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Die Mauer steht. Lothar Matthäus versucht sich im Mai 1983 mit einem Freistoß für Borussia Mönchengladbach, doch Hertha und Heikko Glöde (2. v.l.) können abwehren.

© imago/Werner Otto

Update

Hertha BSC wird 125: Heikko Glöde: „Wir waren mehr im Café als auf dem Platz“

Heikko Glöde über Stadionbesuche an der Plumpe, seine Erfahrungen mit Rudi Gutendorf als Trainer und Herthas Absturz in die Drittklassigkeit Mitte der Achtziger

Hertha BSC wird 125. Hier erzählen ehemalige Profis von ihren Erlebnissen bei Hertha BSC. Jeden Tag ist ein Spieler aus einem Jahrzehnt dran. Nach Uwe Klimaschefski über die 60er und Bernd Gersdorff über die 70er jetzt Teil drei: Die 1980er Jahre.

Herr Glöde, Sie sind gebürtiger Berliner. Waren Sie als Kind auch Hertha-Fan?

Immer schon. Ich bin mit vier oder fünf sogar noch mit meinem Opa an der Plumpe gewesen. Richtig dolle kann ich mich daran nicht mehr erinnern. Das ist beim Olympiastadion anders. Da war ich als Kind und Jugendlicher regelmäßig. Ich bin auch mit Autogrammkarten zum Training gerannt. Das war natürlich auch eine erfolgreiche Zeit mit Leuten wie Volkmar Groß, Varga, Gergely, Patzke, Wild, Ferschl. Viele dieser Spieler habe ich später noch kennengelernt. Uwe Kliemann war bei Hertha mein Trainer, mit Volkmar Groß war ich befreundet.

Gab es spektakuläre Spiele, die Sie im Stadion erlebt haben?

Beim Uefa-Cup-Halbfinale gegen Roter Stern Belgrad saßen wir mit Motorradhelm im Stadion, weil ein gewaltiges Unwetter niederging. Ich war auch gegen den 1. FC Köln dabei, als 90.000 Zuschauer im Stadion waren und die Leute sogar auf den Treppenaufgängen saßen.

Bei Wikipedia steht, dass Sie in der Jugend mal kurz für Hertha BSC gespielt haben.

Das stimmt nicht. Ich habe bei Hertha 06 gespielt, einem kleinen Verein in Charlottenburg. Da habe ich mit 14 angefangen, Fußball zu spielen.

Mit 14 erst?

Ich habe natürlich ohne Ende auf der Straße gespielt, aber nie im Verein. Eigentlich war ich Handballer. Ich habe sogar zwei Juniorenländerspiele bestritten. Zum Fußball bin ich durch den Schulsport gekommen. Mein Lehrer hat mich so ein bisschen entdeckt. Er hat sogar zu Hause bei meinen Eltern vorgesprochen. Mit 18 bin ich bei Tennis Borussia Profi geworden, in der Zweiten Liga Nord. Heute geht so was gar nicht mehr: dass du gerade mal vier Jahre Fußball spielst und dann Profi wirst.

Heikko Glöde, 56, wurde in Berlin geboren und spielte von 1982 bis 1986 für Hertha BSC. Danach lief er unter anderem für Osnabrück auf. Heute arbeitet er als Physiotherapeut.
Heikko Glöde, 56, wurde in Berlin geboren und spielte von 1982 bis 1986 für Hertha BSC. Danach lief er unter anderem für Osnabrück auf. Heute arbeitet er als Physiotherapeut.

© imago/Christian Schroedter

Wie wurde Hertha auf Sie aufmerksam?

Zum 1. Juli 1981 bin ich zum SCC in die Oberliga gewechselt, Ende August habe ich mit der Berliner Auswahl zwei Spiele gegen Westfalen bestritten. In diesen beiden Spielen habe ich, glaube ich, fünf Mal getroffen. Und wie das so ist: Auf der Tribüne saßen Wolfgang Holst und Georg Gawliczek ...

... Präsident und Trainer von Hertha.

Die haben mir einen Vorvertrag für die neue Saison angeboten. Für mich war das natürlich der absolute Traum.

Gab es die Überlegung, schon im Winter zu Hertha zu wechseln?

Das war nie ein Thema. Ich habe mich beim SCC auch sehr wohl gefühlt. Wir waren eine richtige Berliner Mannschaft mit tollen Spielern. Dieses Jahr hat mich auch sehr geprägt. Ich hatte gerade Abitur gemacht, konnte zwei Mal am Tag trainieren, und unser Trainer Adolf Remy hatte ein gutes Händchen für junge Spieler: Der hat uns richtig nach vorne gebracht. Remy war auch der Einzige, der über meinen Wechsel zu Hertha ein bisschen verschnupft war. Er hätte mich lieber bei einem Verein in Westdeutschland untergebracht. Aber als Hertha angefragt hat, gab es für mich nichts anderes mehr.

