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Jos Luhukay, 50, ist vor einem Jahr mit Hertha BSC aufgestiegen und hat in dieser Saison mit der Mannschaft souverän den Klassenerhalt geschafft. Sein Vertrag läuft bis 2016.

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Hertha-Trainer Jos Luhukay im Interview: "Ich bin dankbar für die letzten Monate"

Trainer Jos Luhukay spricht vor dem letzten Saisonspiel gegen Borussia Dortmund über Herthas gegensätzliche Hin- und Rückrunde, sein Personal und das Ziel für die neue Saison.

Herr Luhukay, was können die Zuschauer gegen Dortmund zum Saisonabschluss erwarten? Der Auswärtssieg im Hinspiel war ja so etwas wie der Höhepunkt einer sehr guten Hinrunde.

Oh ja, das war ein sehr gelungenes letztes Spiel vor der Winterpause. Es war die Sahne auf der Torte. Wenn das wieder so laufen würde, könnten wir uns positiv in die Sommerpause verabschieden. Aber die Situation hat sich verändert. Wir haben eine sehr schwierige Rückrunde gespielt, Dortmund dagegen ist wieder voll in Fahrt. Es wird sehr reizvoll. Wir müssen alles abrufen, was drinsteckt.

Hin- und Rückrunde verliefen für Hertha gegensätzlich: Welche Serie ist für die Entwicklung der Mannschaft hilfreicher?

Ich bin sogar dankbar dafür, wie die letzten zwei, drei Monate verlaufen sind. Wenn es nur in eine Richtung geht, alles nur positiv ist, dann fehlt dir die Möglichkeit, aus Niederlagen, also aus Fehlern und aus Enttäuschungen, lernen zu können. Diese Erfahrungen sind hilfreich, gerade mit Blick auf die kommende Saison. Das klingt vielleicht komisch, aber im Dauererfolg ist es schwer, an Defiziten zu arbeiten. Jetzt haben wir beide Situationen erlebt, das bringt uns alle weiter.

Wäre eine umgedrehte Reihenfolge der beiden Serien für den Entwicklungsprozess nicht glücklicher?

Genau das habe ich ja mit dem FC Augsburg erlebt: Die Hinrunde war schwierig und durchwachsen, aber die Rückrunde dann einfach Klasse. Aber man kann sich das nicht aussuchen. Schauen Sie, wir hatten mit Hertha zu Saisonhalbzeit 28 Punkte. Bis heute hat der HSV als Drittletzter 27 Punkte. Von jetzt betrachtet hatten wir zur Winterpause den Klassenerhalt geschafft. Für uns als Aufsteiger war es ganz sicher besser, den Schwung und die Euphorie aus der Zweiten Liga mitzunehmen und gut in die Bundesliga zu starten. Wären wir schlecht gestartet, hätte es viel Unruhe und Zweifel gegeben. So gefestigt waren wir nicht nach zwei Abstiegen. Aber dass wir dieses Level der Hinrunde nicht in der Rückrunde halten, war uns klar. Deshalb haben wir nie das Saisonziel korrigiert.

Zwischenzeitlich schien ein Europapokalplatz erreichbar.

Für den Moment vielleicht, aber was die Qualität und die Breite unseres Kaders anbelangt, konnten wir nicht ernst- und dauerhaft um die internationalen Plätze spielen. Am Ende haben wir recht behalten.

Nur wirkte es nach außen so, als fehlte der Mannschaft nach dem gefühlten Klassenerhalt ein neues, konkretes Ziel. Haben Sie das in Ihrer Arbeit gespürt?

Ich habe die Mannschaft tagtäglich erlebt und kann sagen, dass sie so hart und willig gearbeitet hat wie im Herbst. Aber, und da haben Sie recht, es hat bei vielen Details geklemmt. Im Defensivverhalten waren wir auch in der Rückrunde ziemlich stabil. Was die Gegentore anbelangt, haben nur fünf Mannschaften weniger kassiert. Und das, obwohl uns Fabian Lustenberger, unser Kapitän und bester Innenverteidiger, gefehlt hat.

