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Ashkan Dejagah

© ddp

Hertha-Zögling: Die neue Härte des Hochbegabten

Ashkan Dejagah kam bei Hertha nicht zum Zuge, im Nationalteam löste er einen Skandal aus. Nun arbeitet er in Wolfsburg an sich und seinem Spiel - mit Erfolg.

Der Wind pfeift hier immer. Das liegt vielleicht am nahen Mittellandkanal, der ICE-Trasse nach Berlin, der Schnellstraße, wahrscheinlich an allem zusammen. Der Wind passt gut zu Ashkan Dejagah, denn er ist wie ein Sturm über den VfL Wolfsburg gekommen. Ja, auch mit einem kurzen, unerfreulichen Ausflug in die Weltpolitik. Vor allem aber durch seine Fußballkunst und die fünf Tore in 20 Bundesligaspielen, darunter auch eines gegen Oliver Kahn und ein weiteres gegen seinen ehemaligen Verein Hertha BSC. Auf dem windigen Trainingsplatz ist er gut zu erkennen, mit dem fast kahlen Schädel und dem weit nach vorn gebeugten Oberkörper. Als das Training beendet ist, rennt Dejagah als erster zum Eingang. Und geht doch als letzter, nachdem er die Bälle eingesammelt hat. „Ist doch normal, dass das einer von den Jüngeren macht.“

Heute spielt Dejagah mit seiner neuen Mannschaft daheim in Wolfsburg gegen Hertha. Natürlich ist das kein Nachmittag wie jeder andere; er kennt zu viele Berliner Spieler noch zu gut. Das Gespräch in einer Loge des VW-Stadions kommt schwer in Gang. Dejagah ist vorsichtig geworden. Bloß kein falsches Wort. Es ist erst ein paar Wochen her, dass er zu den Wolfsburger Journalisten beiläufig einen Satz sprach, über den kurz darauf die ganze Welt debattierte. „Jeder weiß, dass ich Deutsch-Iraner bin.“ Mehr hat er nie gesagt. Aber im Zusammenhang mit seiner Absage für das Länderspiel der deutschen U 21 in Israel genügte das Sätzchen, ihn als kickenden Erfüllungsgehilfen des iranischen Staatschefs Ahmadinedschad zu brandmarken. Als einen, der aus politischen Gründen nicht nach Israel reisen wolle, und das als deutscher Nationalspieler.

Keiner hat sich dafür interessiert, ob Dejagah nicht wirklich private Gründe für seine Absage hatte. Gründe, über die er nicht weiter reden wollte, weil sie eben privat waren. Die Sache ist nach einem Gespräch mit DFB-Präsident Zwanziger ausgeräumt. Das Misstrauen ist geblieben. Am wohlsten fühlt sich der Gesprächspartner Ashkan Dejagah im Ungefähren und Allgemeinen. In 30 Minuten sagt er dreimal: „Entscheidend ist, dass ich im Training und im Spiel Vollgas gebe.“

Vielleicht war die schmerzhafte Erfahrung mit der Öffentlichkeit genau das, was Ashkan Dejagah gefehlt hat. Ein letzter Fingerzeig auf dem Weg zur Erkenntnis, dass Profifußball etwas anderes ist als das Spiel seiner Kindheit. Dejagah hat erkannt, dass „Fußball harte Arbeit ist. Wenn du einen Fehler machst, hat das ganz andere Konsequenzen“, auf und neben dem Platz.

Er weiß jetzt, was hinter der Phrase steckt, ein Profi müsse sich ganz auf den Fußball konzentrieren. Als immer mehr Kamerateams auf dem windigen Trainingsplatz anrückten, stellte Trainer Felix Magath den 21-Jährigen frei. Und doch schoss Dejagah gleich im nächsten Spiel ein Tor. Drei Wochen später platzierten ihn die Kapitäne der Bundesligaklubs bei der Wahl zum Spieler des Monats Oktober auf Platz drei.