Bei Ihrem Wechsel im Sommer 1982 war Hertha gerade in die Bundesliga aufgestiegen. Was war das für eine Mannschaft?

Eine tolle Zweitligamannschaft, für die es in der Bundesliga leider nicht gereicht hat. Hertha hatte damals nicht viel Geld. Deshalb gab es nach dem Aufstieg im Grunde nur einen fertigen Neuzugang. Das war Rolf Blau vom VfL Bochum. Sonst kamen noch Karl-Heinz Emig, der noch jünger war als ich, Uwe Kollmannsperger, der 18 war, und ich. Von den vier Neuzugängen waren also drei Amateure. Das war unterm Strich vielleicht zu wenig.

Im Winter holte Hertha noch Rainer Bonhof, immerhin Weltmeister von 1974.

Rainer Bonhof war eigentlich nur verletzt. In einem seiner ersten Spiele hat er bei einem Elfmeter in den Boden getreten und sich dabei einen Muskelfaserriss zugezogen. Davon hat er sich nie mehr erholt. Aber für mich persönlich war Rainer sehr wichtig. Er hat zu mir gesagt: Heikko, komm, wir gehen schon eine halbe Stunde vorher auf den Platz und arbeiten an der Schusstechnik. Dadurch hat er mir geholfen, den Sprung zu schaffen. Das hat mich geformt. Rainer Bonhof war wirklich ein toller Typ.

Wie lief die Saison für Hertha?

Wir haben von Anfang an unten mitgespielt. Für mich war es im Nachhinein vielleicht sogar gut, weil ich in der Zweiten Liga dann unumstrittener Stammspieler wurde. In der Bundesliga hatte ich elf Spiele bestritten, auch zwei Tore gemacht - das Jahr hat mich schon nach vorne gebracht. Aber vielleicht wäre die Bundesliga für mich eine Nummer zu groß gewesen.

Gegen wen haben Sie debütiert?

Das weiß ich gar nicht mehr. Ich weiß, dass ich am ersten Spieltag auf der Bank gesessen habe. Aber debütiert habe ich erst am Ende der Hinrunde, kurz vor Weihnachten. Ich glaube gegen Stuttgart und Karl-Heinz Förster.

Es gab damals angenehmere Gegenspieler.

Das stimmt. Aber in der Rückrunde habe ich sogar mein zweites Bundesligator gegen ihn erzielt. Das erste habe ich gegen Wilfried Hannes geschossen, in Mönchengladbach. Zu dem Spiel gibt es auch noch eine lustige Geschichte.

Erzählen Sie!

Im Urlaub auf Kreta hatte ich Lothar Matthäus kennengelernt, seitdem waren wir befreundet. Als ich auf dem Bökelberg zum Aufwärmen auf den Platz bin, kommt mir Lothar entgegen. „Was machst du denn hier?“, hat er mich gefragt. „Ich spiele heute, von Anfang an“, habe ich geantwortet. „Brauchst gar nicht aufzulaufen. Ihr habt keine Chance.“ Der Lothar hat ja damals schon eine große Klappe gehabt. Da hast du natürlich gleich mal geschluckt.

"Mit der Mannschaft hätten wir nie absteigen dürfen"

Die Mauer steht. Lothar Matthäus versucht sich im Mai 1983 mit einem Freistoß für Borussia Mönchengladbach, doch Hertha und Heikko Glöde (2. v.l.) können abwehren.
Die Mauer steht. Lothar Matthäus versucht sich im Mai 1983 mit einem Freistoß für Borussia Mönchengladbach, doch Hertha und Heikko Glöde (2. v.l.) können abwehren.

© imago/Werner Otto

Nach dem Abstieg wurde Martin Luppen Trainer bei Hertha, der gerade den Zweitligisten Fortuna Köln ins DFB-Pokalfinale geführt hatte.

Man wusste von den älteren Spielern, dass Luppen so ein Lehrertyp war und selbst nicht auf höherem Niveau gespielt hatte. Aber er hat von Anfang an auf mich gesetzt. Leute wie Thomas Remark waren plötzlich hinter mir, von heute auf morgen. Für mich war Martin Luppen ein wichtiger Mann. Er war auch der Erste, der mit großen Bildern an der Wand gearbeitet hat, mit Tafel und Taktik. Das kannten wir von Gawliczek gar nicht.