Das Manko lag in der Offensive?

Der große Unterschied war unsere Chancenverwertung. Wir hatten nicht mehr die Effektivität der Hinrunde. In der Bundesliga sind die meisten Spiele derart eng, dass es oft nur an Details hängt, ob man gewinnt oder verliert.

Dennoch spielte Hertha nicht mehr den mutigen und flüssigen Fußball der Hinrunde.

Richtig, unser Spiel war nicht mehr so zwingend. Allerdings sind uns auch die Gegner nach dieser Hinrunde anders begegnet. Sie haben uns viel ernsthafter zu bespielen versucht. Damit hatten wir so unsere Schwierigkeiten. Uns fehlten da manches Mal die richtigen offensiven Lösungen. Allerdings mussten wir auch wichtige Spieler ersetzen.

Befriedigt Sie das als Erklärung?

Das ist nur ein Teil der Erklärung. In der Hinrunde fehlten auch einige Spieler immer mal wieder, aber selten Spieler aus der Achse wie in der Rückrunde. Solche Spieler entscheiden über die Kompaktheit, Sicherheit und Balance eines Gebildes. Fabian Lustenberger macht zwar keine Tore, aber er ist der Stabilisator, der der Mannschaft von hinten raus vieles mit auf den Weg gibt. Oder Tolga Cigerci. Er hat zu häufig nicht spielen können oder war nicht bei 100 Prozent. Das hatte Auswirkungen, denn er war der Motor zwischen Abwehr und Angriff. Er hatte einen unglaublichen Drive für unser Spiel. Diese beiden Spieler machen unsere Mannschaft viel stärker, und, wenn sie fehlen, leider auch umgekehrt.

"Ein einstelliger Tabellenplatz ist nicht realistisch"

Sie wirkten nach mancher Niederlage angegriffen und kritisierten die Mannschaft deutlich. Haben auch Sie geglaubt, ähnlich wie viele Fans, dass die Mannschaft weiter ist in ihrer Entwicklung?

Moment: Außen wuchs die Erwartungshaltung nach der Hinrunde. Und mit ihr auch der Glaube an die Stärke unserer Mannschaft. Intern haben wir uns aber nicht blenden lassen. Uns fehlte in der Rückrunde in fast allen Belangen etwas. Ein Beispiel: Unsere Offensivabteilung hat es in der Rückrunde schwerer gehabt, sich durchzuspielen. Adrian Ramos war in der Hinrunde ein so aufmerksamer und erfolgreicher Stürmer, aber auch er hatte damit zu tun, dass es in der Rückrunde viel schwieriger war, Tore zu erzielen. Die Konkurrenz hat gesehen, dass in Adrian einer der Top-Torjäger der Liga bei uns spielt. Er wurde ganz anders angegangen. Und zu mir persönlich: Ich bin immer sehr fair und ehrlich. Ich sage immer, wenn was gut ist und wenn was nicht gut ist. Und das sage ich auch zur Mannschaft. Ich drehe mich da nicht, und ich stelle mich nie über die Mannschaft, wenn wir mal verloren haben.

Sie basteln gedanklich schon an der neuen Saison. Welcher Stil schwebt Ihnen da vor?

Ganz klar der der Hinrunde. Dafür wollen wir noch Qualität von außen dazuholen. Und die Spieler, die schon hier sind, wissen, was von ihnen verlangt wird. Grundsätzlich gilt: Man entwickelt sich weiter, wenn man Rückschläge durchlebt hat. Wenn es nur glatt läuft, hat man nicht so viel Widerstand, gegen den man ankämpfen muss. Aber genau das prägt. Als Fußballer entwickelst du dich im Erfolgsfall vielleicht etwas schneller, aber nachhaltiger nur dann, wenn du durch Rückschläge mental mehr gefordert bist. Der Lerneffekt ist hierbei viel größer.

Nach Jens Hegeler sollen noch vier bis fünf neue Spieler kommen. Andere müssen gehen. Wie gehen Sie damit persönlich um?

