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Okoronkwo

© ddp

Hertha BSC: Zurück im Leben

Stürmer Okoronkwo war von Hertha abgeschrieben worden. Nun fühlt er sich verstanden und schießt Tore.

Berlin - Als Herthas später Held vom Platz kommt, trägt er ein grün-weißes Trikot, es ist nach links gedreht, man sieht die Nummer nicht. Solomon Okoronkwo sagt: „Das ist von Pablo Thiam.“ Jenem Wolfsburger, der kurz vor Schluss einen Tick zu spät kam und nicht mehr den Fuß dazwischen bekam, als Okoronkwo den Ball zum 2:1-Siegtor in die linke Ecke drosch. Okoronkwo lacht. „Ich habe das Trikot mit ihm getauscht, weil er aus Afrika kommt.“ Genauer gesagt: aus Guinea. Okoronkwo ist in Nigeria geboren, zwischen beiden Ländern liegen gut 2000 Kilometer, „aber wenn du so weit weg bist, hier in Europa, dann sind wir beide schon fast Landsleute.“ Okoronkwo und Thiam leben an diesem Nachmittag im Berliner Olympiastadion den panafrikanischen Gedanken.

Es sind Momente ungewohnten Wohlbefindens, die Solomon Okoronkwo derzeit genießt. Schon vor zwei Wochen hat er beim 3:1-Sieg über den VfB Stuttgart getroffen. Es war Okoronkwos erstes Bundesligator. Eine Woche danach durfte er auch in Bielefeld von Beginn an spielen, das erste Mal überhaupt über 90 Minuten. Hertha verlor 0:2, aber Okoronkwo war der gefährlichste Berliner Stürmer. Ein Stürmer, mit dem Abwehrspieler nichts recht anzufangen wissen.

Sein hoch aufgeschossener Körper lässt ihn, ähnlich wie den Rostocker Victor Agali, schmächtig erscheinen, aber wehe dem Verteidiger, der ihn mal wegschieben will. Mit seinen langen, streichholzdünnen Beinen erobert und behauptet er Bälle, die andere längst verloren geben. Weil er so gebückt läuft, wirkt Okoronkwo staksig bis ungeschickt – und gewinnt dennoch so gut wie jedes Laufduell. Und wie scharf und platziert er auch aus schwierigen Lagen schießen kann, das hat Okoronkwo gegen Wolfsburg gezeigt. In der 82. Minute hatte ihn Trainer Lucien Favre für den entkräfteten André Lima auf den Platz geschickt. Nach sechsminütiger Akklimatisierung wuchtete der Nigerianer den Ball aus der Drehung mit dem linken Fuß ins linke Eck.

Solomon Okoronkwo hat sich in Berlin nicht immer so willkommen gefühlt wie am Samstag mit den Ovationen der 40 000 Fans, all den Glückwünschen und mit Pablo Thiams Trikot auf den Schultern. Er ist heute 20 Jahre alt und kam schon als 17-Jähriger nach Berlin, zu einer Zeit, als Hertha mangels finanzieller Potenz verstärkt auf junge, selbst entwickelte Spieler setzte. Irgendwann verselbstständigte sich das Experiment, die jungen Spieler forderten Respekt und Führungsrollen, und weil die älteren das nicht ohne Weiteres hinnehmen wollten, zerfiel die Mannschaft in zwei beinahe schon verfeindete Gruppen.

Kevin-Prince Boateng spielte die Hauptrolle in dieser Groteske, aber auch Solomon Okoronkwo beteiligte sich aktiv. Seine Autogrammkarten unterzeichnete er mit dem Namenszusatz „King“, was bei Herthas Manager Dieter Hoeneß gar nicht gut ankam (und bei den älteren Mitspielern auch nicht). Einmal verschlief er die Abfahrt zum Auswärtsspiel nach Rostock, ein anderes Mal legte er sich mit Spielmacher Bastürk an, der ihm ein blaues Auge verpasste. Beim Auswärtsspiel in Cottbus wollte er seinen Gegenspieler Szelesni mit einem Kopfstoß niederstrecken. Er traf ihn nicht, aber der Schiedsrichter stand daneben und schickte Okoronkwo für die versuchte Tätlichkeit vom Platz. Seine größte sportliche Tat war das Tor zum 1:0-Sieg in der Uefa-Cup-Qualifikation gegen die Georgier von Ameri Tiflis.

Ein Jahr später feiert Solomon Okoronkwo seine Erfolgserlebnisse nicht mehr gegen Mannschaften aus dem osteuropäischen Niemandsland. Nach seinem Tor gegen Wolfsburg hat er in jede Kamera gesagt (und es waren viele Kameras), wie schön es sei, dass der Trainer ihm vertraue. So etwas sagen Fußballspieler gern, wenn sie nichts anderes zu sagen haben, aber bei Okoronkwo steckt wohl doch mehr dahinter. Die unausgesprochene Botschaft: Der andere Trainer hat mir nicht vertraut.

Der andere Trainer war Falko Götz. Der Mann, der gern sein Faible für den Nachwuchs betonte und wegen dem die Nachwuchsspieler reihenweise denn Verein verließen. Götz nannte Okoronkwo „unser Riesentalent“, aber spielen ließ er ihn fast nie. Nach 15 Bundesligaspielen, zwei von Beginn an und keines über 90 Minuten, hatte Hertha erst einmal genug von ihm und verlieh ihn für ein halbes Jahr an den Zweitligisten Rot-Weiss Essen. Als Okoronkwo vor ein paar Wochen nach Berlin zurückkehrte, war Falko Götz nicht mehr da.

Ist Solomon Okoronkwo ein anderer geworden? Temperament lässt sich schließlich nicht per Dekret regulieren. Noch vor kurzem wurde er im Training gegen Jerome Boateng handgreiflich. Aber die Mannschaft ist eine andere geworden. Das Experiment Jugend ist beendet, Hertha BSC verfügt wieder über eine Hierarchie. Okoronkwo muss sich hinten anstellen. Vielleicht hat er erst in den vergangenen Wochen verinnerlicht, dass Respekt nicht verliehen wird, sondern erarbeitet werden muss.

Dazu kommt die Erfahrung, dass diese Arbeit den Aufwand lohnt. Der neue Trainer Lucien Favre pflegt einen anderen Stil als sein Vorgänger Götz. Die eigentliche Trainingsarbeit überlässt der Schweizer einem Assistenten Harald Gämperle. Favre läuft meist schweigend auf und ab, scheinbar geistesabwesend rückt er die Hütchen auf dem Trainingsplatz hin und her. Manchmal wirkt es, als würde er meditieren, aber dann ruft er plötzlich einen Namen, oft ist es der von Solomon Okoronkwo. Was folgt, ist ein längerer Vortrag mit praktischer Anleitung, präzise dosiertes Einzeltraining.

Über Falko Götz klagten die jungen Berliner noch, der Trainer habe über Wochen, ja Monate kein einziges Mal mit ihnen gesprochen.

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