic.

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