Fußball war immer Spaß für Dejagah, wahrscheinlich hat er sogar darüber gelacht, dass ihn der Boulevard an der Seite seines Freundes Kevin-Prince Boateng zum Weddinger Ghetto-Kid hochstilisierte. Er hat ja gewusst, dass das Blödsinn war, die Familie Dejagah hat nicht mal im Wedding gewohnt, sondern am Schäfersee in Reinickendorf. Der kleine Ashkan war auch kein Kind der Hertha-Nachwuchsabteilung, er ist bei den Reinickendorfer Füchsen und Tennis Borussia groß geworden. Sein Ausnahmetalent war nicht mehr zu übersehen, als er in der B-Jugend zu Hertha BSC wechselte. „Diese Mannschaft war sensationell“, sagt Dejagah. Für einen Augenblick vergisst er alle Zurückhaltung und ist wieder das Spielkind von damals, als Hertha nicht gegen, sondern mit seinen Konkurrenten spielte. Auf dem Weg zur deutschen Meisterschaft siegten die Berliner 6:1 gegen Borussia Dortmund, 4:0 gegen Bayer Leverkusen und im Finale 4:1 gegen den VfB Stuttgart. Fünf Spieler dieser Mannschaft haben es später in die Bundesliga geschafft, aber ausgerechnet die beiden Hochbegabten, Boateng und Dejagah, haben Berlin verlassen.

Was hat nicht gepasst? Dejagah sagt, er habe nichts dagegen, die Bälle zu tragen, aber als gleichwertiger Spieler wolle er schon angesehen werden. Bei der Junioren-Nationalmannschaft hätten sie alle Karriere gemacht in ihren Klubs. „In Dortmund der Kruska, in Stuttgart der Khedira“, aber der Ausnahmefußballspieler Dejagah saß in Berlin auf der Bank. Vielleicht hätten sich die Dinge anders entwickelt, wenn damals schon der jugendbewegte Lucien Favre die Kommandos bei Hertha gegeben hätte. Der Schweizer sieht in Dejagah einen kommenden Nationalspieler. Für seinen Vorgänger Falko Götz aber blieb er immer einer aus der Jugendabteilung. Zwischen Dejagahs erstem Bundesligaeinsatz (fünf Minuten gegen Bochum) und dem zweiten (elf Minuten in Nürnberg) lagen 18 Monate. In den drei Jahren kam Dejagah auf 26 Spiele. Beim VfL Wolfsburg hat er von 20 Saisonspielen kein einziges verpasst.

In Berlin hatten sich Herthas Nachwuchsstars über Jahre in einem Umfeld bewegt, das ihnen ständig soufflierte, sie wären die Größten. Heute kann Dejagah ja sagen, dass die Berliner Kumpels damals ganz komisch geguckt haben, als er ihnen die Sache mit dem Wechsel nach Wolfsburg erzählte. Wolfsburg? Wat willste denn da? Fußball spielen, hat er geantwortet. „In Berlin kannte ich so viele Leute, und es gab immer irgendwas, was man abends machen konnte.“ Diese Gefahr ist in Wolfsburg wirklich nicht gegeben.

Nach dem Auslaufen seines Vertrages durfte Dejagah Berlin ablösefrei verlassen. Herthas Manager Dieter Hoeneß schimpfte laut und oft über die undankbare Jugend, die nach großzügiger Ausbildung in Berlin bei erstbester Gelegenheit ein paar Häuser weiter ziehe, um ein paar tausend Euro mehr zu verdienen. Doch niemand hatte Hoeneß verboten, Dejagah ein Angebot zu machen, das seinem sportlichen Stellenwert entsprach. Bei der Jahreshauptversammlung im November gab Herthas starker Mann zu, heute würde er wohl anders entscheiden.

Felix Magath sagt: „Ashkan ist ein Talent, ein großes Talent, aber eben immer noch ein Talent. Wir haben schon noch ein Stück Arbeit vor uns.“ Dejagah findet, dass ihm gar nichts Besseres hätte passieren können. Nichts gegen Falko Götz, „aber Felix Magath ist als Trainer eine andere Kategorie“. Vor allem seine Physis sei besser geworden, auch dank der berühmten Bergläufe und der berüchtigten Medizinbälle. Einmal, in Hamburg, ist Dejagah kurz vor Schluss über den halben Platz gesprintet, zwischen zwei HSV- Verteidigern hat er den Ball zum Ausgleich über die Linie gegrätscht. „Dafür hätte ich früher einfach nicht die Kraft gehabt.“

Kommt die Technik dabei nicht zu kurz? Dejagah lacht. „Am Ball kannst du immer besser werden, du musst es nur wollen.“ Zum Beispiel, was seinen linken Fuß betrifft, „der ist okay, aber eben lange nicht so gut wie der rechte“. Also flankt und schießt und dribbelt er im Training bevorzugt mit links, gern auch nach dem Training, wenn er nicht gerade die Bälle einsammeln muss. Als er im vergangenen September zum ersten Mal nach dem Wechsel in Berlin antrat, gewann Hertha zwar 2:1, aber das Wolfsburger Tor erzielte Ashkan Dejagah, es war ein gewaltiger Schuss aus 25 Metern. Mit links.

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