Was war Gawliczek für ein Trainer?

Der war damals schon über 60, hatte als Co-Trainer von Sepp Herberger gearbeitet. Das war relativ alte Schule. Gawliczek hat auch mal Spieler verwechselt, das war schon lustig. Vor einem Spiel gegen Hannover 96 hat er in der Mannschaftssitzung gesagt: „Hannover hat einen Stürmer, auf den müssen wir aufpassen. Das ist der Schatzmeister.“ Er meinte Dieter Schatzschneider. Die älteren Spieler sind vor Lachen vom Stuhl gekippt.

Luppen blieb nur ein Jahr.

Hertha wollte natürlich direkt wieder aufsteigen. Aber davon waren wir weit entfernt. Nach oben hatten wir keine Chance. Am Ende sind wir Elfter geworden. Und auch in den Jahren danach haben wir nie am Aufstieg gelutscht. Dafür hatten wir einfach nicht die entsprechende Mannschaft.

1986 stieg Hertha sogar in die Oberliga ab.

Das war der Hammer. Mit dieser Mannschaft, mit Andreas Köpke im Tor, Gregor Grillemeier, Hanne Weiner, hätten wir niemals absteigen dürfen. Ich bin mir auch sicher, mit Uwe Kliemann als Trainer, den wir alle sehr gemocht haben, wäre das nicht passiert. Als er im Winter entlassen wurde, standen wir irgendwo im Mittelfeld. Ich weiß nicht, warum er gehen musste. Vielleicht musste aus Publicity-Gründen ein großer Name her.

Für Kliemann kam Rudi Gutendorf.

Vor dem Hallenturnier in der Deutschland-Halle hat Gutendorf eine brennende Rede gehalten, danach haben wir das Turnier gewonnen. Vielleicht hat uns das die Sinne vernebelt. Wir haben damals ein angenehmes Leben geführt. Gutendorf hat Geschichten aus Afrika und Australien erzählt. Wir waren Zweitligaspieler und zufrieden damit. Wir hatten nicht den Weitblick, dass das eigentlich falsch war und haben den Abstieg mehr oder weniger hingenommen. Die Gefahr haben wir irgendwie weggeschoben. Wir haben ja auch mehr im Café gesessen, als auf dem Platz gestanden.

Wieso das?

Irgendwann hatten wir so viele Verletzte, dass Gutendorf gesagt hat: Trainieren ist zu gefährlich. Wir haben uns dann mit dem Mannschaftsrat im Wiener Café getroffen, Kuchen gegessen und über Fußball geredet. Zum Schluss waren wir 14 Leute im Mannschaftsrat, weil jeder mit zum Kaffeetrinken wollte. Nur Andy Köpke hat sich aufgeregt, weil er lieber auf den Fußballplatz wollte. Aber am Ende war er, glaube ich, auch im Mannschaftsrat. Furchtbar war das.

Haben Sie die Gefahr unterschätzt?

Ja, ganz sicher. Wir haben gedacht: Mein Gott, dann werden wir eben Dreizehnter. Für die letzten Spiele kam noch Jürgen Sundermann. Von heute auf morgen war plötzlich totale Disziplin angesagt. Sundermann hat angefangen, richtig durchzugreifen. Man durfte nicht mehr in Badelatschen zum Frühstück kommen und solche Sachen. Das kannten wir gar nicht mehr. Wir haben noch mal neuen Schwung gekriegt. Aber es hat nicht mehr gereicht. Am vorletzten Spieltag hätten wir gegen Freiburg gewinnen müssen, da hat Souleymane Sané kurz vor Schluss das 1:1 gegen uns gemacht. Und am letzten Spieltag haben wir in Aachen verloren.

Wie haben Sie den Absturz des Klubs in die Bedeutungslosigkeit erlebt?

Das war furchtbar, katastrophal. Ich habe geheult. Aber gleich nach dem letzten Spiel, noch im Hotel in Aachen, habe ich zwei Anrufe von Vereinen bekommen, die mich verpflichten wollten. Ich war damals 25 und mir war klar, dass ich in der Zweiten Liga bleiben will. Hertha hat mir zwar auch ein Angebot gemacht, aber für mich war es kein Thema, gegen Frohnau oder den SSV zu spielen.

Das Gespräch führte Stefan Hermanns.

Heikko Glöde, 56, wurde in Berlin geboren und spielte von 1982 bis 1986 für Hertha BSC. Danach lief er unter anderem für Osnabrück auf. Heute arbeitet er als Physiotherapeut.

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