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Verdiente Feier. Herthas Spieler nach dem Auftaktsieg.

© dpa

Hertha nach dem Traumstart: Wie ein zweiter Aufstieg

Hertha BSC staunt nach dem 6:1 Auftaktsieg über Eintracht Frankfurt selbst darüber, wie schnell der Mannschaft die Umstellung auf das Bundesliga-Niveau gelungen ist.

In der Nacht danach hat Jos Luhukay nicht gut geschlafen. Dabei waren seine Frau, sein Sohn und ein Freund zu Besuch, sie gingen abends noch essen in der Stadt, zum Nachtisch gab es Eis, die Leibspeise des Fußballtrainers. „Hat sehr gut geschmeckt.“ Doch Luhukay war am Sonntag früh gegen fünf Uhr schon wieder wach. Herthas 6:1-Sieg zum Bundesligaauftakt gegen Eintracht Frankfurt hatte ihn aufgewühlt, aber „ich schlafe nach Spielen nie gut“, sagte er am Morgen beim Auslaufen seiner Mannschaft. Die Spannung des Tages, sie falle schwer ab. Dazu klingelte sein Handy ständig, so viele Glückwunsch-SMS, „das war wie ein zweiter Aufstieg“.

Die Fans von Hertha BSC waren dagegen selig ins Bett gefallen und beim Blick auf die Tabelle, die ihre Mannschaft ganz oben führte, am Sonntagmorgen gleich wieder berauscht. Luhukay sah das nüchterner. „Um Gottes Willen, das ist eine Momentaufnahme“, sagte er. „Wir träumen nicht, dass wir jetzt Bayern oder Dortmund gefährden.“ Doch bremsen wollte Luhukay die Begeisterung in Berlin keineswegs. Er deutete auf die Fans, die ihn am Trainingsplatz umringten, und sagte: „Lasst sie Freude haben. Sie sollen euphorisch bleiben.“ Der höchste Auftaktsieg eines Aufsteigers in der Bundesligageschichte, Herthas erste Erstligatabellenführung seit viereinhalb Jahren – das kann man erst mal so stehen lassen.

Es konnte einem schon fast unheimlich werden, so urgewaltig wie Hertha tags zuvor im Olympiastadion sich selbst und die 54 000 Zuschauer mitgerissen hatte. Bis zuletzt hatte es Zweifel gegeben in Berlin, wie und ob Hertha ankommen würde in Liga eins. Zwei Abstiege in zwei Jahren hatten beim Anhang Ängste geweckt, die auch die Zweitligameisterschaft mit einem neuen Punkterekord nicht ganz hatte abbauen können. Die Bundesliga, der schnelle Spitzenfußball dort, mit führend in Europa, alles hatte sich derart rasant entwickelt in den vergangenen Jahren. Könnten die Berliner da Anschluss finden?

Und dann spielte Hertha einen Fußball, der in Geschwindigkeit und technischem Anspruch mehr als State of the Art in der Bundesliga war, der in diesen Kategorien Bayern Münchens Auftakt gegen Borussia Mönchengladbach am Vorabend nicht nachstand, wie Luhukay, der beide Spiele gesehen hatte, befand. „In der Bundesliga kommt es auf Tempo, Umschalten und Handlungsschnelligkeit an“, sagte Luhukay, „und auf Basis dieser Facetten haben wir gewonnen.“

Nicht nur ein Spiel, sondern auch bei den eigenen Fans, die erst staunten und dann „Spitzenreiter, Spitzenreiter!“ sangen. Es war wirklich so, als wäre Hertha zum zweiten Mal aufgestiegen, auf gehobenes Bundesliga-Niveau. „Wir haben die Erleichterung im Stadion gespürt“, sagte Verteidiger Sebastian Langkamp nach dem Abpfiff. Der Mannschaft wurde der eigene Erfolg fast schon zu viel. „Ein bisschen too much“ sei es gewesen, sagte Langkamp, „wir wissen, dass der Sieg vielleicht um einige Tore zu hoch ausgefallen ist, wir können das in die richtige Schublade einordnen.“ Auch über diese Schublade ließe sich streiten. Ein wegen Abseits nicht gegebenes Tor von Adrian Ramos, dazu drei Schüsse an die Latte. „Wir hätten auch 10:1 gewinnen können“, sagte Fabian Lustenberger. Aber auch der neue Kapitän der Berliner ordnete den Sieg schnell ein. „Wir verlieren nicht die Bodenhaftung, in den letzten Jahren gab es viel Auf und Ab in Berlin.“ Jetzt gelte es, das Gezeigte zu bestätigen und schnell möglichst viele Punkte zu sammeln.

Dass Hertha BSC so eindrucksvoll damit begann, hatten nicht viele Beobachter erwartet nach der ersten Pokalrunde, in der die Berliner mit dürftiger Leistung und viel Glück erst in der Verlängerung beim Viertligisten Neumünster gewannen. Das negative Echo war der Mannschaft merklich aufgestoßen . „Wir haben alle gesagt, dass der Pokal nicht das Gleiche ist wie die Meisterschaft“, sagte Fabian Lustenberger. „Aber so einen Start haben wir alle nicht erwartet, das genießen wir erst einmal ein paar Tage lang.“

Jos Luhukay hatte ohnehin seine Schlüsse gezogen aus der Vorbereitung. So brachte er zum Ligastart Hajime Hosogai für Peer Kluge ins Team. Auf den ersten Blick eine auf Sicherheit bedachte Maßnahme, ein eher die Defensive kontrollierender Spieler für einen, der für das schnelle Umschalten auf Offensive zuständig war. Doch Hosogai schaltete einfach noch schneller, stopfte Löcher, eroberte Bälle und spielte chirurgenmesserscharfe Pässe in die Spitze. „Nach ein paar Spielen werde ich noch besser“, sagte der Japaner, der die halbe Vorbereitung verpasst hatte. Luhukay fand ihn „überragend“, wie alle Neuzugänge.

Vor allem freuten ihn die neuen Möglichkeiten. Nominell habe Hertha mit Hosogai sechs defensive und vier offensive Spieler auf dem Feld gehabt, in der Zweiten Liga war das ausgeglichener mit jeweils fünf. Doch die Gegner spielten dort defensiver. „Da brauchten wir viel Geduld, hatten weniger Chancen und mehr Tore aus Standardsituationen“, sagte Luhukay. In der Bundesliga hat Hertha mehr Platz. Gegen Frankfurt verteidigte die Mannschaft risikoreich und hoch im Feld stehend und nutzte so die 30, 40 Meter hinter der Eintracht-Abwehr sowie die Schnelligkeit und Kreativität der nur noch vier Offensiven Ben-Hatira, Baumjohann, Allagui und Ramos, die sich eine Liga weiter oben spürbar leichter taten. Dazu kam die Passgenauigkeit des Mittelfeldes, „da schlägt mein Herz als Trainer höher“, sagte Luhukay, darauf habe man wochenlang hingearbeitet.

Trotzdem: „Es klingt ein bisschen blöd, aber ich habe noch Dinge gesehen, die wir verbessern müssen.“ Die Mannschaft wolle auf sich schauen, die in der Zweiten Liga begonnene Philosophie weiterentwickeln, aber es werde nicht immer so klappen wie gegen Frankfurt. Luhukay hob eine Hand, dann senkte er sie wieder Richtung Hüfte, „mal läuft es so, mal so“, aber als Trainer, sagte er, während er die Hände übereinanderlegte, „bin ich für das Gleichgewicht zuständig“. Auch wenn ihm das innere Gleichgewicht für einen ruhigen Schlaf fehlte.

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