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Sport: Hertha: Überraschung von rechts

Rudi Carrell führte vor Jahren durch eine hübsche Unterhaltungssendung. "Lass dich überraschen" hieß das Ganze, und es kam vor, dass plötzlich ein Bauer aus Niederbayern, der vormittags noch im Kuhstall wurstelte, abends auf der Bühne stand und in Fernsehmikrofone trällerte.

Rudi Carrell führte vor Jahren durch eine hübsche Unterhaltungssendung. "Lass dich überraschen" hieß das Ganze, und es kam vor, dass plötzlich ein Bauer aus Niederbayern, der vormittags noch im Kuhstall wurstelte, abends auf der Bühne stand und in Fernsehmikrofone trällerte. So ungefähr dürfte sich Andreas Thom gefühlt haben, als er am Mittwoch um kurz vor acht auf dem Rasen des Berliner Olympiastadions stand. Rudi Carrells Part hatte Jürgen Röber übernommen, der den lange schon ausgemusterten Fußballprofi erst am Vortag via Handtelefon hatte wissen lassen, dass er doch bitte mal rumkommen und die Fußballschuhe nicht vergessen möchte. Anlass war das Bundesligaspiel von Hertha BSC gegen Unterhaching - Endstand 2:1.

Nun liegt der späten Reaktivierung keinerlei Jux zu Grunde. Hertha hat personelle Schwierigkeiten auf der rechten Seite. Der 21-jährige Sebastian Deisler, der in der vergangenen Saison Thom verdrängte, laboriert seit Wochen an einem Muskelfaserriss. Marko Rehmer, ebenfalls ein Nationalspieler, der diese Position interpretieren kann, hatte sich vor wenige Tagen Frakturen der Kieferhöhlenvorderwand und des Augenhöhlenbodens zugezogen. Wäre da noch Anthony Sanneh. Doch der US-Amerikaner, dessen Beschäftigungverhältnis in Berlin zum Sommer ausläuft, hat es eigentlich nicht so mit dem runden Gerät. Kritiker halten seine Aussichten auf sportlichen Erfolg in der US-Staffel über 400 m flach für vielversprechender. Und doch hatte sich der Trainer gegen Unterhaching für Sanneh entschieden, was er allerdings rasch korrigierte. "Eigentlich wollte ich Tony schon vor der Pause rausnehmen", sagte Röber. Bei Halbzeit war es dann so weit. "Ich konnte ihm keinen besseren Gefallen tun", sagte Röber. Thom kam.

Am vergangenen Sonntag noch hatte Thom den Libero gegeben zwischen 17- bis 21-jährigen Amateuren von Hertha BSC. In der Oberliga Nord, gegen den Berliner AK 07. Es war das siebte Spiel des 35-Jährigen bei den Amateuren. Nun also Unterhaching. "Wenn du einen zurückholst, an den keiner mehr denkt, provoziert das eine gewisse Stimmung", erzählt Röber. Eingeweiht habe er die Mannschaft nicht. "Die sahen nur, dass Andy plötzlich im Mannschaftsbus saß. Aber irgendwie gehört er noch dazu."

Zehn Jahre nach dem Mauerfall, im November 1999, hatte Thom sein letztes Spiel für Hertha bestritten. 1990 war er als erster DDR-Fußballer mit offizieller Genehmigung in den Westen gewechselt, nach Leverkusen. Über Glasgow führte 1997 sein Weg zurück in seine Heimat, diesmal zu Hertha.

Mittwoch folgte sein 212. Bundesligaspiel. "Gott sei Dank ist es vorbei", sagte Thom nach dem Abpfiff. Er habe sich diesen Stand-by-Status zwar vertraglich zusichern lassen, "doch damit habe ich wirklich nicht mehr gerechnet", sagte Thom. "Sein Bewegungsradius war nicht besonders groß, aber er war in seinen Aktionen ruhig und sicher und immer eine Anspielstation", befand Röber. Auch deshalb könnte aus dem Überraschungs- ein Dauergast werden. Deisler und Rehmer werden bis morgen nicht fit werden, und der Fall Sanneh sollte sich eigentlich erledigt haben. Gegen Hansa Rostock wird Thom wieder spielen. Alles andere wäre eine Überraschung.

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