Das ist nie einfach. Aber für den Klub und seine Entwicklung ist es wichtig, den Kader durchzuselektieren. Wenn wir Neuzugänge holen, holen wir sie für die erste Elf. Dann rücken einige Spieler nach hinten, die weniger Perspektive bekommen. Aber im Prinzip muss außer Lewan Kobiaschwili und Adrian Ramos, der uns verlässt, niemand weg. Aber wenn die Möglichkeit besteht, dass ein Spieler anderswo eine gute Perspektive bekommt, dann werden wir Lösungen finden.

Inwiefern spüren Sie bei Ihrer Personalplanung, dass Hertha einen strategischen Partner hat, der die wirtschaftliche Seite des Vereins stabilisiert hat?

Und ob ich das merke (lacht). Vor allem in den Gespräche mit potenziellen Neuzugängen und deren Beratern. Leider. Gleichwohl freue ich mich, dass Hertha durch diese Partnerschaft mehr Möglichkeiten für die Zukunft bekommt. Unsere Aufgabe ist es jetzt, uns von Jahr zu Jahr durch mehr Qualität im Kader zu verbessern. Aber wir wollen nur das machen, was wirtschaftlich zu verantworten ist. An bestimmte Spieler treten wir deshalb nicht heran. Vielmehr wollen wir aus dem Kader, der ja das Gerüst bleiben wird, das Maximale herausholen.

Die Entwicklung der eigenen Nachwuchsspieler Ihres Teams ist ins Stocken geraten. Wie erklären Sie sich das?

Wir reden über Nico Schulz, John Brooks, Fabian Holland und Hany Mukhtar. John hat vieles erlebt in dieser Spielzeit. Seine vergangene Saison war hervorragend, aber in der Bundesliga glich seine Entwicklung einem Wellental. Er soll das aufnehmen und daraus lernen. Nico ist mehrere Jahre dabei, er muss es jetzt beweisen, ein echter Bundesligaspieler zu sein. Hany ist erst 18, er hat wenige Einsätze gehabt, aber noch alles vor sich. Fabian dagegen hat es leider nicht geschafft, sich richtig durchzusetzen. Respekt für die Zweite Liga, aber die Bundesliga steht deutlich drüber. Die Bundesliga ist gerade für die jungen Spieler so anstrengend, da müssen sie unheimlich viel und hart arbeiten und am Ende noch ein bisschen Glück haben, damit es klappt. Wir helfen dabei alle gern mit, aber nicht jeder Wunsch geht auf.

Wie wird das Ziel für die kommende Saison lauten – einstelliger Tabellenplatz?

Ich glaube nicht, dass es realistisch ist. Auch wenn ich mir damit keine Freunde mache, aber sportlicher Erfolg ist heute sehr an wirtschaftliche Gegebenheiten gekoppelt. Da sind wir noch nicht so weit. Die ersten fünf, sechs der Liga sind vergeben. Von Platz sechs bis zehn können wir eigentlich auch nicht mithalten. Da sind Vereine bei, die sich über Jahre stabilisiert haben. Jahre, die uns auch wirtschaftlich fehlen. Wir können zwischen Platz zehn und 15 rauskommen. Natürlich kann es besser laufen, aber das wäre ein Ausnahmejahr. Die Bundesliga lässt sich nicht mehr so einfach aufmischen. Für uns bedeutet das, dass wir kreativ und klug arbeiten müssen. Auf allen Ebenen.

Gerade die Transfers müssen aufgehen.

Sie sagen es, was schwer genug ist. Die großen Vereine können mit Champions League oder Europa League argumentieren, was für Spieler heute sehr wichtig ist. Wir können das nicht, weder sportlich noch finanziell. Wir müssen anders überzeugen.

Wie sieht es denn mit Ihnen aus? Haben Sie Angebote von anderen Vereinen?

Oh, ich bin mit Herz und Seele bei Hertha BSC. Über alles andere rede ich nicht.

- Das Gespräch führte Michael Rosentritt.

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